Wer derzeit am Kitzinger Mainkai entlang spaziert, findet die Türen des Bocksbeutelkellers weit geöffnet. Drinnen im Kühlen werkelt Nándor Angstenberger, ein Installationskünstler, der in Berlin lebt und arbeitet. Zahllose Schachteln liegen herum, überall finden sich Kleinigkeiten: Stoffreste, gefärbte Dekosteine, mit Kleinzeug gefüllte Flaschendeckel und dergleichen mehr. Dinge, die mancher unbeachtet in den Müll werfen würde. Angstenberger haucht ihnen neues Leben ein, indem er sie in seine Werke einarbeitet.
Auf dem Boden in der Mitte des Raumes entwickelt er gerade eine Art Mandala: kreisförmig sind die vielen Kleinigkeiten angeordnet und werden so zu einem Bild. Zu Beginn seiner Arbeit hatte Nándor Angstenberger gebeten, dass die Kitzinger ihm Gegenstände vorbeibringen, die er in sein Kunstwerk einarbeiten kann. Und der Aufruf hat funktioniert: Das sitzt eine original He-Man- Figur aus den 80er- Jahren, dort der zerbrochene Porzellanteller aus dem geerbten Geschirr und drüben die Finisher-Medaille des diesjährigen Mainfrankentriathlons, der kürzlich stattgefunden hat.
Gerade kommt eine Kitzingerin mit einer ganzen Tasche voller Stücke: ein Maßstab, alte Lichtschalter, eine Badekappe. Und Fahrradlichter, die sie nicht mehr braucht, weil sie nicht mehr Radfahren kann. Sie möchte ihren Namen nicht nennen und nicht fotografiert werden, aber sie ist begeistert von der Idee des Künstlers, die Menschen vor Ort in sein Werk einzubeziehen: "Ich finde das hervorragend! Oft trauen sich die Leute nicht ins Museum; hier können sie selbst ihren Teil zur Kunst beitragen. Man kriegt richtig Lust, selbst etwas zu machen."
Kitzinger Bürgerinnen und Bürger haben Objekte für das Kunstprojekt gestiftet
Die Gegenstände, die die Menschen in das mobile Atelier bringen, erzählen alle ihre eigene Geschichte. Der zerbrochene Teller etwa: Er stammt aus dem Erbgeschirr der verstorbenen Tante und lag ein Jahr bei einer Besucherin zu Hause. Wegwerfen wollte sie ihn nicht, zu gebrauchen war er auch nicht mehr. Nun bekommt er ein zweites Leben als Teil der Installation im Bocksbeutelkeller.
Über die mitgebrachten Gegenstände kommt Angstenberger ins Gespräch mit den Besucherinnen und Besuchern. Dabei geht es um viele Themen, von der Kunst kommt man auf Politik, auf Lokales und Aktuelles. Aus den Geschichten entstehen neue Zusammenhänge, ein nicht endender Kreislauf. So wie das Kunstwerk, das unter den Händen des Künstlers gerade entsteht: Die ringförmig angelegten Kleinigkeiten erinnern an die Umlaufbahnen von Satelliten.
Wegen der vielen Details vergleicht Angstenberger seine Arbeit mit den Sandbildern tibetischer Mönche, die nach ihrer Vollendung einfach weggepustet werden. Denn auch seine detailreiche Arbeit ist nicht mehr da, wenn er Kitzingen verlässt. Wer möchte, kann die mitgebrachten Gegenstände dann wiederhaben – bisher wollte das aber kaum jemand. "Fast alle haben gesagt, dass ich die Sachen behalten kann. Nur eine Dame möchte ihre Skulptur wiederhaben oder vielleicht gegen etwas anderes tauschen."
Kein Ausstellungsobjekt kommt in den Müll
Die Dinge wandern keineswegs in den Müll. Sie kommen mit zur nächsten Ausstellung, werden Teil des nächsten Projektes. In Kitzingen sind zum Beispiel Blätter aus Düsseldorf zu finden. Außerdem kleine Pyramiden aus Stoffresten, die an die Flecklershexen aus der Fastnacht erinnern. Dazu ein Türmchen, beklebt mit zahlreichen Alltagsgegenständen wie Coronatests oder Leuchtstoffröhren, die sich alle zu einem wunderbaren Mosaik fügen.
Noch ein paar Tage können Interessierte ihre Objekte bei Nándor Angstenberger abgeben. Ab Montag, 19. August, findet dann voraussichtlich die Ausstellung statt, bei der das Ergebnis betrachtet werden kann. Am Samstag, 24. August, endet das Projekt. Alles wird eingepackt, um dann woanders zu neuem Leben erweckt zu werden.