zurück
SEGNITZ
Ein Augenzeuge der Nachkriegszeit in luftiger Höhe
Geschichte Segnitz' Bürgermeister Konrad Schlegelmilch hat die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegszeit beschrieben. 65 Jahre danach gibt der Text – unterm Kirchturmhahn aufbewahrt – einen spannenden Einblick in das Leben damals.
Höchstes Segnitzer Archiv 2004 (links):Bei der Erneuerung des Kirchturmhahns 2004 kam neben Urkunden ein Schriftstück ans Licht, das die Segnitzer Kriegs- und Nachkriegsgeschichte zwischen 1939 und 1960 erzählt.Bedeutende Nachkriegsleistung 1948/49 (Mitte):Der Wiederaufbau der von deutschen Wehrmachtstruppen zerstörten SegnitzerMainbrücke gelang den Segnitzern und ihren Nachbarn.Bürgermeister von 1948 bis 1966 (rechts):Konrad Schlegelmilch war zudem Autor der in der Kirchturmkugel hinterlegtenSegnitzer Kriegs- und Nachkriegsgeschichte.
| Höchstes Segnitzer Archiv 2004 (links):Bei der Erneuerung des Kirchturmhahns 2004 kam neben Urkunden ein Schriftstück ans Licht, das die Segnitzer Kriegs- und Nachkriegsgeschichte zwischen 1939 und 1960 ...
Norbert Bischoff
 |  aktualisiert: 05.05.2015 11:35 Uhr

Über die Ereignisse der Nachkriegszeit in Segnitz findet sich ein „hoher“ Augenzeuge. In einer Schatulle in der Kugel unter dem Kirchturmhahn schlummerte neben vier weiteren Urkunden auch ein Schriftstück aus dem Jahr 1960, wiederentdeckt bei einer Öffnung 2004. Autor der Zeilen ist der damalige Bürgermeister Konrad Schlegelmilch. Damals sah sich „die politische Gemeinde veranlaßt, aus Anlaß der inneren und äußeren Um- und Neugestaltung der Segnitzer Kirche das Schieferdach des Kirchturms und die darunter befindliche Verschalung zu erneuern“. Was Konrad Schlegelmilch über die Zeit seit der letzten Öffnung der Kirchturmspitze im Jahr 1939 zu berichten weiß, soll hier in Auszügen wiedergegeben werden.

Schlegelmilch knüpft zunächst an die Urkunde des damaligen Pfarrers Karl Danner vom 26. August 1939 an. Pfarrer Danner schließt seine Nachrichten mit dem Hinweis: „Diese Zeilen wurden geschrieben als man mit dem erneuten Ausbruch des Krieges stündlich rechnen mußte. Möge uns der Friede erhalten bleiben! Gott aber schütze fernerhin sein Haus und unsere Gemeinde.“

In der Fortsetzung Schlegelmilchs heißt es: „Der Wunsch des damaligen Pfarrers Karl Danner nach Erhaltung des Friedens ist nicht in Erfüllung gegangen. 2 Tage nachdem Herr Pfarrer Danner die Urkunde im Turmknopf verschlossen hatte, brach der Krieg aus, der mit dem Einmarsch in Polen begann und sich zum 2. Weltkrieg ausartete.“

Den Verlauf des Krieges an der „Segnitzer Front“ schildert der Bürgermeister so: „Die Feuerstürme dieses Krieges berührten unser Dorf kaum. In den letzen Kriegstagen kurz vor dem Durchmarsch der Amerikaner sprengten deutsche Soldaten die Mainbrücke und eine vermutlich von einem deutschen Flieger im Notwurf geworfene kleine Bombe explodierte gegenüber der Gastwirtschaft zum Goldenen Anker. Durch Splitter wurde die Gastwirtsfrau Luise Bogner im Gesicht verletzt und ihr Kleinkind in seinem Bettchen getötet.“ Nach der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 habe sich „das große Leid, das sich im Krieg schon über das deutsche Volk ausgebreitet hatte“, ins Uferlose gesteigert.

