Folter? Flucht? Seenot? Für Fabian Heinz waren das nur irgendwelche Begriffe, als er vor elf Jahren zum BWL-Studium nach Würzburg kam. Heute verbindet der gebürtige Karlsruher diese Worte mit ganz realen Erfahrungen. Zusammen mit seinen Studienfreunden Alexander Draheim und Marco Riedl, beide aus Würzburg, gründete der 31-Jährige vor drei Jahren die Werbefilm-Agentur Boxfish. Die Drei wollten Schönes und Attraktives zeigen – aber nicht nur. Sie beschlossen, auch Zeit und Energie in ein „Herzensprojekt“ zu stecken und zu dokumentieren, warum Menschen aus Afrika übers Mittelmeer nach Europa flüchten. Aus ihrem Material ist nun sogar ein Kinofilm entstanden: „Route 4“. Im Interview berichtet Fabian Heinz, was er auf einem Rettungsschiff erlebt hat – und warum er mitten auf dem Meer so richtig wütend wurde.
Fabian Heinz: Weil wir es interessant und wichtig finden, auch soziale Projekte zu machen, nicht nur Werbung.
Heinz: Wir haben uns bei Nicht-Regierungs-Organisationen – NGOs – umgehört, die im Mittelmeer Flüchtlinge retten. Als Einzige. Staatlich organisierte Retter gibt es ja nicht. Die NGO Sea-Eye hat uns mit offenen Armen empfangen. Zunächst ging es erst einmal nur um einen Social-Media-Spot über die Ereignisse an Bord des Rettungsschiffs „Alan Kurdi“. Mein Kollege Alex Draheim hat von Weihnachten 2018 bis Januar 2019 auf dem Schiff gedreht. So entstand der Clip „Wo bist Du, Bruder?“, mit dem wir Spenden für Sea-Eye generierten. Der Spot kam gut an, deshalb folgten weitere Missionen.
Heinz: Ja, und der Dritte im Bunde, Marco, auch. Ich war bei zwei Missionen dabei, die je etwa sechs Wochen gedauert haben. Im März/April und im Juni/Juli 2019 haben wir 182 Männer, Frauen und Kinder aus Seenot gerettet.
Heinz: Ja. Ich habe hier auf meinem Schreibtisch in Würzburg noch ein Stück Schlauchboot liegen, der Kapitän hat es aus einem der Plastikkähne rausgeschnitten. Es ist kaum dicker als Papier. Wie wahnsinnig es ist, sich in einem Schlauchboot aufs Mittelmeer zu begeben, das ist mir in Tunesien am bewusstesten geworden. Die Meeresströmung treibt dort viele Leichen an Land. Bestattet werden sie auf einem „Friedhof der Namenlosen“.
Heinz: Diese Frage stellt unser Kinofilm. Darin legen wir den Fokus verstärkt auf die Menschen aus Afrika, wir begleiten einige auf ihrem Weg aus einem der Länder unterhalb der Sahara durch Transitregionen, Wüstenlandschaften und das Mittelmeer. Jeder Schutzsuchende hat seine eigene Geschichte, manche flüchten aus humanitären, andere aus wirtschaftlichen Gründen. Fakt ist: Am Ende des Tages sterben Menschen! Während der Dreharbeiten haben wir Einschneidendes erlebt: Tod in der Sahara, Sklaverei und Folter in Libyen, wo Folterungen per Video an Angehörige der Opfer geschickt werden, um von ihnen Geld zu erpressen. Und, ganz krass, die kalte Seite von Europa, wenn unser Rettungsschiff nicht anlegen durfte. Diese kalte Seite kannte ich so vorher gar nicht.
Heinz: Das ist die zentrale Mittelmeer-Route, die tödlichste Flucht-Route der Welt. Wir sind in Spanien losgefahren, haben die von Libyen aus gestarteten Menschen im Mittelmeer aufgelesen und – nach tagelangem zermürbendem Warten auf dem Wasser – auf Malta an Land gelassen. Wir selbst durften nicht anlegen, obwohl wir Europäer auf einem europäischen Schiff sind.
Heinz: Man kann auf dem Schiff nicht prüfen, ob jemand das Recht auf Asyl hat. Erst nach großem medialen Druck durften sie überhaupt an Land gehen. Wir wissen nur in Einzelfällen, was mit den Menschen passiert ist.
