
Jung und Alt feiern heuer einen Doppel-Geburtstag: Das Seniorenheim St. Elisabeth Kitzingen besteht seit 40 Jahren, 15 Jahre davon als Mehrgenerationenhaus (MGH). Was ist eigentlich der Unterschied? Welche Vision haben Heimleiterin Bianca Hahn und die MGH-Verantwortliche Tanja Kraev? Und warum blickt Caritas-Geschäftsführer Georg Sperrle mit gemischten Gefühlen auf die deutsche Einwanderungspolitik?
Tanja Kraev: Den Begriff hat die Bundesregierung vielleicht ein bisschen irreführend gewählt. Sie versteht darunter nicht, dass alle Generationen unter einem Dach leben, sondern dass das Haus ein Begegnungsort für alle Genrationen ist, egal welcher Herkunft, welchen Alters, welchen Glaubens.
Kraev: Es bedeutet, dass die Türen des Hauses vom früh bis abends für jeden offenstehen. Alt und Jung können in unserem Aufenthaltsraum oder im Garten Kaffee trinken, spielen, Bücher lesen und basteln.
Bianca Hahn: Seit Covid ist der Zuspruch verhalten, alles muss es erst wieder anlaufen. Dabei können Externe sich bei uns auch zum Mittagessen anmelden...
Georg Sperrle: ... was Menschen, die alleine wohnen, aus ihrer Einsamkeit holen kann.
Hahn: Das ist der Grundgedanke des MGH. Es ist Fakt, dass immer mehr ältere Menschen vereinsamen. Wir wollen ein Ort der Begegnung sein, ein Ort, an dem Leben herrscht.

Kreav: Wir haben ein vielseitiges Programm. Ein paar Beispiele: Es gibt Turn- und Denksport-Gruppen, musikalische Nachmittage, Spielstunden, eine Kreativwerkstatt, Abendangebote wie Bingo und den Stammtisch. Außerdem kommen immer wieder Kindergarten- und Krippengruppen zu Besuch. Es gibt die Mediensprechstunde, in der ein Jugendlicher Handy-Funktionen erklärt. Seit kurzem bietet das MGH für Eltern, die zum Arzt müssen, auch eine Kinderbetreuung an.
Hahn: Für manche Kurse können wir städtische Gebäude wie das Bürgerzentrum nutzen. Das ist schön, dass uns die Stadt da so unterstützt, denn vielen Menschen geht es im Alter finanziell nicht allzu gut - und so können wir oft kostenfreie Angebote machen.

Sperrle: Wir fördern das Verständnis der Generationen füreinander. Junge Menschen merken, dass sie durch den Kontakt zu älteren profitieren – und umgekehrt.
Hahn: Da entstehen oft Aha-Effekte. Im Endeffekt führt das zu mehr sozialem Frieden. Zum Beispiel haben wir die Erfahrung gemacht, dass unsere Senioren sich gut in die Flüchtlinge einfühlen können, die aus Kriegsgebieten zu uns kommen – eben weil sie selbst noch Krieg miterlebt haben.

Sperrle: Die Horrorvision vieler Menschen ist es ja, im Alter allein mit dem Trinkbecher am Tisch zu sitzen. Gerade das soll nicht passieren. Durchs MGH ist viel Leben in der Bude, aber auch außer Haus gibt es Angebote. Dafür braucht es allerdings auch Ehrenamtliche.
Sperrle: Wir haben Platz, aber uns fehlen Mitarbeiter. Alle brauchen Pflegerinnen und Pfleger. Die Bezahlung ist mittlerweile richtig gut. Meiner Meinung nach fehlt es noch an Anerkennung, die über das Klatschen für die Pflege während der Corona-Pandemie hinausgeht.

Kraev: Man bräuchte viel mehr MGHs. Der MGH-Gedanke müsste in alle Kommunen getragen werden, damit die Leute wirklich in ihrem Ort alt werden können. Außerdem müssten Präventionsangebote ausgebaut werden – dafür brauchen wir Mittel. Derzeit finanziert sich das MGH so: 40000 Euro gibt es vom Bund, 10000 von der Stadt Kitzingen. Aber statt zu erhöhen, kürzt der Bund jetzt um fünf Prozent. Das ist umgerechnet eine Mitarbeiterin, die ich für vier Stunden pro Woche ein halbes Jahr lang bezahlen könnte..
Sperrle: Wir wollen Menschen Sicherheit geben und trotzdem Selbstbestimmung und Lebensfreude. Ich hoffe, wir finden dafür weiterhin Menschen, die mit Herz dabei sind.
Kreav: Meine Vision ist ein mehrgeneratives Wohnen – Studenten, Senioren, Flüchtlinge – mit Rückzugsmöglichkeiten und gemeinsamem Aufenthaltsbereich.
Sperrle: So etwas ist durchaus vorstellbar. Ich halte es für gut und sinnvoll, unsere Pflegeeinrichtungen weiter zu öffnen. Schließlich haben wir vielerorts freie Räumlichkeiten – aus Personalmangel. Aber wir brauchen dazu ein absolutes Deregulieren von Seiten der Politik. Die Pflegedokumentation muss erleichtert werden und die Vielzahl der gesetzlichen Vorgaben muss reduziert werden. Genauso ist es mit internationalen Pflegekräften. Es dauert viel zu lange und ist aufwändig, bis sie anerkannt sind. Entscheidend wichtig ist uns: Weniger Zeit für Bürokratie, mehr Zeit für die Menschen.