Gäste werden bei Anne Menzel herzlich willkommen geheißen. Mischlingshund Henry springt an einem hoch, Mops Lili schnüffelt an den Füßen und selbst der schwarze Kater Herr Bert riskiert einen Blick zur Tür. Genauso herzlich und unkompliziert ist das Frauchen: Anne Menzel, 84 Jahre, Nordlicht, kurze rote Haare und roter Lippenstift. "Kommen Sie, wir gehen gleich ins Wohnzimmer. Da sind die Stühle bequemer. Kaffee?"
Menzel ist ein geselliger Mensch. Liebt Kunst, Kitsch und alten Kram. Deswegen ist sie in Sulzfeld und deswegen kennt sie wohl jeder in dem Ort. Als Altstadtsanierung und Denkmalschutz für viele noch Fremdwörter waren, hat sie mit ihrem Lebensgefährten Otto Ende der 80er Jahre das Armenhaus am Buck gekauft. "Ich habe gedacht, mich trifft der Schlag. Nur weil das Dach gut war, haben wir es gekauft", erinnert sie sich an die erste Hausbesichtigung. "Und dabei hatte ich mir gerade in Worpswede eine Eigentumswohnung gekauft." Egal.
"30 000 Mark haben wir dafür bezahlt. So viel wie für einen Mercedes", erinnert sie sich. Mit ihrem Lebensgefährten ist sie viel in Deutschland unterwegs. Sulzfeld soll ihr Heimathafen werden. In seiner Freizeit hat Otto das kleine Haus, in dem früher die wohnten, die nur wenig Geld hatten, renoviert. "Jedes Wochenende, wenn ich kam, gab es eine Überraschung", sagt Menzel und lacht. Sie lacht gerne. Fältchen um die Augen beweisen es. Die Kacheln vom Ofen sind aus der alten Post in Mainbernheim. "Mein Geburtstagsgeschenk", erzählt die 84-Jährige. Das Parkett kam auch aus Mainbernheim und die Fenster aus der Erlacher Schlosskapelle funktionierte ihr Lebensgefährte zur Badezimmerwand um. "Otto konnte alles brauchen", sagt Menzel. Kein Wunder also, dass anfangs die Fenster alle unterschiedlich aussahen.
Totenkopffahnen hingen aus den Fenstern
"Die habe ich dann mit den Fördergeldern ausgetauscht", erzählt die pensionierte Lehrerin. Otto hat das nicht mehr erlebt. 1992 – nach viel Mühe und Arbeit – sind sie in das Haus gezogen, kurz darauf ist er gestorben.
Claudia Gattenlöhner, eine Nachbarin von Anne Menzel, kommt ins Wohnzimmer. Henry begrüßt sie stürmisch. Lili hat sich bei Menzels Füßen bequem gemacht und Herr Bert schleicht durchs Zimmer. Gattenlöhner und Menzel sind Schwestern im Geiste. Auch Innenarchitektin Gattenlöhner hat einen Blick für das Schöne, möchte Altes bewahren und die Sulzfelder Altstadt lebenswert halten. Auch sie wohnt mit ihrer Familie in einem alten Haus, das sie mit ihrem Mann liebevoll renoviert hat.
Wie Menzel und ihr Lebensgefährte suchten auch die Gattenlöhners lange nach einem alten Haus. Viele Häuser standen damals leer. "Aber man verkauft nichts", erinnert sich Menzel. Glück hatten beide, denn ihre Häuser gehörten der Gemeinde. "Die ganzen Sulzfelder sind lieber raus gezogen als ein altes Haus im Ort zu renovieren." Gattenlöhner ergänzt: "Und sie wollten sich die Häuser vergolden lassen." Auch der Denkmalschutz habe viele gestört. Leicht hatte es Stadtplanerin Sidonie Bilger nicht, als in den 90er Jahren nach Sulzfeld kam. "Da hingen sogar Totenkopffahnen draußen", erzählt Gattenlöhner. Diese verdeutlichten die Meinung der Sulzfelder über die Denkmalschützer. Menzel nickt.
Fremdes Land, fremde Sprache
Mit den Jahren wuchs das Verständnis. Doch eines ist geblieben: Im Sulzfelder Ortskern wohnen in den ehemaligen Leerständen fast nur "Zugereiste" wie Menzel und Gattenlöhner sagen. "Dabei haben die jungen Familien das Dorf wieder belebt", sagt Menzel. Nach dem Tod ihres Lebensgefährten überlegte sie, ob sie wieder nach Worpswede ziehen sollte. "Ich habe mich dann für die fränkische Trockenplatte entschieden", erzählt Menzel. "Die ersten zwei, drei Jahre dachte ich ja, ich wohne in einem fremden Land mit einer fremden Sprache."
Doch von solchen "Kleinigkeiten" lässt sich Menzel nicht schrecken. "Um schön Wetter mit den Sulzfeldern zu machen, habe ich erstmal die Josefsfigur restaurieren lassen", sagt sie und lacht ihr gewinnendes Lachen. Bereut hat sie den Umzug und den Umbau des Armenhauses nie. Mittlerweile wohnt ihre Enkelin Fiona, die in Würzburg studiert, bei ihr und sie hat viele Freunde in Sulzfeld gefunden. Regelmäßig treffen sich die Gleichgesinnten.
Auch wenn sich viel in Sulzfeld getan hat, sind Gattenlöhner und Menzel nicht zufrieden. "Die Gemeinderäte wohnen fast alle draußen. Keiner weiß, was es bedeutet, innerhalb der Mauer zu leben", beschwert sich Gattenlöhner (55) (Anm. d Red.: Tatsächlich leben sieben von zwölf Gemeinderatsmitgliedern innerhalb des Ortskerns). Durch die Stadtmauer sind Sulzfelds Straßen und Gassen eng, es gibt keine Stellplätze und selten einen Garten oder Hof. Das sind ebenso Probleme wie die fehlenden Geschäfte. "Es gibt nur noch einen Bäcker und das Gattenhaus", zählen Menzel und Gattenlöhner auf.
Nur – im Gattenhaus, dem kleinen Laden von Gattenlöhner, gibt es nichts für den täglichen Gebrauch. Wein, Marmelade, Bücher, Kunstobjekte oder "echter Kitsch" – wie Gattenlöhner sagt – locken die Touristen, aber selten einen Sulzfelder ins Geschäft in der Kettengasse. "Sulzfeld ist nur noch eine Schlafstadt", klagt Gattenlöhner und will sich weiter mit Menzel dafür einsetzen, den Altort lebenswert zu erhalten.