Jeder verbindet mit Weihnachten andere Bilder und andere Erwartungen. Die einen wollen eine harmonische Stimmung in der Familie erleben, andere schwelgen in Kindheitserinnerungen. Das Glaubensbekenntnis, das wir jeden Sonntag beten oder singen, drückt das Weihnachtsgeheimnis nüchterner aus: „Für uns und unseres Heiles willen ist er herabgestiegen vom Himmel.“
Das ist das Zentrale von Weihnachten: Gott ist in Jesus Christus herabgestiegen zu uns. Er ist nun unter uns, auf gleicher Augenhöhe mit uns. Das Hinabsteigen aber hat ein Ziel: unser Heil. Im Lateinischen heißt es hier: „salus“. Das kann vieles heißen: Gesundheit und Wohlbefinden, Rettung, Genesung und Glück. Nach Gesundheit und nach Glück sehnen wir uns alle. Doch wie soll das Hinabsteigen Gottes in dem Kind von Bethlehem uns gesund machen, unsere Wunden heilen und uns Glück bescheren?
Viele Menschen leben nur an der Oberfläche
Gott ist zu uns hinabgestiegen, damit wir den Mut finden, auch in die Tiefen unserer Seele hinabzusteigen, dorthinein, wo all die verdrängte Wut, die verdrängte Angst, das verdrängte Ohnmachtsgefühl sich abgelagert haben. Viele Menschen leben nur an der Oberfläche. Sie haben alles, was ihnen nicht so angenehm erscheint, verdrängt. Das Verdrängte aber wird für uns – so meint der Schweizer Psychologe C.G. Jung – zum Schatten. Und von dort aus wirkt es destruktiv auf uns ein. Die verdrängte Aggression wird zur Härte anderen gegenüber oder uns selbst gegenüber. Dann führt sie entweder zur Depression oder aber zu einer passiven Aggression. Hinter der freundlichen Fassade lauert dann die verdrängte Aggression.
Gott ist in Jesus hinabgestiegen in das Schattenreich unserer Seele, damit wir auch den Mut finden, dort hinabzusteigen. Wir brauchen dann keine Angst mehr zu haben vor all dem, was auf dem Grund unserer Seele an negativen Emotionen schlummert. Denn das Licht Jesu dringt bis in die tiefste Finsternis hinein. Und wenn wir alles in uns vom Licht Jesu erhellen lassen, dann werden wir heil und ganz. In Jesus ist Gottes menschgewordene Liebe zu uns hinabgestiegen, um all das Verhärtete und Erstarrte in uns mit Liebe zu durchdringen und zu verwandeln. Das macht uns heil. Das schenkt uns Wohlbefinden, Gesundheit und inneren Frieden und Glück.
Aus Mozarts Musik hört man die Liebe Gottes
Das Durchdringen unserer Wirklichkeit von der Liebe Jesu wird für mich in der Musik von Wolfgang Amadeus Mozart hörbar. Mozart hat in seinen Credo-Vertonungen das Wort „descendit = herabgestiegen“ gerne wiederholt. Das gibt seiner Musik ihre Schönheit. Die Musik Mozarts ist nicht oberflächlich. Da hört man heraus, dass die Liebe Gottes in alle Abgründe der Seele eingedrungen ist und sie verwandelt. Da wird die Bedrohung durch den Tod in Hoffnung verwandelt, das Dunkle in Licht, das Schwere in Leichtigkeit, die Härte in Liebe. Mozart hat in seiner Kirchenmusik das Geheimnis von Weihnachten verstanden und es für uns alle hörbar gemacht.
Die Liebe, die alle Verhärtungen unserer Seele aufbricht, drückt Mozart aus, wenn er die Worte des Glaubensbekenntnisses „et incarnatus est – er ist Fleisch geworden“ in einer zärtlichen Melodie vertont. Da spürt man, wie tief Mozart von diesem Geheimnis berührt war: Gott hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist aus Maria der Jungfrau. Die Liebe Gottes will auch unseren Leib durchdringen. Wir sagen manchmal von einem Menschen: Er hat eine liebevolle Ausstrahlung.
Darum geht es an Weihnachten: sich druchdringen lassen
An Weihnachten bemühen sich viele Menschen, eine gute und liebevolle Atmosphäre in ihre Familie, in ihren Freundeskreis hineinzutragen. Doch oft gelingt es nicht. Wenn ich mich nur mit meinem Willen anstrenge, liebevoll zu sein, drückt mein Leib oft das Gegenteil aus: Unruhe, Unzufriedenheit, Härte, Misstrauen. Von mir wird nur dann eine gute Ausstrahlung ausgehen, wenn ich alles, was in mir ist: meinen Leib, meine Emotionen, meine verdrängten Schattenseiten von der Liebe Jesu durchdringen lasse.
Darum geht es an Weihnachten: mich durchdringen und verwandeln zu lassen von einer Liebe, die in der zärtlichen Musik Mozarts hörbar wird und die uns aus den Bildern entgegenkommt, mit denen die Künstler das Weihnachtsgeheimnis dargestellt haben. Dazu braucht es nicht nur das schöne Familienfest, dazu braucht es zuerst einmal die Stille. In der Stille setze ich mich dieser Liebe Jesu aus. Ich halte meine Emotionen, meine oft wirren Gedanken in diese Liebe hinein. Dann werde ich mich selbst auf neue Weise erleben. Ich werde dann in meinem Herzen eine Liebe spüren, die mich erfüllt. Sie schenkt mir „salus = Wohlbefinden, Frieden“. Wenn ich allein für mich in der Stille dem Geheimnis von Weihnachten nachspüre, dann kann ich auch verwandelt miteinander Weihnachten feiern. Dann wird von mir auch eine liebevolle Ausstrahlung ausgehen und der Familienfeier guttun.
Unser Stall ist der Raum unserer ungelösten Konflikte
C.G. Jung meinte einmal: Wir sollten uns immer bewusst machen, dass Jesus in einem Stall geboren wird. Er wird auch in meinem Stall geboren, um all das, was in meinem Stall herumliegt, mit seiner Liebe zu verklären. Jesus möchte auch den Stall unserer Familie mit seiner Liebe verwandeln. Unser Stall, das ist der Raum, in dem wir all die ungelösten Konflikte, die verdrängten Gefühle, die vergiftete Atmosphäre abgestellt haben. Aber was abgestellt ist, wirkt sich weiter negativ auf das ganze Haus aus. Daher soll das Kind in der Krippe auch unseren Stall erhellen und mit Liebe erfüllen. Dann wird er für uns zur Heimat. So wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest, an dem nicht nur Ihr Lebenshaus, sondern auch das Haus, in dem Sie gemeinsam wohnen, von der Liebe und vom Licht Jesu verwandelt wird und Sie sich darin wirklich daheim fühlen.