Wenn der Trog leer ist, wird er wieder gefüllt, ganz automatisch, bis zu 16 Mal am Tag. Zufrieden schmatzend verleiben sich die Schweine das Futter ein. Wie viel es kostet, sie zu versorgen, darüber machen sich die Tiere keine Gedanken. Schweinemäster Helmut Schmidt dagegen schon. Die Preissteigerungen – beim Futtermittel, beim Düngemittel, bei der Energie – machen den Bauern zu schaffen. Etwas mehr als 1200 landwirtschaftliche Betriebe gibt es im Landkreis. Ob sie alle die Krise überstehen ist mehr als fraglich.
Zwischen Unterickelsheim und Chicago liegen etwas mehr als 7000 Kilometer. Knapp 2000 Kilometer sind es bis Odessa. Die beiden Städte sind weit entfernt, und doch hat das, was dort passiert, Auswirkungen auf den kleinen Ortsteil von Martinsheim am südlichen Rand des Landkreises Kitzingen. Oder noch genauer: Auf die Schweine, die Helmut Schmidt dort im Stall am Ortsrand hält.
Preise für Getreide und Soja werden in Chicago gemacht
„Die Preise für Getreide und Soja werden nicht regional gemacht, sondern an der Börse in Chicago“, erklärt Herbert Siedler, Bereichsleiter Landwirtschaft am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Kitzingen-Würzburg. „Jede Krise auf dem Weltmarkt findet dort ihren Niederschlag. Das geht runter bis zum kleinsten Landwirt.“
Kleinster Landwirt ist Helmut Schmidt sicherlich nicht. Der Gnötzheimer betreibt den Schweinemastbetrieb in Nebenerwerb, gemeinsam mit dem Vollerwerbsbauern Georg May. Ihre beiden Ställe stehen am Ortsrand von Unterickelsheim, über 1000 Tiere werden darin gehalten, es gibt ein gemeinsames Getreidelager, beide Ställe werden über die gleiche Fütterungsanlage versorgt. Gefüttert wird automatisch, je nach Alter der Tiere unterschiedlich oft.
Das meiste Getreide, das in der Futtermischung enthalten ist, bauen Schmidt und May selbst an, ein Teil wird zugekauft. Genauso wie die weiteren Bestandteile des Futters. In der Schweinemast wird nicht nur mit Getreide gefüttert. Dazu kommen noch Eiweißkomponenten, Mineralstoffe und Spurenelemente.
Wegen des Ukraine-Kriegs sind die Lieferketten brüchig geworden
Der Leguminosenanbau in Deutschland, der diese eiweißhaltigen Früchte liefern könnte, ist gering und reicht nicht aus, um alle Viehhalter zu versorgen. Also wird zugekauft. Soja in der Regel, früher aus Südamerika, jetzt aus dem Schwarzmeerraum. Damit sind die Wege zwar nicht mehr so weit, aber jetzt, durch den Krieg in der Ukraine, geht in den Häfen am Schwarzmeer und vor allem in Odessa, nichts mehr. Die Lieferketten sind brüchig geworden, die Kosten gestiegen. „Deshalb versucht jeder, den Soja-Anteil so gering wie möglich zu halten“, erklärt Herbert Siedler.
Weil die Ukraine aber auch die Getreidekammer Europas ist, wird das Getreide ebenfalls rar und die Preise steigen. Vor allem Länder in Nordafrika, im Nahen und Mittleren Osten bekommen das jetzt schon zu spüren, weil sie ihre Ware aus dem Schwarzmeerraum beziehen. „Beim Import müssen zurzeit Preise von 400 Euro pro Tonne Weizen bezahlt werden“, so Siedler. Die Folgen in den genannten Regionen werden gravierend sein, warnt er. Weil der Weizenpreis die Leitkurskultur für viele andere Getreidepreise ist, ist beispielsweise auch Futtergerste deutlich teurer geworden. Siedler spricht von 380 Euro pro Tonne im Vergleich zu 180 Euro pro Tonne vor einem Jahr.
