Man hört es. Man sieht es. Man spürt es. Christiane Rudolf geht es gut. Sie ist entspannt. Sie genießt das Leben so, wie es kommt, in vollen Zügen. Vor drei Jahren wäre sie auf der Intensivstation eines Münchner Krankenhauses fast gestorben, nach jahrelangem Dauerstress und dem fünften Herzinfarkt. Doch statt sich damals von der Welt zu verabschieden, hat sie einen ganz speziellen Deal gemacht.
Die gebürtige Nürnbergerin ist mit 18 Jahren nach München gezogen und hat eine Business-Karriere hingelegt. Als Augenoptikerin hat sie eine besondere Sportbrille mitentwickelt und erfolgreich auf den Markt gebracht – auf einen Markt, der sich schnell weiterentwickelte. Die eigene, wachsende Firma und Patente, an denen sie arbeitete, forderten ihren Tribut. „Ich stand unter unglaublichem Druck“, analysiert die heute 65-Jährige. „Aber ich habe den Wahnsinnsstress nicht als solchen wahrgenommen.“
Auch ein erster, versteckter Herzinfarkt vor gut zehn Jahren änderte nichts an ihrer Lebensweise, zu der ein enormer Zigarettenkonsum gehörte. Zwei weitere Infarkte blieben ebenfalls folgenlos – im doppelten Sinn. „Ich habe die Bedrohung verdrängt wie ein Weltmeister.“ Beim vierten Infarkt kam sie mit dem Notarzt gerade noch rechtzeitig in die Klinik, um einen ersten Stent gelegt zu bekommen, eine Gefäßstütze nahe am Herzen.
Trotzdem floss Christiane Rudolfs Herzblut auch weiterhin nur in ihre Firma. „Ich dachte, ich bin so wichtig, dass ohne mich gar nichts läuft.“ Statt auf Reha zu gehen, buchte sie drei Wochen Wellness-Hotel, brach dann alle Therapien ab – „ich hatte doch keine Zeit!“ – , und düste zurück zur Arbeit.
Im Januar 2011 wurden ihr fünf weitere Stents gelegt. Doch noch im Krankenhaus erlitt die Geschäftsfrau ihren fünften Herzinfarkt. Nach der Not-OP, bei der ihr mehrere Bypässe – Umleitungen für verstopfte Gefäße – eingesetzt wurden, lag sie wochenlang im künstlichen Koma. „Die Zeit danach war furchtbar.“ Vor allem psychisch lag Rudolf am Boden. „Ich war so was von fertig, hatte unheimliche Depressionen, einen Burnout. Alles war nur noch ein Alptraum.“
Doch es war auch ein Wendepunkt. „Innerhalb von drei Monaten habe ich in München alles verkauft – Firma, Immobilien – und bin nach Leipzig gezogen.“ Eine Freundin hatte sehr vom „gechillten“ Leipzig geschwärmt. „Ich kannte die Stadt zwar nicht, aber ich wusste: Ich muss weg aus der Münchner Hektik.“
Christiane Rudolf hat in der neuen Umgebung ihre innere Ruhe wiedergefunden. Und ihre Freude am Leben – nicht zuletzt auch durch eine Lichttherapie. „Ich hab' nicht nur spontan aufgehört zu rauchen, sondern mein komplettes Leben umgekrempelt.“
Und sie hat eine Bioenergetik-Praxis aufgebaut – aufgrund der Erfahrungen am eigenen Leib. Die Arbeit dort – da ist sich Christiane Rudolf ganz sicher – wird nie in Dauerstress ausarten. „Ich brauch' das Höher-Schneller-Weiter nicht mehr.“ Zwar interessieren sich viele für ihre Arbeit – unter anderem die Kitzinger Zahnärztin Katharina Orlob –, aber an manchen Tagen lässt Rudolf ihre Praxis einfach geschlossen und macht das, wofür sie so lange vermeintlich keine Zeit hatte: leben.
