Kitzingen Sie war 49 Jahre alt, als sie einen Knoten in ihrer rechten Brust ertastete. Es handelt sich um eine aggressive Form von Brustkrebs, ein schnell wachsendes Mamakarzinom mit Lymphknotenbefall. Martina Weltner ließ sich brusterhaltend operieren. Durch ihren Beruf im pharmazeutischen Außendienst hatte die Albertshöferin Einblicke in die Systeme niedergelassener Arztpraxen, Klinikbetriebe, der Pharmaindustrie und der Schulmedizin erhalten. Nach der OP lehnte sie die Chemotherapie ab, zu der ihr die Ärzte rieten. Stattdessen setzte sie auf alternative Heilmethoden. Nach einem Jahr brach der Tumor erneut aus, noch heftiger als beim ersten Mal. Warum sie heute sagt: „Ich will mein Leben vor dem Krebs nicht mehr zurück“, schildert die 56-Jährige am Samstag beim Frauentag in der Siedlung. Im Interview berichtet sie von ihrer bewegten und bewegenden Geschichte.
Jeder Mensch trägt Krebszellen in sich. Warum bricht die Krankheit beim einen aus, beim anderen nicht?
Martina Weltner: Ich denke, weil wir unsere Aufmerksamkeit oft noch immer nur auf den Körper richten. Offensichtlich ist das nicht die Lösung, sonst müssten wir ja gar nicht über das Thema sprechen. Ich weiß heute sicher: Der Geist steht über dem Körper.
Wie meinen Sie das?
Es ist wichtig, von dem, was man tut, überzeugt zu sein. Wenn ich von der Chemo überzeugt bin, ohne dass die Angst mich dazu treibt, wird auch die Chemo ein Weg sein – meiner war es aber nicht.
Warum nicht? Die Behandlungsmöglichkeiten bei Krebs werden doch immer besser, oder nicht?
Das damalige Gießkannenprinzip der Schulmedizin hat sich für mich falsch angefühlt. Starke Chemo, starke Bestrahlung, fünf Jahre lang Hormontabletten – das hat mich total abgeschreckt. Ich habe mich gefragt, wie sinnvoll es ist, meinen ganzen Körper, also auch die intakten, gesunden Zellen, zu vergiften und mein Immunsystem an die Wand zu fahren, in der Hoffnung alle Krebszellen zu erwischen. Manche Patienten sterben ja nicht an den Krebszellen direkt, sondern werden wegen des am Boden liegenden Immunsystems zum Beispiel von einer simplen Lungenentzündung dahingerafft. Von der fehlenden Lebensqualität während und nach der Bestrahlung und der Chemo gar nicht zu reden.
Dachten Sie, Sie könnten einem aggressiven Brustkrebs im dritten von vier möglichen Stadien nur mit alternativen Methoden beikommen?
Nein, nicht nur. Aber auch. Ich hatte mich ja für die operative Entfernung des Tumors entschieden. Aber ich hatte dieses Bauchgefühl, das besagte: Die Schulmedizin allein ist nicht dein Weg, die bleibt immer im Körperlichen hängen. Ich wollte keine Chemo. Stattdessen habe ich mich auf die Suche nach Alternativen begeben, die meinem ganzen Wesen entsprechen.
Normalerweise ist zwischen der OP und dem Beginn der Chemo oder Bestrahlung nicht viel Zeit.
Ja, und das hat mich sehr gestresst. Gleich im Anschluss an die OP sollte die Chemo stattfinden. Das war großer psychischer Druck, dem ich mich zum Glück nicht hingegeben habe. Stattdessen war ich mehrere Wochen lang sowohl in einer Klinik für Traditionelle Chinesische Medizin als auch in einer Klinik für immunbiologischen Therapieaufbau. Ich habe Yoga gemacht, Klangmeditationen und Entspannungsübungen, hatte homöopatische Behandlungen und hochdosierte Infusionsbehandlungen. Auf Sri Lanka habe ich bei einem Schamanen gelebt und Einblick in die Meditationslehre der Buddhisten bekommen. Bei einem Urvolk im Himalaya habe ich zudem mein Bewusstsein geschult.
Trotz allem: Der Krebs kam zurück, ein Jahr nach der Ersterkrankung. War die Alternativmedizin also eine Fehlentscheidung?
Nein, ganz sicher nicht. Ich glaube, dass jeder seinen eigenen, ganz individuellen Genesungsweg gehen muss. Aber wie soll man wissen, wie dieser verläuft, wenn man die alternativen Möglichkeiten nicht kennt, sondern nur eine Seite der Medaille? Um sich aus dem riesigen Strauß der Möglichkeiten das Passende herauszusuchen, braucht man Zeit – aber die hat man nach der Diagnose vor lauter Angst und Verwirrung nicht. Deshalb ist es mir eine Herzensangelegenheit, darüber zu sprechen.
Würden Sie rückblickend etwas anders machen?
Fragen Sie mich lieber, was ich aus meiner Krankengeschichte gelernt habe. Aus heutiger Sicht bin ich dem lieben Gott auch sehr dankbar dafür, dass er mir Krebs Nummer 2 schickte. Nach Krebs Nummer 1 wollte ich jede betroffene Frau dazu bekehren, keine Chemo zu machen, sondern ausschließlich auf alternative Heilmethoden zu setzen. Heute weiß ich, dass das falsch war. Jeder Mensch muss seinen eigenen Weg gehen, ohne von Angst geleitet zu werden.
Wie sah Ihr Weg nach dem Rezidiv aus?
Ich ließ die ganze Brust entfernen und gleich wieder neu aufbauen. Es war eine große und keine leichte OP, aber das Ergebnis ist toll und macht mich bis heute zufrieden. Ich habe damals außerdem den Rat des Tumorboards in München befolgt und an die OP eine Bestrahlung angehängt. Seit 2014 bin ich krebsfrei.
Inwiefern hat sich Ihr Leben nach der Erkrankung geändert?
Ich war früher eine Karrierefrau, die nicht auf ihre Ernährung geachtet und allen möglichen Stress mit sich herumgetragen hat. Heute lebe ich in abgeschiedener Ruhe auf einem Berg im Westen Irlands. Hier ist mir ganz deutlich geworden, in welchem Dilemma sich viele Menschen aktuell befinden. Ich erhalte viel Besuch aus Deutschland, der nicht mehr imstande ist, die Lasten des Alltags zu tragen. Fast alle haben ihren persönlichen Krebs mit im Gepäck – nicht unbedingt Tumore, aber körperliche Gebrechen, Burnout, Depressionen oder Verzweiflung nach dem Verlust eines geliebten Menschen. In der Natur der grünen Insel kann man sehr gut zur Ruhe finden. Und zu sich selbst.
Sehnen Sie sich wirklich nicht nach Ihrem früheren Leben, dem Leben vor dem Krebs?
Nein! Wenn die Leute sagen, Krebs sei eine Schicksalsschlag, dann sage ich: Ja, das Schicksal gibt einem einen Schlag. Aber ich sehe ihn nicht als K.O.-Schlag, sondern eher als Schubs in die richtige Richtung, als Kurskorrektur, um mich auf den richtigen Weg zu bringen. Die Krankheit birgt eine unglaubliche Chance, sein Leben neu zu ordnen, das Wesentliche zu sehen und die Werte zu finden, die einem wirklich wichtig sind. Man muss die Chance nur erkennen. Und annehmen.