Nicht zu wissen, was los ist. Das ist das Schlimme. Die nervenzehrende Ungewissheit war für Katja Uttinger fast noch schrecklicher als die qualvollen Krämpfe. „Irgendwann fängst du an, an dir zu zweifeln.“ 20 Jahre lang lebte sie mit einer zwar gutartigen, aber äußerst schmerzhaften Krankheit, die keiner ihrer Ärzte – und sie suchte viele auf – erkannte.
Dabei ist Endometriose gar nicht so selten. Zwischen zwei und sechs Millionen Frauen in Deutschland sind betroffen, schätzt die Endometriose-Vereinigung; etwa 40 000 erkranken jedes Jahr neu. Das Problem ist, dass die Krankheit „ein Chamäleon der Medizin“ ist. Bei Endometriose setzen sich gebärmutterschleimhaut-ähnliche Zellen auf Blase, Darm, Bauchfell und Eileitern fest und bluten dort zyklisch bedingt ab, vergleichbar mit der Schleimhaut in der Gebärmutter. Dies verursacht bei betroffenen Frauen unterschiedliche Schmerzen und Verwachsungen. Leider sind die so genannten Endo-Herde meist weder per Ultraschall noch per Magnetresonanztomographie (MRT) erkennbar.
„Ibuprofen 800 hab' ich
geschluckt wie Smarties.“
Bei Katja Uttinger ging das Leiden schon als Teenager los. Vor allem während der Zeit der Regelblutung, oft auch schon Tage vorher, litt sie an ziehenden und stechenden Unterbauchschmerzen. „Manchmal half nur noch, sich zusammenzukrümmen wie ein Embryo. Ibuprofen 800 hab' ich geschluckt wie Smarties.“ Selbst der ganz normale Gang zur Toilette wurde oft zur schmerzlichen Tortur. Der Gynäkologe der gebürtigen Gerolzhöferin war keine Hilfe: „Er hat bloß gesagt, ich solle mich nicht so anstellen.“ Er ging wohl davon aus, dass Frausein unausweichlich mit Leid verbunden ist.
Genau das jedoch ist falsch. „Höllenqualen vor und während der Regel sind nicht normal“, weiß Katja Uttinger heute. Ebenso wenig wie Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, beim Stuhlgang, beim Wasserlassen und so weiter.
Katja Uttinger lernte den Beruf der Arzthelferin. Manchmal wurde sie mitten am Tag einfach ohnmächtig – eine Folge der starken Schmerzen. Damit anderen Frauen eine ähnliche Odyssee erspart bleibt, engagiert sich die Gochsheimerin dafür, dass Endometriose ein öffentliches Thema wird und dass schon junge Mädchen frühzeitig darüber aufgeklärt werden. Und dafür, dass Ärzte, insbesondere Gynäkologen, besser aus- und fortgebildet werden, statt das Thema nur kurz während des Studiums zu streifen.
„Je eher Endometriose erkannt wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass mit nur einer Operation eine deutliche Besserung eintritt und dass Organfehlfunktionen und -schäden vermieden werden können.“ Aktuell dauert es jedoch durchschnittlich sieben Jahre bis zur Diagnose.
Noch immer ist die Ursache für die Erkrankung nicht bekannt – diskutiert wird ein Mix aus vielen Faktoren, von genetischer Veranlagung über retrograde Menstruation (Zellen wandern rückwärts durch die Eileiter in die Bauchhöhle) bis hin zur Ernährung. Individuelle Behandlung kann den Patientinnen viel Lebensqualität zurückbringen. „Schon allein deshalb ist es Zeit, das Schweigen zu beenden“, findet Katja Uttinger und lädt am Samstag, 28. März, zusammen mit der Endometriose-Vereinigung Deutschland zum „Endo-March“ nach Schweinfurt ein. Vorbild ist der amerikanische „Endo-March“, der 2014 erstmals stattfand und heuer in 50 Ländern wiederholt wird. Im Rahmen der Schweinfurter Frauenwochen veranstalten Uttinger und ihr Team ab 14 Uhr einen Info-Nachmittag mit Vorträgen von Experten, Fachärzten und Betroffenen. Danach formiert sich ein Zug zum Marktplatz.
