Er schwärmt sogar in Afghanistan vom Frankenwinheimer Weinfest. Denn das sei das Schönste in ganz Franken. Und den Silvaner-Schoppen vermisse er hier manchmal sehr: Hauptmann Christian H. vom Logistikbataillon 467 der Volkacher Mainfranken-Kaserne dient seit Anfang September am Hindukusch.
Advent in Nordafghanistan. Ein Sonntag. Es ist kalt. Unter Null am frühen Morgen. Diesiges Grau verhüllt die Hügelkette des Marmal-Gebirgszuges. Das deutsche Feldlager an den Ausläufern trägt seinen Namen: Camp Marmal. Hier sind rund 1000 deutsche Soldaten stationiert, zehn Prozent davon sind Frauen. Gemeinsam mit Streitkräften aus weiteren 22 NATO-Mitgliedsstaaten versehen sie hier ihren Dienst. Insgesamt etwa 2.000 Männer und Frauen. Auf einer Fläche so groß wie 500 Fußballfelder.
„Resolute Support“ – so nennt sich die 2015 begonnene NATO-Ausbildungsmission, zu der auch die Deutschen gehören. Afghanische Sicherheitskräfte sollen fit gemacht werden, um ihr Land selbst zu schützen. Gegen die Taliban, gegen Radikalislamisten, gegen fanatische Splittergruppen. Im Vergleich zur ISAF-Mission, die 2014 auslief, gibt es keine NATO-Kampfhubschrauber mehr, die einst in die Berge zu unbekannten Zielen aufbrachen. Auch Patrouillenfahrten ins Feindesland gehören der Vergangenheit an. Das Mandat hat sich verändert. Denn in Kampfhandlungen sind heute die afghanischen Streitkräfte involviert. Nach entsprechender Schulung und unter Anleitung, denn das Know- How gibt es unter anderem von den Deutschen.
Vertrauen ist Mangelware
Zu so genannten Zwischenfällen kommt es immer wieder. Anschläge, Schusswechsel, Explosionen, Granaten und Mörser. Meistens trifft es die lokalen Sicherheitskräfte und Zivilisten. Mehrere Dutzend Menschen sterben jede Woche. Nach wie vor. Draußen, jenseits der hohen Mauern, hinter den Stacheldrahtabgrenzungen lauert der Tod. Daran hat sich nichts geändert. Aber auch innerhalb der Kasernen kann es zu Anschlägen kommen. Bei den Afghanen sind diese so genannten Innen-Täter besonders gefürchtet. Vertrauen ist Mangelware.
Knapp 4.500 Kilometer trennt Christian H. von seiner Oma, die am Chiemsee lebt. Gerade in der Advents- und Weihnachtszeit kann das schmerzlich sein. Jetzt bereitet er sich auf den Feldgottesdienst vor. Er singt im Kirchenchor und liest die Fürbitten. Das bedeutet dem 34-Jährigen viel.
Der Gottesdienst im Haus Benedikt, das an der breiten Hauptstraße des Camps liegt, ist bis auf den letzten Platz besetzt. Unter den Uniformierten sind auch ein paar Zivilisten: Der deutsche Konsul zum Beispiel. Er kommt regelmäßig. Das Deutsche Konsulat liegt innerhalb des Camps. Aus Sicherheitsgründen wurde es aus dem nahen Masar-e Sharif ins Feldlager verlegt.
Pfarrer Martin Hüfken ist erst seit einer Woche im Camp. Er hat den katholischen Militärseelsorger abgelöst. Heute hält er einen ökumenischen Gottesdienst. Jeder ist willkommen, egal ob er evangelisch, katholisch, andersgläubig ist oder gar keiner Religion angehört. Pfarrer Hüfken zündet eine Kerze an, gegen das Vergessen und für die Liebe. Er spricht von Versagen, Schuld und von den Kameraden, die gefallen sind. Dann greift er zur Gitarre. Das kommt gut an, genau wie der Kirchenchor, in dem Uniformierte und Zivilisten der Trostlosigkeit des Feldlagers trotzen und ihre musikalische Heimat gefunden haben.
