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KITZINGEN
Autorin Rosmarie Waldrop: In Amerika berühmt, in Kitzingen geboren
Ralf Dieter
 |  aktualisiert: 03.12.2021 02:21 Uhr

Kitzingen In den USA gehört sie zu den bedeutendsten Lyrikerinnen, in Kitzingen kennt sie kaum jemand. Dabei ist Rosmarie Waldrop in der Stadt am Main aufgewachsen. Dort spielt auch ihr neuestes Werk „Pippins Tochters Taschentuch“.

Frage: Sie wurden 1935 in Kitzingen geboren, ihre Kindheit fiel mitten in die Kriegszeit. Welche Erinnerungen haben Sie an Kitzingen?

Waldrop: Diese Frage bräuchte ein ganzes Buch als Antwort! Ich versuche seit einiger Zeit, solch ein Buch zu schreiben, aber ich habe noch nicht die richtige Form gefunden.

Nach dem Krieg kamen die US-Soldaten. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Waldrop: Am Kriegsende war ich zehn Jahre alt. Es gab andere Uniformen auf den Straßen und die Schulspeisungen. Ich sah die ersten schwarzen Menschen. Meine Freunde erzählten von Schokolade und Kaugummi, die sie von den US-Soldaten bekommen hatten. Mein Bettelversuch war erfolglos und brachte mir nur die Empörung meiner älteren Schwestern ein.

Spürten Sie eine Art Aufbruchsstimmung?

Waldrop: Bestimmt. Die größte Veränderung bestand sicher darin, dass „unser Führer“ jetzt „der Verbrecher, der Massenmörder“ war. „Der Feind“ waren jetzt „die Amis“. Ich versuchte, zu verstehen. Das brauchte mehrere Jahre.

Verspürten Sie in dieser Zeit trotz all der Schwierigkeiten auch eine Art von Leichtigkeit?

Waldrop: Nein. Natürlich hatten wir Teenager unseren Spaß, aber wir waren auch mit dem Horror der Nazizeit beschäftigt, worüber Schule und Eltern meist schwiegen. Meine Mutter nahm mir Ernst Wiecherts „Der Totenwald“ weg, das erste Buch, das ich über Konzentrationslager gefunden hatte. Meine Freunde und ich versuchten uns an der Idee festzuhalten, dass dieser Völkermord so schrecklich war, dass nichts dergleichen je wieder geschehen könnte. Das war naiv, aber es half uns.

Die USA galten damals für viele Menschen als Inbegriff der Freiheit. Wie haben Sie die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in den USA in den letzten Jahrzehnten erlebt?

Waldrop: Als Ernüchterung. Und als Aufgabe.

Und die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland?

Waldrop: Die habe ich gar nicht erlebt. Aber mit Interesse beobachtet.

Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Heimatstadt?

Waldrop: Nein. Meine Familie ist weggezogen. Franz Köhler schickt periodisch eine Einladung zum Klassentreffen, aber ich habe es nicht geschafft, zur vorgegebenen Zeit in Deutschland zu sein.

In Ihrem Buch mit dem Titel „Pippins Tochters Taschentuch“ warnt die Protagonistin Lucy schon zu Beginn: Dies sei keine schöne Geschichte. Was für eine Geschichte ist es dann?

Waldrop: Wenn ich das mit einem Wort sagen könnte, dann hätte ich das Buch nicht schreiben müssen.

Der Kitzinger Stadtrat befasst sich jetzt – 76 Jahre nach Kriegsende – mit der NS-Vergangenheit seines ehemaligen Oberbürgermeisters Siegfried Wilke und erkennt ihm die Ehrenbürgerwürde ab. Es gibt Bürger, die meinen, man sollte die Vergangenheit ruhen lassen. Was meinen Sie?

Waldrop: Die Vergangenheit ruht nie. Sie formt unsere Gegenwart. Und wenn man sie verschweigt, schwärt sie unter der Oberfläche.

Biografie

Rosmarie Sebald wurde 1935 in Kitzingen am Main geboren. Dort gab ihr Vater Joseph Sebald an der Schule Sportunterricht. Sie lernte unter anderem Klavier und Flöte und spielte in einem Jugendorchester. Weihnachten 1954 gab das Orchester ein Konzert für amerikanische Soldaten in Kitzingen. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann Keith Waldrop kennen. 1954 begann Sebald ein Studium der Literatur, Kunstgeschichte und Musikwissenschaft an der Universität Würzburg. Im Folgejahr wechselte sie an die Universität Freiburg, später an die Universität Aix-Marseille. Ende 1957 kehrte Keith Waldrop an die University of Michigan zurück. 1958 gewann er den Major Hopwood Price und schickte den größten Teil des Preisgeldes an Rosmarie, damit sie ihre Reise in die Vereinigten Staaten zahlen konnte. 1966 promovierte Rosmarie Waldrop in Michigan zum Doctor of Philosophy. Sie fing an, Poesie aus Frankreich und Deutschland zu übersetzen, gründete den Verlag „Burning Deck“ und begann in den späten 1960er Jahren, ihre eigene Poesie auf Englisch zu veröffentlichen. Mittlerweile hat sie über drei Dutzend Bücher (Poesie, Prosa, Übersetzungen) veröffentlicht. Ihr Roman „Pippins Tochters Taschentuch“ erschien im Suhrkamp-Verlag. Gedichtbände erschienen bei Urs Engeler Editor und Edition Korrespondenzen.
Pippins Tochters Taschentuch heißt der Roman von Rosmarie Waldrop. Die Statue am Gustav-Adolph-Platz stellt die Sage um Hadeloga nach.
Foto: Ralf Dieter | Pippins Tochters Taschentuch heißt der Roman von Rosmarie Waldrop. Die Statue am Gustav-Adolph-Platz stellt die Sage um Hadeloga nach.
 
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