„Die Einwohnerzahl erhöhte sich schlagartig von 600 auf über 900 Personen. “
Konrad Schlegelmilch, Segnitzer Bürgermeister von 1948 bis 1966

Die schlechte Zeit begann, so Konrad Schlegelmilch, „mit der Vertreibung der Deutschen aus ihren jahrhundertealten Gebieten, wie Pommern, Ostpreußen, Schlesien und dem Sudetenland. Das Land bis zur Elbe war von Russen besetzt. Der Strom der vertriebenen Millionen von Deutschen ergoß sich in das Gebiet, das heute die Bundesrepublik bildet. Auch Segnitz mußte eine große Zahl von Vertriebenen aufnehmen. Jedes nur einigermaßen benutzbare Zimmer wurde mit Menschen belegt. Die Einwohnerzahl erhöhte sich schlagartig von 600 auf über 900 Personen.“

Weiter beschreibt er, dass alle Deutschen die der NSDAP Adolf Hitlers angehört hatten, aus ihren Ämtern und Stellungen entfernt wurden. „Das Denunziantentum gewann die Oberhand.“ So habe auch Segnitz eine neue Gemeindevertretung erhalten, an deren Spitze zunächst der Bauer Leonhard Rödel stand, der einige Zeit später von dem Platzmeister Hans Kleylein abgelöst wurde. „Die derzeitige Gemeindevertretung, durch freie Wahlen gewählt, besteht aus dem Bürgermeister Konrad Schlegelmilch, Landwirt in Segnitz, der das Bürgermeisteramt schon seit 1948 innehat und unsere Gemeinde auch im Kreistag des Landkreises vertritt, aus dem 2. Bürgermeister Oskar Schober und aus den Gemeinderäten Hans Seidel, Hermann Krackhardt, Hans Volkamer, Leonhard Kachelrieß, Hans Kretschmar, Anton Haubl und Leonhard Müller.“

Weiter geht der Bürgermeister auf die größten Probleme der Nachkriegszeit ein. „Die zerstörte Brücke zwischen Marktbreit und Segnitz, für Segnitz von lebenswichtiger Bedeutung, musste vollkommen neu aufgebaut werden. Durch bakteriologische Untersuchungen wurde festgestellt, daß das Wasser aus mehreren öffentlichen Brunnen ungenießbar geworden war. Der Bau einer Trinkwasserversorgungsanlage mußte geplant werden.“ Probebohrungen in der Gemarkung, so erfährt die Nachwelt aus dem Dokument, verliefen ergebnislos. Schließlich handelte man mit Marktbreit aus, dass das Wasser aus deren Wasserwerk geliefert wurde. 1953 waren die Leitungen gebaut.

Kaum war diese Baumaßnahme erledigt, trat ein neues Problem auf. „Herr Schulleiter Weißensee wies darauf hin, daß die Schulräume zur Durchführung eines geordneten Schulbetriebs nicht mehr ausreichten. Durch den Zustrom der Heimatvertriebenen hatte sich die Kinderzahl erheblich gesteigert. Es waren wohl 3 Lehrkräfte, aber nur 2 Schulräume für etwa 100 Schulkinder im alten, im Jahre 1900 erbauten Schulgebäude vorhanden. Nach langwierigen Verhandlungen wurden 2 neue 70 qm große Schulräume und 1 Gruppenarbeitsraum nach den modernsten Gesichtspunkten errichtet und 1955 in Betrieb genommen.“

„Gott der Allmächtige erhalte uns den Frieden und bewahre uns vor einem 3. Weltkrieg!“
Konrad Schlegelmilch, in seinen Aufzeichnungen von 1960

