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KITZINGEN
Die Gauers und das Gemälde-Rätsel
Robert Slusarek, Direktor des Museums in Nowy Sacz (links), bei der Bildübergabe mit Ulrich Gauer.
Foto: Gauer | Robert Slusarek, Direktor des Museums in Nowy Sacz (links), bei der Bildübergabe mit Ulrich Gauer.
Frank Weichhan
 |  aktualisiert: 02.04.2019 11:32 Uhr

Da war es wieder, dieses Bild. Als Ulrich Gauer im Jahr 2015 zusammen mit seinem Bruder Thomas den Nachlass seiner Eltern sichtete, fiel der Blick auch auf ein Bild, das zuvor schon im Haus der Großeltern gehangen hatte. Wahrscheinlich wäre das Ölgemälde zusammen mit anderen Bildern verkauft worden – wenn es nicht noch ein drittes Mal aufgetaucht wäre. Diesmal in einem Fotoalbum des Großvaters, in dem Aufnahmen von dessen Weltkriegseinsatz 1939 klebten.

Begeisterter Hobbyfotograf

Der Großvater, August Gauer, war schon in jungen Jahren begeisterter Hobbyfotograf. Was die damalige Technik hergab, war gerade gut genug. Als stolzer Besitzer einer Leica-Kamera – damals der neueste Schrei – war es für ihn selbstverständlich, die kleine Kostbarkeit Ende der 30er Jahre auch mit in den Kriegseinsatz zu nehmen. Im September 1939 rückte der Kitzinger als Leutnant und Führer einer Landes-Schützenkompanie in Polen ein. Über mehrere Aufenthalte in polnischen Städten und Dörfer gelangte er schließlich nach Spala, einem kleinen Örtchen bei Lódz in der Mitte Polens. Im dortigen Zarenschloss befand sich zu Kriegsbeginn das „Hauptquartier Ost“. August Gauer, der nach dem Krieg in Kitzingen eine Unternehmerpersönlichkeit werden sollte und nach dem später auch eine Straße benannt wurde, befehligte nun die Wachkompanie.

1400 Bilder in neun Monaten

Die freien Minuten nutzte der junge Leutnant, um mit seiner Leica umherzustreifen. In gerade einmal neun Monaten kamen 1400 Bilder zusammen, die noch vor Ort entwickelt wurden und später in zwei dicken Alben landeten.

Fast 70 Jahre später. Die beiden Fotoalben von August Gauer werden von seinen beiden Enkeln bei der Wohnungsauflösung entdeckt und genau angeschaut. Und da war es plötzlich wieder: Jenes Bild, das zunächst beim Großvater und nach dessen Tod 1969 bei seinem Sohn Leonhard hing. Doch wie kann ein Bild in einem Haus in Polen hängen, wenn es sich doch scheinbar seit – gefühlt – jeher im eigenen Familienbesitz befindet?

Keine Ruhe gelassen

Ulrich Gauer ließ die Entdeckung keine Ruhe. Er stürzte sich auf die ebenfalls zahlreichen Briefe seines Großvaters, die er aus dem Krieg in die Heimat nach Kitzingen geschrieben hatte. Wochenlang durchforstet der 59-Jährige die Hinterlassenschaften, fing an zu recherchieren. Am Ende träumte er sogar schon davon: Von Polen. Vom Krieg. Vom Großvater, den er zumindest als Kind noch kurz erlebt hatte. Die Mühe sollte sich lohnen, das Bildrätsel löste sich tatsächlich auf.

Kriegsbeute

Bei dem Bild des polnischen Malers Franciszek Mrazek handelte es sich schlichtweg um Kriegsbeute. Bei einem Aufenthalt in Thomaszów Mazowiecki tat es August Gauer im Haus der Einquartierung ein dort hängendes Ölgemälde an. Er fotografierte es, schickte es an seine Frau Dorothea nach Kitzingen. Bis Mai 1940 war August Gauer in Spala. dann war für ihn das Kriegskapitel beendet, er wurde aus gesundheitlichen Gründen aus der Wehrmacht entlassen und kehrte nach Kitzingen zurück.

