Fragt man Christoph Mix, was das Besondere an Kräutern und Gewürzen sei, holt er erst einmal Luft, rückt sich in seinem Stuhl zurecht und blickt dann noch eine Weile in die Leere eines schlichten Besprechungsraums am Rande des Dörfchens Abtswind. Zwischen explodierenden Energiepreisen und bemerkenswerten Umsatzschüben sortiert ein fränkischer Unternehmer seine Gedanken. Draußen, im gleißenden Sonnenlicht des zu Ende gehenden Tages, verabschieden sich die Mitarbeiter in den Feierabend. Für Mix läuft der Tag jetzt erst so richtig an, er ist ein Nachtarbeiter. Kräuter also. Als Kind ging er selbst immer wieder zum Sammeln mit raus in die Natur. Sie wachsen an wilden Sträuchern oder Büschen, müssen im Zweifel per Hand gesammelt werden. "Und da", sagt Mix, "fängt mein Problem schon an."
Kräuter Mix ist ein Betrieb, den jeder sehen und vor allem riechen kann, der regelmäßig die A 3 zwischen Würzburg und Nürnberg entlangfährt. Bis hinüber zur nahegelegenen Autobahn wabern die Gewürzwolken und Kräuternebel, die aus den klinisch weißen Produktionshallen entweichen. Düfte und Aromen, die in so ziemlich jeder Tütensuppe, jeder Fertigpizza und jedem Gewürzstreuer stecken, aber auch in Arzneimitteln, Tees und Tierfutter.
Auf den Verpackungen liest man den Namen Kräuter Mix dennoch nie, was daran liegt, dass das Unternehmen ausschließlich an Geschäftskunden liefert: Nestlé, Unilever, Mondelez, Kneipp. Säckeweise werden gehackte Erdbeerblätter, zerstoßene Brennnessel oder geriebene Meisterwurzel in große Lastwagen verladen und in alle Welt geschickt. "Aber erst einmal", sagt Christoph Mix, "muss die Kräuter einer sammeln." Und die Frage, die sich auch Sohn Bernhard stellt, ist: Lohnt sich das noch?
Zwei Zahlen sind es, die zu Christoph und Bernhard Mix führten. Im Jahr 2021 hat ihr Unternehmen erstmals einen Umsatz von 140 Millionen Euro erzielt und zugleich die Schwelle von 500 Mitarbeitern erreicht. Das gab es in der 103-jährigen Firmengeschichte noch nie. Noch beeindruckender wird das Ergebnis, wenn man es mit Zahlen von vor zehn Jahren vergleicht. Sowohl Umsatz als auch Personal haben sich in dieser Zeit nahezu verdoppelt. Woran sich die Frage knüpft: Wie gelingt es in einem zunehmend schwierigen politischen und gesellschaftlichen Umfeld, derart zu wachsen?
Christoph Mix ist als Kind selbst durch die Natur gestreift und hat die vielfach wildwachsenden Kräuter gesammelt. Aus diesen Exkursionen in die Natur hat er viel gelernt. In seinem Metier macht ihm so schnell niemand etwas vor. Viele Wildkräuter bezieht die Firma heute aus Osteuropa, sie werden dort per Hand gepflückt. Aber es gibt immer weniger Arbeitskräfte. "Die Leute können bequemere und besser bezahlte Jobs finden", sagt Christoph Mix. Das ist die eine Herausforderung, mit der sein Unternehmen kämpft.
Die andere: Gesetzliche Auflagen werden immer höher, Pestizid-Grenzwerte immer strenger, was ja grundsätzlich zu begrüßen sei. Aber oft verstehen seine Lieferanten nicht, was er jetzt wieder von ihnen will. Sie haben doch über Jahrzehnte gute Ware geliefert. Manche Geschäftsbeziehung musste er deshalb kappen. Geschadet hat das dem Unternehmen nicht – weil es zu jeder Zeit breit genug aufgestellt war, um Lücken adäquat zu schließen.
