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KITZINGEN
Die Sache mit den Noten
Gute Noten sind nicht alles: Hilde Andersson hat viel Erfahrung als Beratungslehrerin und weiß, dass ein Zwischenzeugnis kein Stempel ist, der einem für immer aufgedrückt wird.
Foto: Diana Fuchs | Gute Noten sind nicht alles: Hilde Andersson hat viel Erfahrung als Beratungslehrerin und weiß, dass ein Zwischenzeugnis kein Stempel ist, der einem für immer aufgedrückt wird.

Das Gespräch führte

Diana Fuchs

 |  aktualisiert: 02.11.2015 14:38 Uhr

Manche Sätze ändern sich nie. Diesen hat wohl jeder schon gehört: „Heute schlägt die Stunde der Wahrheit.“ Auch ein Klassiker: „Jetzt kommt das böse Erwachen.“ An Tagen wie heute – es ist Zwischenzeugnistag – könnte man auf die Idee kommen, die Zeit sei stehen geblieben. Vor dem ersten Blick auf die Zahlenreihen und Lehrerbemerkungen greift eine intensive Spannung um sich – seit eh und je. Hilde Andersson, Beratungslehrerin an der Mittelschule Kitzingen-Siedlung, kennt das Gefühlswirrwarr der Schüler gut. Sie weiß, was der Nachwuchs heute braucht.

Frage: Die richtig große Überraschung kann es doch heute eigentlich gar nicht geben. Die meisten Schüler wissen doch zumindest ungefähr, wie sie in welchem Fach stehen, oder?

Hilde Andersson: Die meisten schon. Und die Eltern sollten es ebenfalls wissen, schließlich mussten sie ja die Proben unterschreiben und bekamen in der Sprechstunde oder am Elternabend weitere Infos. Aufregung und Spannung vor der Zeugnisausgabe ist trotzdem immer da.

Das komische Gefühl, das entsteht, sobald der Lehrer mit dem „Urteil“ in der Hand vor die Klasse tritt – daran erinnert sich jeder.

Andersson: Heutzutage versucht man aber schon, den Moment nicht unnötig dramatisch zu machen. Viele Lehrer teilen die Zeugnisse in alphabetischer Reihenfolge aus. Sie beobachten die Kinder, gehen durch die Reihen und wenn sie sehen, dass jemand besonders betroffen ist, dann reden sie natürlich mit ihm oder ihr.

Bestimmt lassen es sich manche Schüler aber gar nicht anmerken, wenn sie enttäuscht sind, oder?

Stimmt. Nach außen hin reagieren viele betont cool, aber innerlich sieht es anders aus. Manche werden auch ganz still. Es gibt auch mal Tränen.

Wie kann man die Kinder und Jugendlichen dann trösten?

Andersson: Wir reden einfach ehrlich und offen mit ihnen. Brisant ist es ja vor allem bei den Älteren, die sich bald für eine Ausbildungsstelle bewerben müssen. Ihnen macht man klar, dass sie das Ruder noch herumreißen können, wenn sie sich jetzt hinsetzen und bis Jahresende den Stoff nachholen, den sie verpasst haben. Viele motiviert es, wenn man ihnen vorrechnet, dass sich die Anstrengung lohnt. Die 20 000 bis 25 000 Euro, die man durch eine Ehrenrunde verliert, wollen sich viele dann doch sparen. Immerhin könnte man sich dafür ein richtig schickes Auto kaufen.

Haben es Mittelschüler nicht generell schwerer, weil ihre Schulzeit quasi komplett mit der Pubertät zusammenfällt, die das Lernverhalten unbestritten extrem beeinflusst?

Andersson: Natürlich müssen Mittelschüler sehr viel schneller erwachsen werden als zum Beispiel Gymnasiasten! Wir begleiten die Schüler von der 7. bis zur 9. Klasse und merken hautnah, dass sie einen enormen Wandel mitmachen: vom schwer pubertierenden Haufen bis zu durchaus arbeitswilligen und vernünftigen Neuntklässlern.

Wie ernst sind eigentlich die Bemerkungen im Zeugnis zu nehmen, die auf das Wesen und den Charakter des Schülers schließen lassen?

