Aus den dunklen, unendlichen Weiten des Alls rast er direkt auf uns zu: Apophis, der Gott der Finsternis, des Chaos und der Zerstörung. Als solcher jedenfalls war Apophis bei den alten Ägyptern bekannt. Die nahmen an, dass er seit Anbeginn der Zeit im „Meer des Urchaos“ lebte. Und nun hat Apophis Kurs genommen, uns heutige Menschen leibhaftig zu besuchen – oder sollte man sagen, er sucht uns heim?
Ulf Fiebig wiegt den Kopf hin und her. Der 58-Jährige gehört zu einer Gruppe fränkischer Hobbyastronomen, die sich im „Forum Stellarum“ organisiert haben und sich regelmäßig zur Beobachtung des Himmels treffen. Fiebig weiß, dass seit dem Film „Don?t Look Up“ mit Jennifer Lawrence und Leonardo DiCaprio, der um Neujahr herum auf Netflix und im Kino für große Augen sorgte, immer mehr bange Blicke gen Himmel gerichtet werden. Und tatsächlich kann der Fachmann keine Entwarnung geben: „Ein mehr oder weniger großer Brocken wird die Erde treffen“, stellt er ganz nüchtern und sachlich klar. „Die Frage ist nur, wann.“
Schon am 10. Mai dieses Jahres werden Himmelsgucker die Luft anhalten. Der Asteroid namens 2009 JF1 wird am zweiten Dienstag im Mai haarscharf an der Erde vorbeischrammen. Wobei „haarscharf“ in kosmischen Dimensionen immer noch 13 Millionen Kilometer sind. Das Risiko, dass der Asteroid auf der Erde einschlägt, liegt laut Fiebig bei 0,026 Prozent.
Ein Meteorit von ähnlicher Größe wie der im Durchmesser 13 Meter dicke 2009 JF1 war Mitte Februar 2013 über der russischen Stadt Tscheljabinsk explodiert. Er war mit 19 km/s etwas langsamer als 2009 JF1. Wenn er nicht durch die Erdatmosphäre abgebremst, erhitzt und in 30 Kilometern Höhe explodiert wäre, hätte er die zerstörerische Kraft von 40 Hiroshima-Atombomben entfaltet.
Die Folgen eines Einschlags von 2009 JF1 wären weitaus drastischer, sagt Ulf Fiebig. Noch viel interessanter findet der Kfz-Meister und HWK-Ausbilder aus Kitzingen jedoch den Asteroiden Apophis mit seinen 350 Metern Durchmesser. Der Chaos-Gruß aus dem All wird am 13. April 2029 – passenderweise ist es ein Freitag, der 13. – in gerade mal 31.750 Kilometern Entfernung an der Erde vorbeidüsen; er dringt also bis in die Umlaufbahn unserer geostationären Satelliten vor.
Die Menschheit auslöschen?
Die Wahrscheinlichkeit eines Einschlags auf der Erde hatte man zeitweise auf 2,7 Prozent berechnet, mittlerweile geht man davon aus, dass Apophis den blauen Planeten verschont. „Anfangs war man sehr besorgt. Das Schwierige war, dass er von 2008 bis 2011 nahe bei der Sonne stand und deswegen nicht beobachtet werden konnte“, erklärte Fiebig. „Erst als er weit genug von der Sonne weg war, konnte man seine Flugbahn bestimmen.“
Ein interessantes Beobachtungsobjekt wird er auf jeden Fall sein. „Mit seiner Helligkeit von 3.3 Magnituden kann man ihn sogar mit dem bloßen Auge sehen, erst recht aber im Fernglas.“ Apophis wird als Lichtpunkt über den Nachthimmel ziehen und danach für Jahre im Dunkel des Alls verschwinden. Doch es gibt ein Wiedersehen: Am 13.April 2036 wird er zurückkehren – „auch da ist man sich sehr sicher, dass er an der Erde vorbeifliegt“, so Fiebig. Sein nächster Besuch könnte dafür spannend werden: Am 13. April 2068 kommt er der Erde so nahe, dass man einen Einschlag noch nicht 100-prozentig ausschließen kann.
