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DETTELBACH
Ehrenamtliche schaffen das
Integration: „Deutsch ist für die schnelle Integration sehr wichtig', sagt Gerti Seger-Milde (stehend links). Hans-Jürgen Wendlandt unterrichtet Flüchtlinge in der evangelischen Kirche in Dettelbach.
Foto: Foto:Wienhold | Integration: „Deutsch ist für die schnelle Integration sehr wichtig", sagt Gerti Seger-Milde (stehend links). Hans-Jürgen Wendlandt unterrichtet Flüchtlinge in der evangelischen Kirche in Dettelbach.
KTrwa
 |  aktualisiert: 19.12.2017 03:01 Uhr

Etwa vierzig Menschen sitzen im alten Pfarrhaus in Dettelbach. Sie lauschen Pfarrer Ulrich Vogel, der mit bedeutungsvoller Stimme von christlicher Nächstenliebe und von Verantwortung spricht. Schließlich sei „Deutschland nicht von Ungefähr drittgrößter Rüstungslieferant der Welt.“ Doch es geht an diesem Abend nicht um Verteidigungspolitik, nicht um Schuldfragen und auch nicht um Religion. Es geht um jene 18 Menschen, die nach ihrer Flucht zur Zeit in Dettelbach leben.

Vorne sitzen Heinz Sanwald und Gerti Segerer-Milde. Sie berichten von ihrer Arbeit. Sie haben die ersten Schritte der neuen Nachbarn in Deutschland begleitet.

Sanwald kümmert sich im Auftrag des Landratsamts um unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge. „Inobhutnahme und Clearing“ nennt er sein Aufgabengebiet und meint damit die Unterbringung und Erstversorgung der jungen Flüchtlinge. „Ohne Ehrenamtliche wäre das alles nicht möglich“, sagt er.

Stellvertretend für die Ehrenamtlichen sitzt Gerti Segerer-Milde dort vorne. Ob direkt an den Grenzen, in Erstaufnahmeeinrichtungen oder in der Zeit bis zum Entscheid ihres Asylantrags: Immer sind es die Ehrenamtlichen, die den Flüchtlingen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Sie sind es, die Angela Merkels Satz „Wir schaffen das“ erst mit Leben füllen.

Im Landkreis Kitzingen leben zurzeit knapp 1000 Flüchtlinge. Zwischen 2004 und 2010 waren es noch durchschnittlich 20 Asylbewerber – soviel wie jetzt allein in Dettelbach. Erst 2014 stieg die Zahl schließlich stark an (360). Das hat eine Lücke in die Versorgungskapazitäten gerissen. Ganze vier Mitarbeiter der Caritas sind im Landkreis für die Sozialberatung der Asylbewerber verantwortlich. Viel zu wenige für all die Arbeiten die anfallen. Und so müssen sie eben einspringen: Die freiwilligen Helfer um Segerer-Milde. Sachspenden sammeln und sortieren, Arztbesuche und Deutschunterricht organisieren. Und vor allem Anträge ausfüllen und Ämter aufsuchen. Immer wieder.

Die Zeit für eine gemeinsame Tasse Tee, ein Gespräch, ist knapp. Dabei ist es gerade das, was auch die Helfer selbst glücklich macht. „Wir geben ja nicht nur, wir empfangen auch viel: Dankbarkeit, Freundlichkeit und Offenheit“, erzählt Segerer-Milde den Zuhörern im alten Pfarrhaus.

Angefangen hat Segerer-Milde zusammen mit Ulrike von Bechtolsheim und einem kleinen Helferteam vor knapp einem Jahr. Damals war der Gedanke, mit einer Stunde ab und zu die Flüchtlingsarbeit zu unterstützen. Und heute? „Heute habe ich beispielsweise morgens mit dem Erstaufnahmezentrum in Zirndorf telefoniert, anschließend war ich mit neuen Asylbewerbern beim Winterkleiderbasar. Ich habe ein Fahrrad abgeholt, eine Flüchtlingsfamilie in ihrer Wohnung besucht und dann für einen bereits anerkannten Flüchtling Informationen zur Deutschen Botschaft im Iran gesucht“, erzählt Segerer-Milde von ihrem Arbeitspensum als Ehrenamtliche.

„Es ist eine wirklich schöne Aufgabe, unsere neuen Nachbarn bei ihren ersten Schritten zu begleiten.“
Gerti Segerer-Milde Ehrenamtliche Helferin

Nicht jeden Tag ist so viel los. Trotzdem: „Das geht nur, wenn man nicht noch voll berufstätig ist“, sagt sie. Wenn so viel Arbeit auf den Schultern von Freiwilligen liegt, läuft dann nicht einiges falsch? „Im Moment ist es eben so. Vielleicht hätte man einiges vorhersehen und früher reagieren können. Aber was nützt das jetzt?“, fragt Segerer-Milde pragmatisch. Als belastend empfindet sie eher etwas anderes. Und zwar die Erlebnisse und Situation der Flüchtlinge. „Viele sind traumatisiert. Wenn man dann hört, dass wieder jemand in der Nacht geschrien hat. Wenn uns die Menschen vom Krieg erzählen, da kann man selbst zuhause kaum abschalten“, erzählt Segerer-Milde.

Sorgen macht sie sich indes nicht nur um die Flüchtlinge. Auch wenn die Hilfsbereitschaft in Dettelbach und in der Umgebung groß ist, es gab auch anonyme Beleidigungen und Anfeindungen. „Das finde ich traurig, ja beschämend“, sagt Segerer-Milde. „Ich habe grundsätzlich nichts gegen eine sachliche Auseinandersetzung. Wir sind ja nicht blind, es kann natürlich auch Probleme geben.“ Doch statt konkrete Probleme anzusprechen und aktiv an einer guten Lösung mitzuarbeiten, würden einige lieber an ihren Vorurteilen festhalten.

Dabei gibt es genug Möglichkeiten zum direkten Kontakt. Am 18. November findet beispielsweise in der Schule in Bibergau-Effeldorf um 19 Uhr eine Infoveranstaltung für die im Gebäude geplante Unterbringung weiterer Flüchtlinge statt. Dort hoffen Segerer-Milde und ihre Helferkollegen auch, weitere Unterstützung zu finden. „Es ist eine wirklich schöne Aufgabe, unsere neuen Nachbarn bei ihren ersten Schritten zu begleiten“, versichert sie.

 
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