
Wer Pfarrer Peter Schramm in seine Kirche in Rehweiler gehen sieht, könnte glauben, er betritt gerade sein – zugegebenermaßen – großes Pfarrhaus. Denn die St. Matthäus-Kirche in der 250-Seelen-Gemeinde verrät höchstens durch ihren wiederum dezenten Glockenturm, dass sie ein Gotteshaus ist. Schlicht und einmalig – zumindest in Bayern.
Im Jubiläumsjahr der Gemeinde Castell (1200 Jahre) kommt wieder in den Sinn, welches Unikum ein Mitglied des fränkischen Adelsgeschlechts Castell in den Jahren zwischen 1736 und 1774 in Rehweiler entstehen ließ. Es war Friedrich Ludwig Graf zu Castell-Remlingen, der tief bewegt von seiner Begegnung mit Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf und dessen pietistischen Gedankenguts den Grundstein für die Saalkirche legte.
An den Kirchengründer erinnert sichtbar das Wappen der Casteller – auch wenn dieses recht versteckt an der Wand über ein paar Kirchenbänken hängt.
Schlicht und ganz einfach
„Sehen Sie? Keine Stützen, keine Säulen, alles ist freitragend“, weist Pfarrer Schramm auf die bauliche Besonderheit dieses Kirchentypus hin. Nichts soll den Blick aufs Wesentliche stören, nämlich auf das Wort, das in der Kirche verkündet wird, und die Sakramente. „Das ist der eigentliche Reichtum, der in diesem Haus ausgedrückt werden soll“, erklärt der Geistliche.
Was außen architektonisch mit besagter Sachlichkeit begonnen wurde, setzt sich innen fort. Nicht mal einen Altar im klassischen Sinne mit überdimensionalem Altarbild gibt es, die Kirchenfenster sind transparent und frei von Darstellungen. Das einzige etwas Prunkvollere ist die Kanzel über dem einfachen Tisch, der als Altar fungiert.
Daneben steht noch ein kleiner, mit Geschirr gedeckter Tisch. „Das gehört noch zu einer Aktion mit den Konfirmanden“, erklärt Pfarrer Schramm bei der Besichtigung. Am Tisch des Herren sitzen, wie es Jesus mit seinen Jüngern praktizierte: das wird dort auch umgesetzt. Die Kirchengemeinde hat etwa 550 Mitglieder aus Rehweiler und Umgebung – lebendige Kirche, die wird hier praktiziert.
Anhänger des Pietismus
So hatte es Graf Lutz, wie der Gründer gerne genannt wird, auch gewollt. Er hatte Rehweiler 1734 erworben und war Anhänger des Pietismus, die nach der Reformation wichtigste Reformbewegung in der Evangelischen Kirche, die im 17. Jahrhundert entstand. Durch eine Lebenswende, als Wiedergeburt bezeichnet, nehmen Menschen Christus persönlich in ihr Leben auf. Sie stellen ihr Leben unter das Gebet und lernen aus der Bibel, geben sich Gottes Wort vollkommen hin.
Der Graf wollte in Rehweiler eine Siedlung nach Vorbild der Dresdner Brüdergemeinde „Herrnhut“ schaffen. Grundgedanke dieser evangelischen Glaubensbewegung, die bis heute weltweit rund eine Million Anhänger hat, ist das Streben nach Gemeinschaft bei der Gottesverehrung. Und im Sinne ihres Gründers Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf entstand in Rehweiler nicht nur die Kirche, sondern auch die Schlösslein-Kolonie.
Die Herrnhutsche Gemeinde
Man verlässt das Gotteshaus durch den Seiteneingang und stehen mittendrin: Sechs Häuser reihen sich auf zwei Seiten unterhalb der Kirche aneinander, mittendrin eine Allee. Ein Ensemble, das ebenfalls schlicht ist und sich nicht aufdrängt, längst aber unter Denkmalschutz steht und heute teilweise bewohnt ist.
Hier wohnten Herrnhutsche Gesonnene, vertriebene Mährische und Salzburgische Brüder. Neben einer Schule entstand 1736 ein Waisenhaus, gleichzeitig wurde mit dem der einzigen bayerischen Saalkirche im Herrnhuter Stil begonnen, die 1774 vollendet wurde.
Das erlebte Graf Lutz allerdings nicht mehr: Er starb im Jahr 1772. Übrig bleibt das malerische Gotteshaus mit seiner Kolonie. Und die Gewissheit, dass in Rehweiler auch noch im Jahr 2016 christliches, lebendiges Leben stattfindet.