In seinem Haus in der Moltkestraße hing das Gemälde bei seiner Heimkehr. 1984 wurde das Haus leer geräumt und grundsaniert, nachdem Dorothea Gauer gesundheitsbedingt in ein Altersheim umziehen musste. Das Bild hing von nun an im Haus von Sohn Leonhard – bis zu besagter weiterer Hauhaltsauflösung im Jahr 2015.

Kontakt zur polnischen Botschaft

Nachdem Ulrich Gauer seine Recherchen abgeschlossen und sich auch mit seinem Bruder abgestimmt hatte, nahm er im Januar 2017 Kontakt mit der polnischen Botschaft in Berlin auf, um über den Fund zu informieren und die Rückgabe des Gemäldes an den polnischen Staat anzubieten. Für die beiden Brüder eine Selbstverständlichkeit – das Bild einfach stillschweigend weiter zu behalten, stand nie zur Debatte.

Die polnische Seite zeigte sich interessiert – weshalb das Gemälde im März 2017 im polnischen Generalkonsulat in München übergeben wurde. Bei dieser Gelegenheit zeigte der 59-jährige Verwaltungsangestellter auch die beiden gefundenen Fotoalben. Der Generalkonsul war beeindruckt und bat, die Aufnahmen zur Auswertung und Reproduktion nach Warschau schicken zu dürfen – was dann auch umgehend geschah.

Viel Recherche

Nach so viel intensiver Recherche stand für Ulrich Gauer inzwischen auch fest: Seine schon länger geplante Reise nach Polen würde jetzt endlich stattfinden. Die Polen erwiesen sich umgehend als perfekte Planer und Gastgeber: Aus Dankbarkeit für die Gemälde-Rückgabe und als Gegenleistung für die historischen Fotos wurde der Aufenthalt in Polen als Studienreise organisieren. Im Oktober 2017 ging es für fünf Tage nach Polen – eine Reise in die Geschichte, die natürlich auch nach Spala führte.

Die Geschichte wäre an dieser Stelle – wenn man so will unter Ausschluss der Öffentlichkeit – zu Ende gewesen. Doch dann kam der 9. Januar dieses Jahres und mit ihm ein Anruf des Generalkonsulats, bei dem sich das ARD-Studio Warschau über die die Rückkehr des Mrazek-Bildes informiert hatte und nun gerne berichten wollte. Der Kitzinger willigte ein und fuhr vom 11. bis 15. Juli zu Filmaufnahmen nach Warschau – inklusive einer Fahrt ins Museum nach Nowy Sadcz, wo sich das Gemälde inzwischen befindet.

Der Bilderfinder

Eine Woche später wurde über rbb der Rundfunkbeitrag „Ein Bilderfinder reist nach Polen“ gesendet, am 28. Juli wurde der Fernsehbeitrag „Die Heimkehr eines Gemäldes“ auf tagesschau.de online gestellt und am 29. Juli im Europamagazin ausgestrahlt.

Ziemlich viel Medienwirbel, den die Kitzinger Brüder so nicht vorausgesehen hatte. Zugestimmt haben sie dann aber doch, „weil wir inzwischen wissen, wie wichtig es für polnische Museen und Archive ist, dass über solche Fälle berichtet wird.“ Es ging ihm, so Ulrich Gauer abschließend, „um die Sache und nicht um meine Person“. Dass sich daraus nach so vielen Jahren auch eine Spurensuche in der Familiengeschichte entwickelte, sei „ein interessanter Nebeneffekt“ gewesen. Die Kitzinger Familie Gauer ist jetzt zwar um ein Bild ärmer – dafür aber um viele Erkenntnisse und einige polnische Freundschaften reichen.

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