Der Truppenversorgungsstabsoffizier aus der Mainfranken-Kaserne kann beide Tonlagen: Bass und Tenor, je nachdem. Der gebürtige Aalener kommt aus einer katholischen Familie. „Von klein auf war mir der Glaube sehr wichtig.“ Gemeinsam mit der Familie besuchte er schon als Kind regelmäßig die Sonntagsmessen. „Die Gemeinschaft gab mir Halt“, erinnert er sich. „Schon in der Kindheit wurden mir anstatt Märchen Geschichten von Heiligen vorgelesen. Das hat mich geprägt.“ Lehrer wollte er einmal werden. Mit der Bundeswehr hatte er nichts am Hut. „Mein Vater war Soldat, da gab es bei mir eine gesunde Abneigung.“ Doch dann kam die Wehrpflicht bei den Heeresfliegern in Laupheim. „Da gefiel es mir. Ich war durchaus bereit, länger dabei zu sein und Geld fürs Studium anzusparen“, ergänzt er. Und so passierte das Unerwartete: 2008 begann er die Offiziersausbildung. „Du bist ein heller Kopf, bleib dabei und werde Offizier!“, riet ihm ein Vorgesetzter. Bildungswissenschaften konnte er dann trotzdem studieren. An der Universität der Bundeswehr in München. „Das Studium hilft mir auch bei vielen Dingen im Alltag. Man lernt das akademische Arbeiten.“
Telefonieren mit der Oma
Es ist sein zweiter Einsatz in Afghanistan. „Ich mache das gerne, kann hier sogar auf einer höheren Ebene arbeiten. Während ich zuhause als Umschlagstaffelführer eher Entscheidungen umsetze, kann ich hier selbst welche treffen“, erklärt er. Dabei sei er nur eingesprungen für einen Kameraden, der erkrankte. „Sehr gerne sogar. Mein letzter Einsatz in Afghanistan gefiel mir. Jetzt arbeite ich wieder auf dem gleichen Gebiet, da gab es nicht viel zu überlegen.“
Oft denkt er an seine Oma zuhause in Süddeutschland. „Wir telefonieren einmal pro Woche. „So richtig altmodisch eben, nicht wie die anderen, die alle skypen.“ Und solange der Enkel im Auslandseinsatz ist, guckt die 97-Jährige auch keine Nachrichten. „Das würde sie nur unnötig aufregen“, erklärt der Enkel. „Aber sie weiß, dass ich gut auf mich aufpassen kann.“
Draußen auf dem Rollfeld dröhnen die Rotoren. Startbereit ist der MI-17. Rund zehn Soldaten boarden den Helikopter in wenigen Minuten. Trotz ihrer schweren kugelsicheren Westen, der Waffen und Stahlhelme auf den Köpfen wirken sie fast schwerelos. Das Tempo ist vorgegeben, schnell muss es gehen. Kaum ist die Tür geschlossen, beginnt auch schon der Aufstieg. Bis der Hubschrauber in den Wolken verschwindet, müssen die Stahlhelme sitzen bleiben. Das Gleiche gilt für den Rückflug. Denn die Geschosse der Taliban können nur eine bestimmte Höhe erreichen. Unterhalb der Wolkendecke. Die Schutzwesten werden den ganzen Flug über getragen. Genau wie die Ohrenstöpsel, denn im Heli ist es sonst unerträglich laut.
90 Minuten dauert der Flug über die dichte Wolkendecke bis Kundus. Jeder Einzelne im Bauch des Fliegers bleibt für sich. Sonnenbrillen werden getragen, zum Schutz oder um die eigene Identität zu verbergen. Durch das Bullauge erkennt man die Gipfel der Berge, die die Wolkendecke durchbrechen.
Die Welt hier oben ist eine andere – blau und sonnig. Irgendwie friedlich. Das täuscht, erkennbar am nahen Begleithelikopter. Auch ein MI-17. Ohne Ladung, leer. Für den Fall einer Notlandung im Nirgendwo. Um Crew und Passagiere aufzunehmen, sie einzusammeln, sie zu retten. Lieber den Flieger zurücklassen als Menschenleben zu riskieren, lautet die Devise.
„Camp Pamir“ oder „Safe Haven“ heißt der Außenposten der Deutschen in Kundus, innerhalb dessen Mauern gelandet wird und der sich in der Gemarkung der afghanischen Armee befindet. In den vergangenen Monaten hat das einheimische Korps bei Angriffen mehrere hundert Soldaten verloren. Die deutschen Soldaten unterstützen auch hier die Planung von Operationen oder beraten, wie die Truppe den Winter am besten übersteht: Mit entsprechender Kleidung, Schuhen und genügend Vorräten. „Aufbauarbeit“ heißt auch hier das Zauberwort. Zum Job von Christian H. gehört es auch, Ersatzteile zu beschaffen. „Zur richtigen Zeit das richtige Material am richtigen Ort in richtiger Qualität und Quantität“, erklärt er seinen Auftrag. Mitte Dezember wird Christian H. zurück sein. „Erst mal Sushi essen gehen und dann zum Brückenschoppen auf die Alte Mainbrücke in Würzburg“, lacht er. An Weihnachten selbst will er die Oma am Chiemsee besuchen. „Ganz klar! Und Käsespätzle wünsche ich mir, die sie oft für mich kocht.“