Bis dahin ist noch viel Zeit. Zeit, in der sich die Bahn von Apophis noch verändern könnte – „zum Guten, also weiter weg von der Erde, aber auch zum schlechten – Treffer!“, so Fiebig. Der Asteroid fliegt um die Sonne herum und wird von ihrem Schwerefeld beeinflusst, aber auch die Planeten wirken mit ihrer Gravitation auf ihn ein. „Besonders, wenn er 2029 und 2036 sehr nahe an der Erde vorbeifliegt, wird seine Bahn verändert. Das kann man zwar vorausberechnen, aber eine kleine Unsicherheit bleibt immer.“
Und was, wenn das Horrorszenario einträfe? Was, wenn Apophis die Atmosphäre durchdringt und auf der Erde einschlägt? „Dann würde etwa eine Energie von 900 Megatonnen TNT-Äquivalent freigesetzt werden“, stellt Fiebig fest. „Die schlimmste je von Menschen gezündete Nuklearexplosion hatte eine Stärke von 50 Megatonnen TNT.“ Die Menschheit auslöschen könnte Apophis zwar nicht, aber doch sehr großen Schaden anrichten.
Ulf Fiebig sagt, dass ein sogenannter Earth Killer, ein Vernichter allen menschlichen Lebens, rund zehn Kilometer Durchmesser haben müsste – das ist etwa die Dimension des Kometen, der vor 65,5 Millionen Jahren den Dinosauriern und vielen anderen Arten den Garaus machte. „Man schätzt, dass alle 100 Millionen Jahre, plus-minus ein paar Millionen Jahre, ein solches Geschoss bei uns einschlägt“, sagt der leidenschaftliche Hobbyastronom. „Wenn man bedenkt, dass der letzte Einschlag gut 65 Millionen Jahre her ist und damals die Dinos ausgerottet hat, ist die nächste Katastrophe vielleicht nicht mehr so fern.“
Endzeitstimmung will der Kitzinger aber keineswegs verbreiten. Denn der Besuch aus dem All kann auch der Beginn von etwas ganz Neuem sein: „Der Asteroid, der die Dinos ausgelöscht hat, hat es erst ermöglicht, dass die Säugetiere sich weiter entwickeln konnten und so am Ende auch wir entstanden sind“, erklärt der Franke. „Ohne Asteroid wären die Dinos die Chefs geblieben und die Säuger hätten nur ein kleines Nischendasein geführt – und uns hätte es nie gegeben.“
Können wir die Bahn ablenken?
Wie Apophis kreuzen Hunderte teils noch unbekannte Objekte immer wieder die Erdumlaufbahn. 150 gelten derzeit als besonders risikobehaftet. „Die aus Richtung der Sonne kommenden Körper sind die gefährlichsten, weil sie erst sehr spät, oft zu spät entdeckt werden“, weiß Fiebig.
Ist man den Geschossen aus dem Universum völlig schutzlos ausgeliefert? „Ganz so ist es nicht“, beruhigt Ulf Fiebig. „Wenn ein Asteroid oder Komet früh genug entdeckt wird, also noch weit weg ist, reicht eine sehr kleine Ablenkung seiner Bahn, damit er uns verfehlt.“ Und wie sollte so eine Ablenkung vonstatten gehen? „Zum Beispiel mit einer Sonde, die auf dem Asteroiden aufschlägt.“ Allerdings gibt Fiebig zu, dass die Versuche solcher Rettungsaktionen noch in den Kinderschuhen stecken. Mit extra Programmen zur Suche nach Himmelskörpern, die der Erde nahe kommen, fahnde man aber intensiv nach Gefahrenpotenzial aus dem All.
In den Legenden der alten Ägypter wird Apophis übrigens von verschiedenen Göttern getötet, nur um stets wieder aufzuerstehen. Er ist ein Symbol der Wiedergeburt und des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse. In den Sonnenhymnen wird Apophis mit Messern zerstückelt und mit Lanzen erstochen. Sein Blut färbt den Himmel bei Sonnenaufgang rot. Immer wieder neu.
Info: Das „Forum Stellarum“ ist ein Zusammenschluss von Hobbyastronomen und Astro-Fotografen aus Franken. Alle Infos: www.forum-stellarum.de