
Macht nochmal einen drauf! Gammelt bis 15 Uhr im Bett herum! Daddelt den ganzen Tag auf dem Handy! Bis Ihr für all das wieder so viel Zeit habt, wie Ihr gerne hättet, vergehen womöglich 45 Jahre. Am kommenden Montag beginnt der "Ernst des Lebens".
Liebe Neu-Azubis, dieser abgedroschene Ausdruck ist natürlich Quatsch. Als ob das Leben nicht auch für junge Leute schon ernst wäre oder Arbeitende keinen Spaß mehr hätten. Es wird nur anders mit dem Beginn der Ausbildung, die in den meisten Berufen am 1. September startet.
In der Theorie hören sich viele Berufe gut an – aber wie sieht es mit täglich acht Stunden aus?
Ob Friseurin, Kaminkehrer, Physiotherapeut oder Kaufmann und -frau verschiedenster Bereiche – der Beruf, den man wählt, sollte einem vor allem gefallen. Blöd nur, dass man das erst weiß, wenn man wirklich damit in Berührung kommt. Jeden Tag. Acht Stunden lang.
Dazu kommt, dass die Auswahl heutzutage riesig ist. Etwa 330 Ausbildungsberufe gibt es in Deutschland. Wobei der Begriff "Ausbildung" nicht immer klassisch zu verstehen ist, im Betrieb, mit Schule und Prüfung und so. Wer im Internet nach den kürzesten Ausbildungen sucht, trifft unter anderem auf Nageldesigner/in und Verkehrsüberwacher/in. Das Erste lässt sich angeblich schon in zwei Wochen bis drei Monaten erlernen, das Zweite in sechs Wochen. Bis zum Pathologen oder Generalbundesanwalt dauert es deutlich länger.
Ein bisschen psychologisches Wissen ist auch für Nageldesigner nicht verkehrt
Wobei es doch gerade auch bei diesen Kurz-Ausbildungsberufen um viel mehr geht als um Nägelverschönern und Knöllchenschreiben. Die Nagelverschönerinnen (Männer sind da eher selten) müssen bestimmt auch gut zuhören und den einen oder anderen Ratschlag geben können. Ich feile daheim, kenne mich also nicht so aus, stelle mir aber vor, dass der Besuch im Nagelstudio so ähnlich ist, wie wenn ein Mann in der Bar einen bis viele Drinks zu sich nimmt.
Da kann man sein Herz ausschütten, sich Sorgen von der Seele reden, über die Chefin und den Kollegen meckern, über die Verwandtschaft und den Nachbarn. Bleibt alles an der Bar. Oder im Studio. Geschluckt von den Promille oder dem Dunst des Gel-Nagellacks.

Und so ein Verkehrsüberwacher braucht auch ein bisschen Psychologie. Für die, denen er Knöllchen gibt: Fremde, die sauer sind, weil sie zahlen sollen. Freunde, die sauer sind, weil sie auch zahlen sollen. Und für sich selbst: Weil es bestimmt nicht leicht ist, wenn alle immer sauer auf einen sind.
Früher lernte man den Job, den die Eltern ausgesucht hatten, und blieb bis zur Rente dabei. Heute hat man eine große Auswahl, dafür wechselt mancher fünfmal die Richtung und legt zwischendurch Sabbatical-Monate ein, um wieder zu sich selbst zu finden. Was leichter ist? Keine Ahnung. Aber eins weiß ich: Ich bin ausnahmsweise mal froh, dass ich schon so alt bin.