Ein Zufallsbefund
Über 20 Jahre hat es gedauert, bis Katja Uttinger erfuhr: „Ich bin nicht verrückt und spüre Schmerzen, wo keine sind, sondern ich habe eine ernst zu nehmende, chronische Krankheit.“ Die Erkenntnis verdankt die heute 48-Jährige einem Zufallsbefund. Im Jahr 2000 musste ihr Blinddarm entfernt werden. Der Arzt entdeckte während der Bauchspiegelung Schleimhaut-Herde auf der Blase. „Als ich aufgewacht bin und er mir die Diagnose 'Endometriose' erklärt hat, habe ich zu ihm gesagt: 'Ich könnte Sie knutschen!'“ Endlich hatten die Schmerzen einen Namen.
Weg waren sie damit aber nicht. Katja Uttinger unterzog sich insgesamt 13 Operationen, bei denen Schleimhaut-Herde entfernt wurden. „Direkt nach der OP fühlt man sich wie neu geboren. Endlich kann man mal schmerzfrei tief durchatmen. Ein tolles Gefühl!“ Doch leider nisten sich immer wieder neue Endo-Herde im Bauchraum ein. „Ich hab' zusätzlich zu den OPs alles probiert“, erzählt die große und zugleich zierliche Frau, die trotz allem nie ihren Humor verloren hat: „Von Hormon- und Naturheil-Therapien über östrogenarme, vegetarische Ernährung bis hin zu Osteopathie. Und natürlich Schmerzmittel.“ Derzeit befindet sie sich in Behandlung mit Traditioneller Chinesischer Medizin, die ihr gut hilft.
Die Mutter einer Tochter sagt: „Jede Frau muss ihren eigenen Weg finden, angepasst an die individuellen Beschwerden.“ Manche werden mit einer einfachen Pillen-Therapie glücklich, anderen helfen Stressvermeidung und Psychotherapie. Katja Uttinger fühlt sich im Erlangener Endo-Zentrum gut aufgehoben.
Allerdings ist der ständige Kampf mit der Krankenkasse, die viele Kosten nicht übernehmen will, ganz schön kräftezehrend. „Auch deshalb ist der 'Endo-March' wichtig. Wir appellieren an Ärzte und Kassen: 'Hört den Frauen doch einfach mal zu!'“
Das Schweigen brechen – beim Endometriose-Marsch
„Endo“ – was ist das? Wenn sich Schleimhautzellen wie in der Gebärmutter auch am Darm, an Eierstöcken und Eileitern, an Blase oder Bauchfell ansiedeln und dort zyklisch abbluten, spricht man von Endometriose (griech.: endo = innen; metra = Gebärmutter). Die Erkrankung ist gutartig, hormonabhängig und chronisch.
Symptome: Typische Beschwerden sind starke Schmerzen und Krämpfe im Unterbauch vor und während der Regelblutung, beim Geschlechtsverkehr, beim Stuhlgang und Wasserlassen. Nicht selten leiden Patientinnen auch unter Migräne, plötzlichen Ohnmachten oder ungewollter Kinderlosigkeit.
Schweigen brechen: Katja Uttinger und die Endometriose-Vereinigung Deutschland e.V. laden am Samstag, 28. März, zum Endometriose-Marsch („Endo-March“) nach Schweinfurt. Unter dem Motto „Time to end the silence“ wird weltweit auf die Krankheit aufmerksam gemacht. In Schweinfurt kommen Experten und Betroffene zu Wort (14 Uhr, Friedrich-Rückert-Bau, Leopoldina-Saal); danach Zug zum Marktplatz. Kostenlose Teilnahme.
Infos: www.endometriose-vereinigung.de; kuttinger@web.de. *ldk*