Fragt man Nikolaus Knauf, welche Glücksmomente und Erinnerungen ihn im ausgehenden achten Jahrzehnt seines aufregenden Lebens umtreiben, dann rückt ein drahtiger Unternehmer mit wachen graublauen Augen auf dem Sofa ein Stückchen nach vorne und beginnt zu lächeln.
Er könnte jetzt schwärmen von wirtschaftlichen Großtaten, vom Aufstieg zu einem der wohlhabendsten Männer des Landes, von seinem Leben als Schlossherr und seinen beruflichen Reisen im Privatjet rund um den Erdball. Aber von alldem erwähnt er nichts. Viel lieber redet Knauf über eine Episode Mitte der 90er Jahre, einer „verflucht schönen Zeit“, wie er sagt. Könnte er in eine Zeitmaschine steigen, das Reiseziel stände fest.
Als der Bürgermeister der Gemeinde Markt Einersheim (Lkr. Kitzingen) damals plötzlich verstarb, übernahm Knauf als dessen Stellvertreter eine Zeit lang die Amtsgeschäfte. „Mir hat das unglaubliche Freude bereitet. Es war wunderbar“, sagt er, „und bedauerlich, dass ich es wieder aufgeben musste“.
Politik zu betreiben an der Schnittstelle zum Volk, wie es der Baustoffmagnat seit Jahrzehnten als Gemeinde- und Kreisrat praktiziert, das gefiel Knauf, der so erdverbunden ist wie das Material, mit dem er reich geworden ist.
Das Unternehmen hatte Vorrang
Knauf steckte in einem veritablen Dilemma: Die Kommunalpolitik war für ihn zwar die schönste Nebensache der Welt, aber das Unternehmen hatte eben Vorrang – gerade an Tagen wie diesen, als er ständig im Flieger Richtung Osten saß, Moskau, Sankt Petersburg und Tscheljabinsk. Es galt, den größten Aufbruch der Firmengeschichte zu moderieren. Das Ende der alten Sowjetunion – für den Baustoffkonzern Knauf war es der Beginn des Weges zur weltumspannenden Marke.
An diesem sonnigen Aprilmorgen sitzt Knauf entspannt vor einer Tasse schwarzem Kaffee und Mandelplätzchen. Schlohweißes Haar, azurblaues Jackett, gelb-gestreifte Krawatte. Das Besprechungszimmer, in das die Sekretärin im dritten Stock der Iphöfer Konzernzentrale gebeten hat, gleicht einer Suite des Hotels Adlon. Cremefarbene Wände, edle Stehlampen, Wassergläser mit Goldrand – gediegener Luxus, wie er sich durch alle Räume der Chefetage zieht. Ein paar Zimmer weiter stehen die zwei antiken Holzschreibtische, an denen sich Nikolaus Knauf und sein Vetter Baldwin gegenübersitzen – seit 47 Jahren, an ein und demselben Schreibtisch.
Das verrät viel über das Verhältnis der beiden Vettern, die 1969 – im Alter von 30 und 33 Jahren – die Geschäfte der Väter und Firmengründer übernahmen.
Aus dem Leben des Herrn Knauf
Dass dieses Unternehmen einmal auf allen fünf Erdteilen präsent sein, 24 000 Mitarbeiter beschäftigen und 6,5 Milliarden Euro Umsatz zeitigen würde, war 1936 noch nicht abzusehen. Nikolaus Knauf, hineingeboren in politisch schwierige Zeiten, wuchs mit vier Brüdern im Saarland auf. Im Dreiländereck zwischen Frankreich, Deutschland und Luxemburg hatten sein Vater Alfons und sein Onkel Karl 1932 die ersten Gipsbrüche eröffnet. Als Büro diente ein Schengener Café, deren Besitzerin, so erzählt man sich, den Brüdern anfangs schon mal Geld borgen musste, damit die Löhne der Mitarbeiter pünktlich bezahlt werden konnten. Zu Fuß und mit einem Sack Gips auf den Schultern, machten sich die beiden Jungunternehmer auf den Weg zu potenziellen Händlern. Auto und Telefon gab es erst später.
Als der Krieg begann und die Front aus Westen immer näher rückte, verschlug es die Familien nach Iphofen, wo sie seit Mitte der 1930er Jahre ein Gipswerk betrieben. Nikolaus Knauf ging dort zunächst in die Volksschule und später auf die Oberschule im nahen Scheinfeld. Abitur machte er an der deutschen Schule in Santiago de Chile, wo die Familie zeitweilig lebte. Danach trat er in die Firma ein, „klassische Laufbahn“, wie er sagt. An der Bandstraße lernte er, wie aus Gips Decken- und Wandpaneele für den Innenausbau entstanden. Als 33-Jähriger stieg er ins Direktorium auf. Statt die sinkende Binnennachfrage zu beklagen, begannen er und sein Vetter Mitte der 70er Jahre damit, nach und nach ausländische Märkte zu erschließen.
Unmittelbar nach dem Zerfall der Sowjetunion kam 1993 der russische Markt hinzu – 150 Millionen potenzielle Kunden, das versprach gute Gewinne, aber zuvor zähe Verhandlungen mit Staats- und Regionalfürsten. Nikolaus Knauf schaltete sich in die Gespräche ein und blieb hartnäckig. „Wenn ich im Recht bin, lasse ich mir das nicht einfach nehmen.
Fingerspitzengefühl statt Angriff
“ Für seine Angriffslust ist der passionierte Jäger berühmt und berüchtigt, aber in diesem Fall musste er lernen, Fingerspitzengefühl walten zu lassen. Von Präsident Putin erhielt er später den Orden der Freundschaft. Dass Russland heute wieder isoliert dasteht, kreidet Knauf auch der deutschen Regierung an, die sich – anders als unter Kohl oder Schröder – von Russland entfremdet habe.
Im Kreise geladener Gäste und der Familie – seiner Frau Ingrid, den drei Kindern und sechs Enkeln – wird Nikolaus Knauf an diesem Freitag seinen 80. Geburtstag feiern, pardon, verbringen. „Ich lasse mich nicht gerne feiern.“ Obwohl er und sein Vetter schon 2008 als Geschäftsführer und Gesellschafter ausgeschieden sind, sitzen sie immer noch fast jeden Tag an ihrem Schreibtisch. Das sei doch das Schöne an einem Familienunternehmen, sagt Nikolaus Knauf: „Länger arbeiten zu können, wenn man das will.“