Wenn die Verfolger kamen, musste B. (Name geändert) einfach losrennen. Meist passierte das am Bahnhof in Würzburg, wo der junge Mann gerne herumlungerte und sich ein bisschen Geld zusammenschnorrte. B. lief dann immer in den Bahnhof, zu den Gleisen. Um den Verfolgern zu entkommen, sprang er in den nächstbesten Zug. Niemand sollte ihn zu fassen bekommen. Die Verfolger – es gab sie nur im Kopf des 18-Jährigen. Es fing mit elf Jahren an. Regelmäßig waren sie da, die Stimmen im Kopf. Um zu flüchten reichte es oft schon, dass sich B. beobachtet fühlte.
Kein normales Leben
Die Paranoia dürfte einer der Gründe gewesen sein, warum es im Leben von B. alles andere als normal zuging: Nach vielen Schulwechseln verließ er die Schule nach der 7. Klasse endgültig. Er schloss sich der Punkerszene an, lebte in den Tag. Fernsehen, Computer, Bahnhof – viel mehr gab es im Leben von B. nicht.
Irgendwann kam noch die Bekanntschaft mit unzähligen Zugbegleitern dazu, als das mit den Stimmen immer schlimmer wurde und die Verfolgungen zunahmen. Die Fluchten in den Zug – das waren am Ende alles Schwarzfahrten. Zwischen Mitte Juni und Anfang Oktober vergangenen Jahres muss es so etwas wie eine Hochphase gegeben haben, 37 Mal wurde B. ohne Fahrausweis erwischt.
Meist landete der 18-Jährige in Nahverkehrszügen, es geht um Beträge nicht über zehn Euro. Doch alles in allem läpperten sich auch die Kleinbeträge, insgesamt schlagen die 37 vor dem Kitzinger Jugendrichter Wolfgang Hülle angeklagten Fälle mit gut 315 Euro zu Buche. Ein Teil der Fahrten passierten allerdings auch, weil B. wie immer kein Geld hatte und doch zu seiner Fördermaßnahme kommen wollte. Die wurde dann allerdings abgebrochen, wieder stand der junge Mann ohne alles da.
Kind brachte die Wende
Dass dann im Oktober die Schwarzfahrten schlagartig aufhörten, lag an einer Nachricht, die das Leben des Mannes mit der Paranoia verändert sollte: Seine Ex-Freundin erwartet ein Kind. Und das, so schwor sich B., sollte nie einen Vater zu sehen bekommen, der sich seltsam verhielt. Also ging der 18-Jährige freiwillig zur Behandlung nach Werneck, nahm die bisher strikt verweigerten Tabletten und glaubt jetzt fest daran, dass er seine Psychose in den Griff bekommt. Dazu soll eine Gesprächstherapie kommen. Bemühungen, die dem Angeklagten jetzt vom Gericht ebenso hoch angerechnet werden wie seine verminderte Schuldfähigkeit.
Obwohl er wegen Schmierereien an einer Garage schon einmal vor Gericht stand und 60 Sozialstunden leisten musste, sieht der Jugendrichter von einer Verurteilung ab: Das Verfahren wird eingestellt, im Gegenzug muss B. 80 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Und er muss mindestens sechs Monate lang die begonnene Therapie fortsetzen. Wofür schon seine Mutter sorgen wird, die erstmals Hoffnung hat, „dass jetzt alles in die richtige Richtung kommt.“