Andersson: Anders als beim Arbeitszeugnis entsprechen diese Bemerkungen den Tatsachen. Sie sind eins zu eins zu verstehen. Wenn es zum Beispiel heißt: „Der Schüler ist zu großen Teilen gut im Unterricht dabei“, dann ist das auch so gemeint, wie es da steht. In einem Arbeitszeugnis würde so eine Formulierung dagegen bedeuten, dass der Betreffende nicht selten abschweift.

Das ist ja interessant. Was will denn der Lehrer zum Beispiel mit dem Satz ausdrücken: „Der Schüler ist sehr aufgeweckt“?

Andersson: Das ist ganz klar etwas Positives. Es bedeutet, dass der junge Mensch aktiv und selbstsicher auftreten und seinen Standpunkt vertreten kann. Aber natürlich schwingt speziell in dieser Formulierung auch ein bisschen Dominanz mit.

Wie kommen die Formulierungen zustande?

Andersson: Alle Lehrer sammeln das ganze Jahr über, was ihnen so auffällt. Das kann zum Beispiel sein: „Heute Matheformel-Spezialist“ oder „Merkt sich Vokabeln gut“ oder auch „Arbeitet jetzt viel engagierter mit.“ Aus diesen Notizen ergibt sich dann die Beschreibung.

Was ist in Ihren Augen der größte Fehler, den Eltern am Zeugnistag machen können?

Andersson: Einfach loszuschimpfen oder das Kind mit negativen Bemerkungen herabzuwürdigen – und dadurch noch mehr zu frustrieren. Der Weg durch die Schule klappt dann am besten, wenn ein Vertrauensverhältnis zwischen Eltern, Lehrern und Kindern besteht, wenn man fortwährend miteinander im Gespräch ist. Oft sind sich Eltern und Lehrer ja einig, was die Zukunft ihres Kindes angeht. Die Erwachsenen sollten aber nicht nur über das Kind reden, sondern auch mit ihm – zum Beispiel auch bei den Elternabenden.

Was sagt man zu seinem Kind, wenn dessen Zeugnis heute unter den Erwartungen bleibt?

Andersson: Man kann ganz ehrlich zu seinem Kind sagen: „Das Zwischenzeugnis ist nur eine Bestandsaufnahme. Danach geht es weiter. Wir helfen Dir gerne, wenn Du Dich zusammenreißt und künftig mehr lernst.“

Glücksmomente und eine gute Lernstrategie

Vorbild statt Kontrolleur: Wie Kinder schlechte Noten aufpolieren können, dazu gibt Bildungsexpertin Swantje Goldbach, pädagogische Leiterin der 1997 in Berlin gegründeten Reformnachhilfeschule „Lernwerk“ den Eltern Tipps. Sie sagt etwa, dass gut gemeintes Üben, Hausaufgabenkontrolle und Vokabeln abfragen nichts bringen, außer einer Verschlechterung des Klimas in der Familie.

Besser sei es, kleineren Kindern ein gutes Vorbild abzugeben: „Ihre Tochter übt Mathe und Sie machen zum Beispiel die Steuererklärung!“

Mit allen Sinnen lernen: Nicht nur die Augen benutzen. Selbst bei Grammatikregeln und Matheformeln ist es hilfreich, das Gelesene laut auszusprechen.

Bildschirm weg: „Sofort Fernsehgerät und Computer aus dem Kinderzimmer räumen“, rät Goldbach. Wer direkt nach dem Lernen den Bildschirm einschaltet, laufe Gefahr, das eben Gelernte gleich wieder zu löschen.

Bewegung macht den Meister: Bewegung ist unerlässlich für die Speicherarbeit des Gehirns. Deshalb ist es nicht sinnvoll, auf sportliche Betätigung zu verzichten, wenn es in der Schule nicht läuft.

Glücksmethode: Wer unglücklich ist, kann nicht erfolgreich lernen. Deshalb: Klare Etappenziele formulieren und für Auszeiten sorgen.

Gute Noten sind nicht alles: Hilde Andersson hat viel Erfahrung als Beratungslehrerin und weiß, dass ein Zwischenzeugnis kein Stempel ist, der einem für immer aufgedrückt wird.
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