Heinrich Wirsching hat dieser Tage in Iphofen 85. Geburtstag gefeiert. Doch wer ihn sieht und erlebt, wer mit ihm spricht und schwelgt, wird nicht auf die Idee kommen, dass der Grandseigneur unter Iphofens Winzern mitten im neunten Lebensjahrzehnt steckt. Wirsching, der Herr über ein riesiges Rebenreich, Frankens größtes privates Weingut, ist ein wacher Geist, elegant, bodenständig, mit feinem trockenem Humor. Mitte der 1960er Jahre übernahm er gemeinsam mit seinem Bruder Hans das elterliche Weingut, das seit Generationen im Familienbesitz ist, und entwickelte es zur heutigen Größe.
Wein für den Papst und die Queen
Rund 80 Hektar Rebfläche bewirtschaftet seine Familie in und um Iphofen. Aber mehr noch als um schiere Größe ging und geht es Wirsching um Qualität und – bei allem Streben nach Exklusivität – um ein bezahlbares Produkt. Wirsching hat Wein für den Papst und für die Queen geliefert, die Lufthansa kredenzte ihren Passagieren Anfang des Jahrtausends Frankenwein aus seinem Hause, so beengt das Weingut an seinem Stammsitz in der Iphöfer Ludwigstraße arbeitet, so weit verbreitet ist es in der ganzen Welt. Doch man kann nicht sagen, dass Heinrich Wirsching darüber die Bedürfnisse des kleinen Mannes vergessen hätte. Wichtig waren und sind ihm immer auch die Standardsortimente.
Wirsching war gerade mal 30, als er ins Weingut einstieg – ein studierter Betriebswirt zwar, der auch noch seinen Doktor gemacht hatte, aber eigentlich keiner, der die große weite Welt so rasch wieder verlassen wollte, in die er als Student eingetaucht war. Stuttgart, München, Wien – als junger Mann genoss er das Großstadtleben und die Möglichkeiten, die sich ihm boten, kulturell wie beruflich. Er ging in die Oper, und er schlug eine Karriere bei einer Münchner Bank ein. Nur deshalb promovierte er. „Für den Weinbau“, verriet er später einmal, „hätte ich das nicht gemacht und gebraucht.“
Die erste Weinlese bei Schneefall
Schneller als erwartet aber kehrte er zurück nach Iphofen; sein Vater wollte sich zur Ruhe setzen und den Betrieb übergeben. Sein älterer Bruder Hans bot ihm an, gemeinsame Sache zu machen. Der junge Heinrich Wirsching, der im nahen Gipswerk von Knauf eine Kaufmannslehre absolviert hatte, war einverstanden: Er kümmerte sich um den Bürokram und den Vertrieb, sein Bruder um den Weinberg und den Keller. Doch ihr erster gemeinsamer Jahrgang geriet zur Katastrophe. Die Lese 1965 begann erst Ende Oktober und zog sich bis in den November, knöcheltief standen sie damals im Schnee. Aus der Not machten sie eine Tugend, ernteten in den Silvaner-Lagen Eiswein, 10 000 Bocksbeutel mit gerade mal 90 bis 100 Oechsle-Graden, und verkauften die Flasche für stolze 9,50 Mark.
Früh bewies Wirsching Weitblick. Um den zersplitterten Besitz der Winzer zu bündeln und besser bewirtschaften zu können, schlug er eine Flurbereinigung vor. Keine leichte Aufgabe, die mehr als 300 Grundstücksbesitzer von seiner Idee zu überzeugen. Er schaffte es in seiner jovialen Art – weil er ihnen klar machen konnte, dass dies für sie eine Chance sein würde. Heute ist er sich sicher, dass diese Neuordnung für die Profitabilität aller Winzer ein Segen gewesen sei.
Der Winzer Wirsching als Visionär
Auch Wirsching profitierte von der Reform: Er kaufte alle Parzellen, die er kriegen konnte, verschuldete sich, sehr zur Sorge seiner Mutter, mehr als 120 Grundstücke – in der Hoffnung auf ein lohnendes Investment. Und es trug schon bald Zinsen. In besten Lagen – Kalb, Kronsberg und der Premiumsparte Julius-Echter-Berg – besaßen die Wirschings nun Weinberge. 1981 erfroren ihnen drei Viertel der Ernte, 1982 ernteten sie gut das Doppelte eines normalen Jahrgangs. Und wieder erwies sich Wirsching als Visionär. Neun zusätzliche Edelstahltanks ließ er vor und noch während der Lese bauen. Heute gilt das 1630 gegründete Weingut als einer der führenden Silvaner-Erzeuger Frankens.
Zum Wandern auf die Gipfel
Das operative Geschäft hat Heinrich Wirsching, dessen Bruder Hans 1990 gestorben ist, weitgehend abgegeben: an seine Töchter Andrea und Lena. Was er behalten hat, sind seine Leidenschaft für den Wein und die Musik und sein Hang zur Natur. Vom Alpinskifahren hat er sich zwar seit zwei Jahren verabschiedet – nicht weil er sich nicht mehr fit dafür fühlte, sondern weil ihm die Verletzungsgefahr zu hoch ist –, aber zum Wandern zieht es ihn immer noch auf die Gipfel der Berge. Wenn er dort oben steht und über sein Leben nachdenkt, kann er feststellen, dass ihm nichts geschenkt wurde. Dass es auch die Mühen der Ebene braucht, um die steilsten Höhen erklimmen zu können.