Wer die Hauptstraße von Biebelried entlangfährt oder läuft, muss schon genau hinsehen, um die eigentliche Sensation des Ortes zu entdecken: Das ehemalige Johanniterkastell. Ein Denkmal von zumindest nationalem Rang, das im Jahr 1275 fertiggestellt wurde, bis vor kurzem als landwirtschaftliches Anwesen diente und heute noch von der Familie Bruno Wirsching bewohnt wird.
Der Eingang zum Kastell liegt ein wenig zurückgesetzt von der Bebauungslinie der Hauptstraße, doch ist schon hier ein Teil der Außenmauer zu sehen: Links der Einfahrt, im Norden der Anlage, steht noch ein Stück der rund 1,80 Meter dicken Mauer, deren äußere Scheibe passgenau mit Buckelquadern aus Sandstein errichtet ist. Ursprünglich war die Mauer hier allerdings geschlossen, die Öffnung erfolgte erst später.
Der sich öffnende Hof selber gibt – auch wenn nur noch die Außenmauern des Kastells stehen – einen Eindruck der Dimension der Anlage: Seitenlängen von bis zu 45 Metern und einer Höhe von über zehn Meter nähern sich der Form eines Würfels an. Das zeigt Archäologen, dass die Bauform auf arabische Vorbilder zurückgeht. Kein Wunder, wurde der Johanniterorden im Jahr 1113 in Jerusalem gegründet.
In der südwestlichen Ecke des Hofes steht das Wohnhaus der Familie Wirsching. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde das komplette Anwesen von Vorfahren Bruno Wirschings erworben. Seitdem ist es in Familienbesitz und wurde als landwirtschaftliche Hofstelle genutzt. Das Wohnaus selbst ist, so Bruno Wirsching, „erst rund 250 Jahre alt“. Im Haus weist natürlich nichts mehr auf die Zeit um 1275 hin, die Außenwände sind mit gut 80 Zentimetern Stärke für heutige Verhältnisse gleichwohl sehr stark, stammen aber wohl nur im unteren Bereich noch aus dem Mittelalter.
19 steile, ausgetretene Steinstufen geht es vom Hof aus ins Kellergewölbe unter dem Wohnhaus. Das Gewölbe dürfte später errichtet worden sein, aber die Außenmauern sind original, die ehemaligen Schießscharten des Kastells sind noch erhalten. Hier zeigt Bruno Wirsching auf einen Pfeiler an der Wand, der für Historiker besonders interessant ist: Es war wohl die Auflage für einen großen Holzbalken.
Einen Eindruck vom Kastell gibt ein Blick in die den Hof begrenzenden großen Scheunen und Hallen, deren Außenmauern weitgehend mit den Mauern der ehemaligen Burg identisch sind. Vor allem der Dachboden der Scheune macht die Dimension deutlich: Hier kann im Innern über die gesamte Länge der Mauer von über 40 Metern geblickt werden. Und auch die Schießscharten sind bis in diese Höhe erhalten und werfen ein wenig Licht ins Dunkel. Im Süden geht es durch ein recht kleines Tor in den Garten der Wirschings. Dies war ursprünglich der einzige Zugang zur Burg – mit einer Zugbrücke geschützt. Das jetzige Portal stammt aus der Barockzeit.
Hier, am ehemaligen südlichen Burggraben, bietet sich auch der Blick auf die Konstruktion der Burg und des verwendeten Materials. Im unteren Bereich besteht es aus unterschiedlich großen Kalksteinen, wohl aus dem nahe gelegenen Maintal. Die Oberkante dieser Schicht ist umlaufend sehr genau nivelliert, die Höhendifferenzen betragen nicht mehr als zwei Zentimeter. Über dem Sockel folgt ein Materialwechsel: Auf den Kalksteinen folgen große Sandsteinblöcke. Parallel dazu verläuft die Innenwand aus Hausteinen. Die Fugen sind mit einem Gemisch aus Bruchsteinen und Kalkmörtel gefüllt – am Ende ergibt sich eine Wanddicke von insgesamt 1,80 Meter.
Warum die Johanniter ausgerechnet in Biebelried eine solch große Burganlage bauten, ist nicht ganz geklärt. Aber Biebelried dürfte schon im 12. Jahrhundert an einem wichtigen Handelsweg in Nord/Süd- und Ost/West-Richtung gelegen haben. Noch heute kreuzen sich hier die Autobahnen A 3 und A 7.
Es gibt auch Hinweise darauf, dass hier – dem Ordenszweck entsprechend – Reisende in einer Art Krankenhaus gepflegt wurden. Und schließlich scheint auch der konkrete Bauplatz des Kastells eine Rolle zu spielen: Vermutlich existierte hier schon im 10. Jahrhundert eine kleine Turmburg. Bei Arbeiten im Hof der Wirschings in den 1970er Jahren, so sagt Franziska Wirsching, wurden Teile eines Burgfrieds gefunden, die eben auf die Burg im 10. Jahrhundert hinweisen.
Die Tatsache, dass nur noch die Außenmauern des ehemaligen Johanniterkastells zu finden sind, lässt den Schluss zu, dass der Rest der Anlage viele Jahre als eine Art Steinbruch gedient hat. Und so dürften viele ältere Häuser Biebelrieds in ihrer historischen Bausubstanz ein Stück Erbe der Johanniter tragen.
Neue Serie
Einblicke in Räume, die normalerweise nicht zugänglich sind, wollen wir in unserer Serie gewähren. Wenn auch Sie eine verschlossene Tür kennen, hinter die Sie schon lange einmal blicken wollten, dann melden Sie sich bei der Redaktion per E-Mail: redaktion.kitzingen@infranken.de oder red.kitzingen@mainpost.de.
Stadttürme, Schlösser und Burgen oder unterirdische Gänge – im Landkreis Kitzingen gibt es Vieles zu entdecken. In loser Folge können unsere Leser in die geheime Welt dieser Gebäude eintauchen.
Auftakt der Serie macht das Johanniterkastell in Biebelried. Vorgestellt werden unter anderem die Deusterkeller oder ein Krematorium.