
Es gibt nicht viele Tage, die sich ins Gedächtnis der Weltbevölkerung eingebrannt haben. Nicht viele Momente, die das Weltgeschehen veränderten. Der 11. September 2001 gehört zu diesen Tagen. Die Türme des World Trade Center fielen nach einem Terroranschlag in sich zusammen, 2759 Menschen starben. Zwei Männer aus dem Landkreis Kitzingen erlebten diese Stunden hautnah in den USA.
Heinrich Paulus, Iphofen:
„Ich war mit meinem Mitarbeiter Helmut Spamer dienstlich in New York. Am Abend des 10. September standen wir noch oben, auf einem der Türme, wahrscheinlich als zwei der letzten Menschen überhaupt. Am 11. September sollte uns ein Taxi um 9 Uhr zum Kennedy-Flughafen fahren. Der Taxifahrer war, eine absolute Seltenheit in New York, eine Viertelstunde früher da. Wir waren auch schon abreisefertig, und deshalb sind wir noch durch den Hudson-Tunnel gekommen, bevor das Chaos losbrach. Auf der anderen Seite habe ich dann gesehen, wie ein Tower brennt. Der Fahrer meinte, ein Sportflugzeug sei hineingeflogen. Als der zweite Tower zu brennen anfing, war mir klar, dass es sich um einen Anschlag handeln musste. Der Hudson-Tunnel war da schon gesperrt. Wären wir später gefahren, hätten wir die Verwüstung in Manhattan hautnah mitbekommen.
So sind wir bis zum Kennedy-Airport gekommen, aber es ging keine Maschine mehr. Wir haben das letzte Doppelzimmer am Flughafenhotel erhalten. Über Manhattan waren da nur noch schwarze Wolken zu sehen. Drei Tage und Nächte saßen wir am Flughafen fest, durften nicht einmal ins Ausland telefonieren. Zum Glück habe ich eine Tante in Minnesota, der habe ich Bescheid gegeben, dass wir wohlauf sind, und sie hat die besorgten Verwandten in Deutschland informiert.
Diese drei Tage werde ich nie vergessen. Noch heute bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich davon erzähle. Keiner wusste, ob es weitere Anschläge geben wird, es herrschte eine Totenstille am Flughafen, im Hotel waren alle Speisesäle und verfügbaren Räume mit Feldbetten belegt. Nach drei Tagen sind wir mit einem Mietwagen nach Toronto und von dort nach Frankfurt geflogen. Ich war seither nur noch einmal in New York. Die vielen Blumen an der Gedenkstätte. Das alles ist schon sehr bedrückend.“
Weil er Urlaub in den USA machen wollte, flog der Kitzinger Uwe G. Hartmann zunächst von Frankfurt aus nach Toronto. Von der kanadischen Stadt aus sollte es eigentlich weitergehen nach North Carolina. Doch dann erschütterten die Anschläge in New York die Welt – und brachten die Flug- und Urlaubspläne des 58-jährigen Angestellten beim Blutspendedienst durcheinander.
Uwe G. Hartmann, Kitzingen:
„Ich wollte drei Wochen bei Freunden in den USA Urlaub machen. Mein Ziel war North Carolina. Von Frankfurt aus ging es zunächst mit Air Canada nach Toronto, von dort wollte ich weiterfliegen nach Raleigh in North Carolina.
Eigentlich sollte der Flug in Toronto um 21 Uhr starten, aber als wir schon alle am Gate warteten, kam die Ansage: Der Flug verspätet sich um unbestimmte Zeit. Anfangs dachte sich niemand etwas dabei. Ich plauderte mit anderen Fluggästen und mit dem Bodenpersonal von Air Canada, das mit uns in der Halle wartete.
Gegen 23 Uhr kam erneut eine Durchsage: Der Abflug verzögert sich weiter. So ging das bis in die Morgenstunden. Kurz vor 7 Uhr früh kam dann der Aufruf zum Boarding. An der Schleuse stand ein Herr, der sich als Co-Pilot herausstellte und mich direkt ansprach. Er habe vom Personal gehört, dass ich gut Englisch spreche. Deshalb würde er mich gerne als potenziellen Übersetzer in die Nähe des Notausgangs setzen. Ich fragte, warum. Er sagte, sie hätten eine Sicherheitswarnung gehabt, deshalb starte der Flieger auch so spät.
Um 7.20 Uhr hob die Maschine ab, flog an New York vorbei und landete anderthalb Stunden später in Raleigh. Dort, auf dem Flughafen, sahen wir auf den großen Leinwänden die Türme des World Trade Centers in Feuer- und Rauchwolken. Eine junge Dame aus Berlin, die mit mir angekommen war, sagte: „Das muss ein ganz neuer Katastrophenfilm sein, den kenn ich noch gar nicht.“
Ich sah mich um und merkte: Es war völlig ruhig im Flughafen. Das sonst übliche Gewusel fehlte. Es war, als hätte das Leben gestoppt. Ich sagte zu der jungen Frau: „Da stimmt was nicht.“ Als mich meine Gastfamilie abholte, erfuhr ich, was geschehen war. Ich wollte meine Familie daheim informieren, dass mir nichts passiert ist, aber das Handynetz war tot. Erst übers Festnetz meiner Gastfamilie konnte ich meine Frau erreichen, die in Deutschland schon große Angst gehabt hatte.
Ich war schon oft in Amerika gewesen, aber so hatte ich das Land noch nie erlebt. Einerseits war da eine Schockstarre, andererseits lief überall CNN in Dauerschleife. Alle Geschäfte machten dicht, ständig kam in den Medien der Aufruf: Blutspender gesucht. Ich arbeite ja selbst beim Blutspendedienst. Also fuhr ich zum nächsten Spenderort. Wegen der Rinderseuche, die damals in der EU aufgetaucht war, nahmen sie mich als Spender zwar nicht, aber der Chef der Blutspendeaktion lud mich spontan ein, und es entstand eine Freundschaft, die bis zu seinem Tod vor zehn Jahren hielt.
In Krisenzeiten zeigt sich deutlich, dass die Amerikaner große Patrioten sind. Innerhalb kürzester Zeit waren quasi alle Häuser beflaggt und mit gelben Schleifen der Solidarität versehen. Das macht zwar nichts ungeschehen, zeigt aber das Motto: Jetzt erst recht, jetzt rücken wir alle zusammen.
Insgesamt war dieser Urlaub ein einschneidendes Erlebnis. Alle hatten immer im Hinterkopf, dass etwas Schlimmes passiert ist – und man bewegte sich so wenig wie möglich von zu Hause fort. In der Soldatenfamilie, in der ich lebte, war gleich vom Islamischen Staat – IS – die Rede und von Osama bin Laden – beide Namen sagten mir damals noch gar nichts.
Was mich heute noch beschäftigt, ist die Frage: Warum hat der Co-Pilot der kanadischen Maschine vor den Anschlägen von einer Sicherheitswarnung gesprochen? Gab es bei den Amerikanern auch eine solche? Oder hatte sie gar nichts mit den Anschlägen zu tun?“