Kräuter Mix pflegt Kontakte in 70 Länder und zum Teil jahrzehntelange Lieferbeziehungen. Christoph Mix, Jahrgang 1952, kommt aus einer Zeit ohne Internet und Google. Seine Kundschaft klapperte er noch mithilfe von Adressverlagen ab. "Ich habe mich über jeden kleinen Auftrag gefreut", sagt er. In "Tippel-Schritten" entwickelte er den Betrieb zur heutigen Größe. "Ich hatte nie einen konkreten Plan erstellt, welchen Umsatz ich am Jahresende gemacht haben wollte", sagt er.
Bernhard Mix, Jahrgang 1979, der gleichberechtigt mit seinem Vater die Geschäfte führt, widerspricht nicht explizit, sagt aber: "Es sollte schon einen Fixpunkt geben, an dem man sich orientiert." Das zeigt, dass sich die Zeiten ändern, was auch für Geschäftsbeziehungen gilt. Viele Verhandlungen führt Bernhard Mix nicht erst seit Corona via Telefon- und Videokonferenz.
1,4 Milliarden Euro werden laut Onlineportal Statista in Deutschland jährlich mit Kräutern und Gewürzen umgesetzt, 17,69 Euro pro Kopf bei 900 Gramm Verbrauch – ein überschaubarer Markt, und die Frage bleibt: Gehört Kräuter Mix überhaupt dazu? Bis vor zehn Jahren handelte die Firma nur am Rande mit Gewürzen, Pfeffer etwa hatte sie gar nicht im Sortiment. Bernhard Mix brachte das Thema Wacholderbeeren groß heraus, die vor allem für die Gin-Produktion gebraucht werden. Beim Wacholder ist man mittlerweile Marktführer in Europa. Aber bei der Vielfalt des Sortiments, das Kräuter Mix bietet, fällt ein Vergleich mit Wettbewerbern schwer. Vergleichen womit und mit wem? "Wir bewegen uns mit unserer Firma in einer Nische", sagt Bernhard Mix. Und wenn man ihm so zuhört, soll das auch so bleiben.
Wer auf das weitläufige Betriebsgelände von Kräuter Mix kommt, ist erst einmal betört. So viel natürlichen Duft und Aroma ist man in unserer zunehmend sterilen Welt nicht mehr gewohnt. Wenn Produktionsleiter Axel vom Berg im petersiliengrünen Kittel durch die Werkhallen führt, in denen einem ständig Gabelstapler entgegenkommen, ist das wie eine kulinarische Weltreise. Es braucht manchmal nur wenige Schritte, um von einer Kultur in die nächste zu wechseln. Vom Zauber des Orients geht es nach Fernost, von der Wildheit der Provence ins Piemont und von der deutschen Backstube in die indische Suppenküche. Am Ende sind es so viele Eindrücke, dass die Sinne verrücktspielen.
Gefragt sind ein kritisches Näschen und ein sensibler Gaumen
Man macht sich keine Vorstellung davon, wie viele Schritte nötig sind, bis eine Handvoll Heidelbeerblätter in einem Teebeutel oder eine Ladung Pfefferkörner in einer Gewürzmühle landen. Im hochtechnisierten Drei-Schicht-Betrieb werden sie gereinigt, getrocknet, schließlich vermahlen, weiterverarbeitet oder zu Gewürzmischungen vermengt. Zuvor jedoch müssen sie das kritische Näschen und den sensiblen Gaumen von Peter Wendel passieren. An ihm kommt kein Lieferant vorbei.
Säuberlich aufgereiht stehen in einem kleinen Raum unter hellem Neonlicht Schälchen und Tassen auf einer Art Theke. Die vier roten Flüssigkeiten unterscheiden sich nur in Nuancen. "Je dunkler, desto milder", sagt Wendel. Hibiskus, Grundlage jeder Früchteteemischung, gibt dem Getränk seine hübsche Farbe. Für Wendel entscheiden außerdem Geruch und Geschmack. An 60 bis 70 Schälchen und Tassen nippt er – jeden Tag. Hochgerechnet auf 35 Arbeitsjahre ergibt das 575.000 Probeverkostungen. Sein wichtigstes Hilfsmittel: Erfahrung. Wer die Natur als Lieferanten hat, erlebt jedes Jahr anders. Das macht die Sache spannend – und herausfordernd. "Es ist ja nicht so, wie wenn ich ein Auto zusammenschraube. Immer der gleiche Motor, immer die gleiche Karosserie", sagt Wendel.