Heinz: Während unserer Missionen gab es zwei Flugzeuge, die von der NGO Sea-Watch betrieben wurden; sie meldeten Boote an die NGO-Schiffe. Auch Containerschiffe meldeten manchmal Bootssichtungen. Ansonsten sind wir in einem Suchraster jenseits der 24-Meilen-Zone, in die man vor Libyen nicht reinfahren darf, auf und ab gependelt. Es war und ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Man steht mit einem Fernglas an einem erhöhten Punkt des Schiffes. Wenn man etwas entdeckt, steuert der Kapitän dorthin. Zweimal haben wir Boote gefunden, die leer auf dem Wasser trieben. Man kann nur ahnen, was passiert ist.
Heinz: Die professionelle Sea-Crew steuert das Schiff, die Crew aus Freiwilligen, alle ehrenamtlich tätig, übernimmt Aufgaben wie Putzen, Wartungsarbeiten, Kleiderspenden sortieren, Küchen- und Wachdienst. Zwischendurch frischt das medizinische Personal die Kenntnisse aller in Erster Hilfe auf, man lernt, wie man Schiffsknoten macht oder was man tut, wenn man ins Wasser fällt. Meine spezielle Aufgabe war es, öffentliche Aufmerksamkeit auf unsere Missionen zu lenken.
Heinz: In der ersten Nacht habe ich jeweils gekotzt, dann ging es. Alex hatte keine Probleme, Marco dafür größere.
Heinz: Man schläft in Kojen, zu zweit oder dritt unter Deck, ohne Fenster. Das war für mich kein Problem, ich habe schon oft im Auto geschlafen (lacht). Mit dem Trinkwasser mussten wir gut haushalten. Man darf zum Beispiel nur ab und zu duschen. Zu essen gab?s, was da war. Für die Flüchtlinge etwa Reis, Nudeln oder Couscous mit Gemüse.
Heinz: An Deck, am Boden. Wir haben Decken dabei und Kleidung, alles aus Spendengeld finanziert.
Heinz: An eine Abendwache. Ich stand an der Tür zum Deck und schaute hinaus. Draußen blies ein eisiger, feuchter Wind, super unangenehm, wenn nicht gar gefährlich. Und die Männer, Frauen und Kinder mussten an Deck ausharren, drinnen ist kein Platz für so viele Leute und wir durften nicht anlegen. Ich fand das unerträglich. Es hat mich so wütend gemacht, dass ich den Vorsitzenden von Sea-Eye kontaktiert habe. Er hat mir gesagt: ?Teile das den Menschen in Europa mit, den Politikern, deren Entscheidungen zu dieser Situation führen.? Die Hilflosigkeit und Abhängigkeit von Europa, die bewusste Zermürbungs- und Hinhaltetaktik empfand ich als menschenverachtend, so nach dem Motto: Wenn wir die da zehn Tage warten lassen, können sie zehn Tage lang niemanden retten.
Heinz: Die Welt ist kleiner geworden. Ich habe begriffen, dass vieles gar nicht so weit weg ist wie man vielleicht denken mag. Mir ist bewusst geworden, dass die globalen Zusammenhänge enorm sind.
Heinz: Wir müssen die Fluchtgründe abschaffen. Zum Beispiel, indem wir die europäische Subventions-Agrarpolitik ändern, denn die hat Auswirkungen auf die afrikanische. Aber wir müssen auch denjenigen Menschen, die jetzt schon unterwegs sind, helfen – durch eine professionelle Flüchtlingspolitik. Aktuell agiert Europa sehr unprofessionell, die Länder im Süden werden alleingelassen. Wenn ein valides Asylgesuch vorliegt, müssen Ausweise mit Fingerabdrücken erstellt und die Menschen gerecht – nach einem Verteilschlüssel bezogen auf Landesgröße und Bevölkerungszahl – auf die Länder Europas verteilt werden.
Heinz: Ich wünsche mir, dass möglichst viele Menschen den Film sehen. Wir wollen damit Aufmerksamkeit erzeugen und Verständnis wecken. Und ich wünsche Sea-Eye für ihre Rettungsarbeit ganz viele Spendeneinnahmen.
Heinz: Nein, wir von Boxfish waren ehrenamtlich aktiv und freuen uns, dass das Mennonitische Hilfswerk uns bei Reisekosten und Film-Aufwandsentschädigungen für externe Dienstleister unterstützt hat. Sollte der Kinofilm so erfolgreich sein, dass er Geld einbringt, werden wir es an Sea-Eye spenden.
Kinofilm: In Franken ist „Route 4 – a dreadful journey“ am 8. Dezember im „Central“ und am 12. Januar im „Cairo“ zu sehen, am 15. Dezember in Ochsenfurt (Casablanca). Nach der Kinophase soll der Film ab März auch zum Streamen angeboten werden.
Alle Infos: route4-film.de (hier sind sämtliche Kino-Termine aufgeführt)