
Ein kleiner Vogel hat das Leben von Pater Franziskus Büll auf den Kopf gestellt, und das Schlimme ist: Er weiß bis heute nicht, wer ihn da letztlich zu Fall gebracht hat: Hausrotkehlchen oder Gartenrotkehlchen? Dieser Frage stieg er vor zwei Jahren nach, als er das Vögelchen sah. Auf der Suche nach seinem Fernglas stürzte er – so schwer, dass nicht klar war, ob er je wieder normal würde gehen können. Monate verbrachte er im Krankenhaus, auf Reha, im Rollstuhl. Jetzt läuft er wieder fast wie vor seinem Unfall, aber es war Ironie des Schicksals, dass ihn die Neugier auf die Natur, die ihn auch heute, mit 85, noch immer wach und lebendig hält, ums Haar den aufrechten Gang kostete.
Zu ausgedehnten Spaziergängen reicht es seit dem Sturz nicht mehr. Aber gedanklich nimmt einen Pater Franziskus Büll aus der Benediktinerabtei Münsterschwarzach noch immer mit auf Weltreise. Die Erde, die Natur, die Schöpfung, das alles ist für ihn, den studierten Naturwissenschaftler und promovierten Historiker, so groß und so faszinierend und so genial, dass dahinter zwingend göttliche Macht stecken muss. "Von allein kann das nicht entstehen", sagt er.
Trifft man ihn wenige Tage vor seinem runden Geburtstag an diesem Dienstag (30. April) zum Gespräch, durchstreift er mit einem noch einmal sein ebenso reiches wie genügsames Leben. Ein Leben zwischen Verzicht und Reichtum, wobei die Währung, in der er entlohnt wurde, sich nie nach materiellen Standards bemessen hat. "Unglaublich dankbar" blickt er auf die Zeit, in der er "mitwirken durfte, junge Menschen ins Leben hineinzuführen".

Fast 40 Jahre als Biologie- und Chemielehrer am Egbert-Gymnasium liegen hinter ihm, er sieht sie als "Geschenk", und als er 2011 in den Ruhestand ging, war er einer der letzten Patres, die bis heute zwischen all den weltlichen Lehrkräften unterrichten und so viel mehr als die reine Lehre vermitteln. Er ist überzeugt: "Ein Lehrer, der sich nicht beschenken lässt durch die Art, wie Kinder lachen, ist gescheitert." Noch immer stößt er gern dazu, wenn Schüler musizieren oder etwas vortragen, lässt sich mitreißen und inspirieren.
Seine Faszination für die Natur versuchte Pater Franziskus, auf Generationen von Schülerinnen und Schülern zu übertragen. Streng, aber gerecht sei sein Unterricht gewesen, sagen die, die zwischen 1973 und 2011 durch seine Schule gingen. Dass er bei den jungen Leuten als "Fränzi" bekannt war, nahm er hin; duzen aber ließ er sich von ihnen nie. "Nähe", sagt er, "schafft man auf andere Weise."
Der Artenschwund auf der Welt erschüttert einen Biologen wie ihn
Er war bestrebt, Biologie, also die Lehre vom Leben, anschaulich zu machen, und so stellte er im Untergeschoss der Schule, vor den Bio-Lehrsälen, jede Woche frische Blumen und Pflanzen aus – und wehe dem, der sie im Unterricht nicht exakt benennen konnte. Dass Artenkenntnis heute kaum noch gelehrt werde, findet er mindestens genauso bedauerlich wie den Umstand, dass es im Chemie-Unterricht kaum mehr zischt und knallt. Wo solle denn das Verständnis für die Natur und der richtige Umgang mit Gefahrstoffen herkommen?
Wer ihn an einen seiner Lieblingsplätze begleitet, steht mit einem Mal vor hell erleuchteten Vitrinen mit ausgestopften Vögeln und Paletten voller Käfer, Falter und Schmetterlinge, deren Namen er aus dem Effeff buchstabieren kann. Nicht wenige davon sind gefährdet oder ausgestorben. "Für einen Biologen", sagt er, "ist es erschütternd zu sehen, welchen Artenschwund wir haben."

Biologische Sammlung nennt sich dieses Kuriositätenkabinett mit Tausenden von Exponaten. Manche Schätze sind darunter wie ein Walross-Zahn, den man jahrzehntelang für einen Elefanten-Stoßzahn hielt, oder der Biber, der vor Jahren bei Volkach unter die Räder kam und heute ausgestopft hier unten steht. Zu jedem Stück kann Pater Franziskus etwas erzählen, zu allen Dingen hat er eine Beziehung.
Am Gymnasium unterrichtete er Biologie, Chemie und Physik
Einiges erfährt man in dieser Wunderkammer über die Großtrappe, den Bienenfresser oder einen wiederentdeckten Käfer im Steigerwald. Aber vor allem erfährt man etwas über den Menschen Pater Franziskus: geboren 1939 als Lothar Büll in Berlin, 1943 zu den Großeltern nach Bad Homburg gekommen und direkt nach dem Abitur ins Kloster Münsterschwarzach eingetreten, wo er den Ordensnamen Franziskus erhielt. Er studierte zuerst Philosophie, dann Theologie, schließlich Kirchengeschichte. Biologie und Chemie studierte er auf Lehramt, später kam noch die Lehrbefähigung für Physik dazu.

Da öffnete sich ein breites Wissensgebiet, das er im Kloster reichlich beackerte. Noch immer verbringt er – zwischen Aufstehen um 3.40 Uhr, Eucharistiefeier um 6.30 Uhr und Vesper um 18 Uhr – viele Stunden im Archiv der Abtei. Fragt man ihn, ob er sich manchmal einsam gefühlt habe, denkt er lange nach und sagt dann: "Ins Kloster einzutreten heißt nicht, den Passierschein für ein allzeit glückliches Leben zu bekommen." Als "wahres Glück" empfindet er, in einer so langen Zeit des Friedens aufgewachsen zu sein.
Albträume hatte er wegen Klausuren, aber nie wegen des Krieges
Er weiß noch persönlich, was Krieg bedeutet. In Berlin und Frankfurt am Main hat er die Bomben fallen hören, und als seine Mutter sagte: "Jetzt ist Frieden", wusste er damit zunächst nicht umzugehen, weil er Krieg für den Normalzustand hielt.
Später träumte er manchmal schlecht vor Klausuren, niemals aber hatte er Albträume wegen der Nächte im Luftschutzkeller. "Das", so sagt er, "lag daran, dass uns unsere Mutter, wenn draußen die Sirenen heulten, immer in die Arme nahm und wir uns bei ihr geborgen fühlten."
So wünscht er sich – neben der vertrauten Führung durch Gott – etwas, das mit den Nächten von damals zu tun hat. "Meine Bitte an alle Eltern: Kümmert euch um eure Kinder. Sprecht mit ihnen. Und: Nehmt sie in den Arm."