Mit einer extra Portion Vitamin C fängt nach dem Zweiten Weltkrieg eine Geschichte an, die jetzt ihr Ende findet: Ein Ölgemälde des Rüdenhäuser Schlosses ist nach 72 Jahren in den Vereinigten Staaten wieder an seinen ursprünglichen Platz im Schloss zurückkehrt.
Doch von vorne. „Wir kannten die Geschichte auch nicht. Erst als Bruce Thompson vor drei Jahren hier war, weil er wissen wollte, was das Bild darstellt, hat er es meinem Bruder Johann-Friedrich erzählt“, berichtet Manto Graf zu Castell-Rüdenhausen. Damals überreichte der US-Bürger eine Kopie des Gemäldes, ein langes Gespräch folgte. „Dann hat er sich wohl entschieden, es zurück zu geben“, schildert er weiter.
Im Arbeitszimmer des Leutnants
Unmittelbar nach Kriegsende hatte Leutnant Ralph S. Thompson als Angehöriger der 22. US-Infanteriedivision nach der Landung in der Normandie auf dem Weg nach Deutschland an zahlreichen Kämpfen teilgenommen, unter anderem auch an der berühmten Brücke von Remagen. Im Mai 1945 erreichte er Rüdenhausen und wurde im Schloss einquartiert. Die Fürstenfamilie – Elisabeth Gräfin zu Castell-Rüdenhausen und ihr kleiner Sohn Hesso – war für diese Zeit in ihrem Jagdschloss auf dem Friedrichsberg untergekommen.
Die Geschwister der Gräfin waren noch nicht aus dem Krieg zurückgekehrt oder ihr Schicksal war noch ungewiss.
Bei Kriegsende war die Not groß, Lebensmittel fehlten. Deswegen entschloss sich Elisabeth, eine Schwester von Siegfried Fürst zu Castell-Rüdenhausen, die neuen Bewohner im Schloss nach vitaminreichen Lebensmitteln für ihren Sohn zu fragen, erzählt Manto Graf zu Castell-Rüdenhausen.
Eine Steige Orange für das Gemälde
Sie habe von Leutnant Thompson eine Steige Orangen bekommen und dankte ihm hocherfreut für diese Gabe – mit dem Gemälde von Rüdenhausen. Es handelte sich um ein Werk von Franz Huth, einem bekannten deutschen Pastellmaler aus Thüringen. Das Bild erhielt somit einen neuen Eigentümer.
Mit Abzug der US-Truppen im August 1945 verließ auch das Gemälde Rüdenhausen und fand in den Vereinigten Staaten eine neue Heimat. Später schmückte das Bild mit der Außenansicht vom alten Rüdenhäuser Schloss das Arbeitszimmer von Bruce Thompson in seinem Haus in Camas im US-Staat Washington. Es war für ihn und seine Familie nicht nur eine schöne Darstellung eines unbekannten Hauses im fernen Deutschland, es war vor allem eine Erinnerung an seinen inzwischen gestorbenen Vater, der dieses Bild mitgebracht hatte.
Ein Anruf beim Bürgermeister
Nach dem Tod seines Vaters 1976 und seiner Mutter 2011 begann sich Bruce Thompson für die Darstellung des Bildes näher zu interessieren. Er machte sich übers Internet auf die Suche und wurde fündig. Unmittelbar danach nahm er Kontakt mit Rüdenhausens Bürgermeister Gerhard Ackermann auf, um sich die Existenz dieses Schlosses bestätigen zu lassen. Gleichzeitig kündigte er seinen Besuch auf den Spuren seines Vaters in Rüdenhausen an.
Im Mai 2014 besuchte Thompson mit seiner Frau Pamela vier Tage Rüdenhausen und Umgebung. Ein Höhepunkt des damaligen Besuchs war für beide der Empfang von Johann-Friedrich Fürst zu Castell-Rüdenhausen im Schloss, wo man merkte, welche Wirkung dieser historische Ort auf ihn hatte. Das war wohl auch der Augenblick, als sich die Familie Thompson entschied: Dieses Gemälde muss zurück an seinen Ursprungsort. Genau das geschah in diesen Tagen.
Anekdote fürs Casteller Archiv
Als Gegenleistung übergab die Adelsfamilie symbolisch eine Steige Orangen – allerdings in verkleinerter Form, da die Gäste ja zurückfliegen mussten. Das Huth-Gemälde befindet sich nun wieder im Besitz der Familie zu Castell-Rüdenhausen und diese Anekdote wird sicherlich Eingang in die fast tausendjährige Familiengeschichte im Fürstlich Castellschen Archiv finden.