Sie sagt, sie habe gelernt, jeden Moment so zu genießen, wie er ist. „Man hat letztlich nicht alles, was passiert, selbst in der Hand.“ Mit dieser Erkenntnis gehe es ihr gut. „Das Leben ist wunderschön!“
„Mir ging es rein ums Geld“
Genau den gleichen Satz sagt heute auch Andreas Teufel. Der Wiesentheider, der früher beim Grenzschutz war und dann eine Druckerlehre anschloss, war auf eine andere Art arbeitssüchtig als Rudolf. „Bei mir ging es rein ums Geldverdienen.“ Schon während seiner Ehe, aber auch nach der Trennung von seiner ersten Frau buckelte er, was das Zeug hielt – unter anderem, um seinen Töchtern „mehr bieten zu können als den normalen Unterhalt“. Wenn seine Spätschicht in der Druckerei um 22 Uhr endete, begann um 22.30 Uhr sein Dienst in einer Disko.
Dass er seine Kinder nicht mehr um sich hatte, war für Andi Teufel auch eine seelische Belastung. „Ich hab' immer noch mehr gearbeitet. Mich immer noch mehr reingestresst. Irgendwann habe ich Herzprobleme gekriegt, aber ich war zu stolz, um zuzugeben, dass es mir schlecht ging.“ Andreas' Leben kippte. „Ich bin ganz unten gelandet.“
Dann kam Sabine. „Sie ist für mich vom Himmel gefallen – wie ein Engel, wirklich“, sagt Andi Teufel. „Sie hat mir den Sinn des Lebens gezeigt.“ Durch die neue Frau an seiner Seite habe er zum Beispiel gelernt, wie es sich anfühlt, sich von Herzen zu freuen. „Früher bin ich durch den Schlosspark gelaufen, ohne nach rechts oder links zu schauen. Heute setze ich mich mit Sabine und unseren Kindern unter die große Weide und freue mich an der Sonne, am Gras, den Blumen... Das alles ist mir vorher gar nicht aufgefallen.“
Vor kurzem habe er mal „einen Tag gar nichts gearbeitet“, erzählt Andreas Teufel lachend. Er sei an diesem Tag „komplett runtergefahren“. Ein unglaublich gutes Gefühl sei das gewesen.
In Andreas Teufels neuem Leben gibt es ein paar Prämissen: „Ich habe gelernt, nicht immer zu allem und jedem ja zu sagen. Sondern auch mal gegen den Strom zu schwimmen, wenn ich von einer Sache überzeugt bin.“ Außerdem ist sich der 38-Jährige heute sicher: Geld macht nicht glücklich. „Am glücklichsten machen mich Sabine und die Kinder.“
Andreas Teufel hat seinen Engel gefunden. Und Christiane Rudolf? Die hat sich direkt an Gott gewandt. Die Zeit auf der Intensivstation, nach dem Koma, war für sie das denkbar schrecklichste Erlebnis. Aber sie ist trotzdem dankbar dafür. Denn: „Ich habe dort einen Deal gemacht – einen Deal mit Gott“, sagt die 65-Jährige. „Ich habe gesagt: 'Pass auf, Freund, entweder Du lässt mich schlagartig sterben. Oder Du zeigst mir, was ich machen soll'“.
Dauern „unter Strom“?
Workaholics-Tag: Am 6. Juli wird auf die Gefahren der Arbeitssucht aufmerksam gemacht und für eine bessere Work-Life-Balance geworben.
Was ist Arbeitssucht? Arbeitssüchtig ist, wer trotz guter Vorsätze nicht aufhören kann zu arbeiten. Mit der Suchterkrankung geht eine Wahrnehmungsveränderung einher; Betroffene vernachlässigen Partner, Freunde, sich selbst. Oft werden sie krank (Burn-Out, Herzprobleme).
Was tun? Therapeutische/ psychosomatische Behandlung; Infos: www.arbeitssucht.de; Die Selbsthilfegruppe der Anonymen Arbeitssüchtigen trifft sich jeden 1. und 3. Dienstag im Monat um 19 Uhr im Selbsthilfehaus, Scanzonistr. 4, Würzburg.