Über dem Hof liegt das Reich von Thomas Schmidt. Wer hinein will, benötigt eine Schutzbrille, und nach wenigen Minuten wird einem klar, warum. Hier, im Prüflabor, werden in kleinen Öfen Pflanzen getrocknet und in Glaskolben Substanzen verdampft, und so wabern unablässig ätherische Öle durch den Raum, die sich auf Augen und Schleimhäute legen. Eine reizende Umgebung, in der mittels chemischer Analysen die Qualität der Ware bestimmt wird.
Noch einmal einen Steinwurf weiter geht es mit Schutzhaube und Kittel durch Sicherheitsschleusen schließlich in die Schatzkammer des Unternehmens. Große Hallen mit Säcken voller Piment, Wacholder, Zwiebeln, Ingwer oder Erdbeerblätter. Fast 30.000 Tonnen Kräuter und Gewürze werden hier pro Jahr verarbeitet. An Maschinen, die Axel vom Berg liebevoll "unser Raumschiff Enterprise" nennt.
Die erste Entkeimungsanlage ging vor 20 Jahren in Betrieb
Dicke und dünne Rohre winden sich über mehrere Stockwerke, in ihrem Innern werden durch Saugen und Blasen Fremdstoffe aus der Ware gesiebt. Direkt nebenan rüttelt und schüttelt eine brüllende Maschine, was aus Trichtern in sie hineinfällt. Ein Flachbettmischer, in dem sich gerade eine italienische Kräutermischung zurechtruckelt. Rund ein Viertel der Produkte durchläuft noch eine der fünf Anlagen zur Keimreduzierung, die erste ging vor 20 Jahren in Betrieb. Heißer Wasserdampf tötet zuverlässig Keime ab, danach muss das Produkt wieder aufwendig getrocknet werden, bevor es in große Säcke verpackt wird. Viele landen dann erst einmal im Zentrallager in Wiesentheid, das so groß ist wie zehn Fußballfelder und in dem seit 2021 fahrerlose Transportsysteme als intelligente Logistikhelfer arbeiten.
Immer dort, wo es nötig war, hat Mix in den Fortschritt investiert. Ein moderner Maschinen- und Anlagenpark erlaubt dem Unternehmen heute Dinge zu tun, die vorher nicht möglich waren. Gleichzeitig hat der Patriarch, der 2017 seinen jüngeren Sohn Steffen bei einem Autounfall verlor, nicht alle Verbindungen in die Vergangenheit gekappt. Er kultiviert Geschäftsbeziehungen, die noch sein Großvater aufgebaut hat – das schafft Nähe und bildet Vertrauen.
Geschäfte mit Indien, China, den USA – welcher Betrieb kann das bieten?
In mancher Hinsicht wirkt der Betrieb mit seinen 500 Beschäftigten immer noch wie eine Familie, gleichzeitig streckt er seine Fühler in alle Welt aus. Er bezieht den Großteil seiner Rohstoffe im Ausland, veredelt sie und schickt sie etwa zur Hälfte wieder in den Export. "Wir machen Geschäfte mit der ganzen Welt", sagt Bernhard Mix. Mit Indien, mit China, mit den USA, "natürlich auch mit Deutschland und Europa. Das können nicht viele Firmen bieten." Mit dieser globalen Ausrichtung wird das Unternehmen vor allem für junge Menschen attraktiv.
Und: Die Firma beschert der 835-Seelen-Gemeinde Abtswind regelmäßig traumhafte Steuerkraftzahlen. Ein Großteil der für dieses Jahr kalkulierten 950.000 Euro an Gewerbesteuern wird von Kräuter Mix kommen, auch wenn der Ukraine-Krieg und die gestiegenen Energie- und Transportkosten auf das Ergebnis schlagen könnten. Christoph Mix ist um die Zukunft nicht bange. Er sagt: "Wer gute Arbeit macht, wächst auch." Mit Sohn Bernhard steht die vierte Generation in den Startlöchern. Dass er eines Tages hier Verantwortung übernehmen würde, war keine Frage. "Ich habe schon in der Schule Bilder von mir als Chef gemalt."
gehts in Zukunft auf Kur nach Abschwind