Eingelagertes Getreide wird nicht bis zur nächsten Ernte reichen
„Zum Glück haben wir noch eigenes Getreide eingelagert“, sagt Helmut Schmidt. Er muss also zunächst mal nichts zukaufen. Aber vom höheren Getreidepreis profitiert er auch nicht, weil er es ja nicht verkaufen kann. „Ich brauche das Getreide für die Schweine.“ Und das, was eingelagert ist, wird auch nicht bis zur nächsten Ernte reichen. Warum dann nicht einfach mehr anbauen? „Das Getreide wurde schon im Herbst ausgesät“, erklärt der Landwirt. Vom Ausmaß der Krise im Frühjahr, von einem Krieg in Europa und seinen Folgen, ahnte da niemand etwas.
„Der Anbauplan war lange fertig, bevor die Krise anfing“, sagt auch Herbert Siedler. Von einem Jahr auf das andere zu reagieren, sei in der Landwirtschaft schwierig, von einem Monat auf den nächsten überhaupt nicht machbar. Weder beim Anbau noch bei der Tierhaltung, denn die Betriebe sind zertifiziert. Ändert sich beispielsweise die Fütterung, hat das womöglich Auswirkungen auf die Zertifizierung und damit gewaltige Abschläge beim Preis. Und während des Lebenszyklus eines Mastschweines ist schon gar keine Umstellung möglich. „Bis wir etwas ändern, dauert es lange“, sagt Schmidt.
Dünger wird mit Erdgas produziert und hat sich enorm verteuert
Getrübt ist auch der Blick auf die kommende Ernte. Der Landkreis Kitzingen liegt „im roten Gebiet“, wie Herbert Siedler sagt, laut Düngeverordnung darf und wird daher wenig gedüngt. Aber beispielsweise eine Spätdüngung ermöglicht es den Landwirten, den Getreideertrag zu erhöhen. „Aber Dünger ist knapp und teuer“, so Herbert Siedler. „Da überlegt man sich dann schon, ob man ihn nicht lieber fürs nächste Frühjahr aufhebt.“ Grund für die Knappheit und die hohen Preise – der wichtigste Stickstoffdünger kostet derzeit 960 Euro pro Tonne gegenüber 250 Euro im vergangenen Jahr – ist der Gaspreis, da der Dünger mit Erdgas produziert wird. „Von drei Werken in Belgien sind zwei dicht“, erklärt Siedler
Die hohen Energiepreise sind auch darüber hinaus ein Problem. „Bei jeder Fahrt mit dem Traktor überlegst du dir, ob du sie nicht vielleicht doch einsparen kannst“, erzählt Helmut Schmidt. „Wir müssen die Maschinen jetzt noch effizienter einsetzen.“ Die Heizung der Ställe, die Tiertransportkosten, der Futtermitteltransport – für alles muss mehr bezahlt werden. Dass auch der Schweinepreis gestiegen ist, kann das alles längst nicht auffangen.
Deutscher Verbraucher möchte nur die Edelteile des Schweins
Sie hätten den schönsten Beruf der Welt, sagen Siedler, Schmidt und May unisono. Aber es werde immer schwieriger ihn auszuführen. Die Einflussfaktoren von außen haben zugenommen, die Probleme waren schon vor dem Krieg und vor Corona nicht gerade klein. Die Vermarktung des gesamten Tieres ist zum Beispiel nicht mehr gewährleistet. Der deutsche Verbraucher möchte die Edelteile, das Schnitzel, die Lende.„Aber keinen Kopf, keine Füße und keine Innereien.“ In China dagegen gilt vieles davon als Delikatesse, die Teile wurden exportiert. „Das hat früher die Kosten gedeckt“, sagt Schmidt. Wegen der Afrikanischen Schweinepest führt China kein Schweinefleisch mehr ein, die Landwirte bleiben darauf sitzen, die Teile werden entsorgt.
„Viele Nebenerwerbler sitzen schon auf dem absteigenden Ast“, weiß Georg May. „Viele sagen, sie hören bald auf.“ Die Krise wird es mit sich bringen, dass dieses „bald“ schneller da ist als gedacht. „Ackerbauer werden vielleicht nicht aufhören. Tierhalter schon“, ist Herbert Siedler sicher. „Dabei ist die Erzeugung vor Ort so wichtig, um die Ernährung zu sichern.“ Denn wie schwierig es ist, wenn ein Land auf Lieferungen angewiesen ist, das haben erst Corona und dann der Krieg in der Ukraine mehr als deutlich gemacht.