Auch bei den jüngsten Segnitzern gab es zudem Probleme mit der Unterbringung, wie Schlegelmilch berichtet. „In Segnitz bestand seit Jahren ein Kindergarten, der von Mitgliedern des Kindergartenvereins unter damaliger Leitung von Herrn Pfarrer Danner geschaffen und gestützt wurde. Wegen Mangel an Raum war der Kindergarten, der von durchschnittlich 50 Kindern besucht wird, jahrelang völlig unzureichend in einer Baracke der ,Düsseldorfer' Flüchtlingssiedlung untergebracht. Nach dem Ausscheiden von Pfarrer Danner übernahm Herr Gärtnereibesitzer Michael Krackhardt die Leitung des Vereins. Er hatte es sich infolge seiner glücklichen Heimkehr aus dem Kriege zur Lebensaufgabe gemacht, ein neues schönes Heim für die Kinder zu schaffen. Nach langen kaum zu bezwingen scheinenden Bemühungen gelang es ihm dank der Unterstützung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche den geplanten Bau zu errichten und ihn im Juli 1960 seiner Bestimmung zu übergeben. In ihm ist einer der neuzeitlichsten Kindergärten Unterfrankens, eine Wohnung für die Heimleiterin, ein schöner großer Gemeindesaal und ein Jugendraum zur Verfügung der Kirche, enthalten.“ Anschließend erwähnt Konrad Schlegelmilch noch die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an den scheidenden Pfarrer Karl Danner und die feierliche Einführung seines Nachfolgers Gerhard Walter im November 1957.

Der Gemeinderat hatte 1955 entschieden, für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs eine würdige Gedenkstätte zu schaffen. „Es wurde hierbei die Ansicht vertreten, daß das alte Kriegerdenkmal, das sich auf dem Friedhof befand, im Zusammenhang mit der neuen Planung, einen geeigneten Standort erhalten solle. So entschloss sich der Gemeinderat die neue Gedenkstätte am Fuße des Kirchturmes zu schaffen. Das alte Denkmal fand hier einen schönen Platz, während für die Gefallenen des 2. Weltkriegs, es handelt sich um 42 Segnitzer Söhne und Väter und um 14 Angehörige der hier zugezogenen Heimatvertriebenen, eine große Natursteintafel in künstlerischer Ausführung geschaffen wurde.“ Zudem erhielt 1958 die Ortsstraße eine Teerdecke.

Zum Schluss geht der Verfasser des Schriftstücks auf die allgemeine politische Weltlage ein. „Es tobt ein Machtkampf zwischen Sowjetrußland und den Vereinigten Staaten von Nordamerika, ein Kampf zwischen Bolschewismus und Kapitalismus. Wir befinden uns im Raketen- und Atomzeitalter, der Kampf um den Weltraum hat begonnen! Wenn wir jetzt diese Schrift zusammen mit den anderen aus längst vergangenen Zeiten in den Turmknopf wieder einschließen, so wollen wir damit den hoffentlich nicht wieder vergeblichen Wunsch verbinden: Gott der Allmächtige erhalte uns den Frieden und bewahre uns vor einem 3. Weltkrieg!“

Dann wurden die Berichte Segnitzer Geschichte für die nächsten 44 Jahre wieder in das höchste Segnitzer Archiv zurückgelegt, bis der Kirchturmhahn im Jahr 2004 wieder einmal eine Erneuerung nötig hatte. Bei dieser Gelegenheit konnte auch die Fortsetzung der Segnitzer Geschichte seit 1960 dort droben verewigt werden.

Neubau: Amerikanische Pioniere heben 1959 den Grund für den Kindergarten aus. Im Hintergrund eine Baracke der „Düsseldorfer“ Flüchtlingssiedlung.
Foto: Archiv Norbert Bischoff | Neubau: Amerikanische Pioniere heben 1959 den Grund für den Kindergarten aus. Im Hintergrund eine Baracke der „Düsseldorfer“ Flüchtlingssiedlung.
Ein Augenzeuge der Nachkriegszeit in luftiger Höhe
Ein Augenzeuge der Nachkriegszeit in luftiger Höhe
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Segnitz
Norbert Bischoff
Bolschewismus
Gedenkstätten
NSDAP
Weltkriege
Zweiter Weltkrieg (1939-1945)
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top