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Sulzfeld
Altort-Serie: Kunst und Kitsch im Armenhaus
Zwei Nachbarinnen, ein Anliegen: Anne Menzel und Claudia Gattenlöhner haben Häuser in Sulzfelds Altstadt hergerichtet. Warum dort die Zugereisten in der Überzahl sind.
Erinnerung an den Norden: Anne Menzel mit ihrer Enkelin Fiona an der Klöntür. Bei diesen Türen lässt sich die obere Hälfte separat öffnen und so entspannt ratschen (norddeutsch: klönen).
Foto: Julia Lucia | Erinnerung an den Norden: Anne Menzel mit ihrer Enkelin Fiona an der Klöntür. Bei diesen Türen lässt sich die obere Hälfte separat öffnen und so entspannt ratschen (norddeutsch: klönen).
Julia Lucia
 |  aktualisiert: 02.04.2019 15:22 Uhr

Gäste werden bei Anne Menzel herzlich willkommen geheißen. Mischlingshund Henry springt an einem hoch, Mops Lili schnüffelt an den Füßen und selbst der schwarze Kater Herr Bert riskiert einen Blick zur Tür. Genauso herzlich und unkompliziert ist das Frauchen: Anne Menzel, 84 Jahre, Nordlicht, kurze rote Haare und roter Lippenstift. "Kommen Sie, wir gehen gleich ins Wohnzimmer. Da sind die Stühle bequemer. Kaffee?" 

Das Haus von Anne Menzel in Sulzfeld.
Foto: Julia Lucia | Das Haus von Anne Menzel in Sulzfeld.

Menzel ist ein geselliger Mensch. Liebt Kunst, Kitsch und alten Kram. Deswegen ist sie in Sulzfeld und deswegen kennt sie wohl jeder in dem Ort. Als Altstadtsanierung und Denkmalschutz für viele noch Fremdwörter waren, hat sie mit ihrem Lebensgefährten Otto Ende der 80er Jahre das Armenhaus am Buck gekauft. "Ich habe gedacht, mich trifft der Schlag. Nur weil das Dach gut war, haben wir es gekauft", erinnert sie sich an die erste Hausbesichtigung. "Und dabei hatte ich mir gerade in Worpswede eine Eigentumswohnung gekauft." Egal.

Fotoserie

"30 000 Mark haben wir dafür bezahlt. So viel wie für einen Mercedes", erinnert sie sich. Mit ihrem Lebensgefährten ist sie viel in Deutschland unterwegs. Sulzfeld soll ihr Heimathafen werden. In seiner Freizeit hat Otto das kleine Haus, in dem früher die wohnten, die nur wenig Geld hatten, renoviert. "Jedes Wochenende, wenn ich kam, gab es eine Überraschung", sagt Menzel und lacht. Sie lacht gerne. Fältchen um die Augen beweisen es. Die Kacheln vom Ofen sind aus der alten Post in Mainbernheim. "Mein Geburtstagsgeschenk", erzählt die 84-Jährige. Das Parkett kam auch aus Mainbernheim und die Fenster aus der Erlacher Schlosskapelle funktionierte ihr Lebensgefährte zur Badezimmerwand um. "Otto konnte alles brauchen", sagt Menzel. Kein Wunder also, dass anfangs die Fenster alle unterschiedlich aussahen.

Totenkopffahnen hingen aus den Fenstern

Anne Menzel lacht gerne – auch über Mops Lili.
Foto: Julia Lucia | Anne Menzel lacht gerne – auch über Mops Lili.

"Die habe ich dann mit den Fördergeldern ausgetauscht", erzählt die pensionierte Lehrerin. Otto hat das nicht mehr erlebt. 1992 – nach viel Mühe und Arbeit – sind sie in das Haus gezogen, kurz darauf ist er gestorben.

Claudia Gattenlöhner, eine Nachbarin von Anne Menzel, kommt ins Wohnzimmer. Henry begrüßt sie stürmisch. Lili hat sich bei Menzels Füßen bequem gemacht und Herr Bert schleicht durchs Zimmer. Gattenlöhner und Menzel sind Schwestern im Geiste. Auch Innenarchitektin Gattenlöhner hat einen Blick für das Schöne, möchte Altes bewahren und die Sulzfelder Altstadt lebenswert halten. Auch sie wohnt mit ihrer Familie in einem alten Haus, das sie mit ihrem Mann liebevoll renoviert hat.

Hat nicht jeder: Die Badezimmerwand sind Fenster aus der Erlacher Schlosskapelle.
Foto: Julia Lucia | Hat nicht jeder: Die Badezimmerwand sind Fenster aus der Erlacher Schlosskapelle.

Wie Menzel und ihr Lebensgefährte suchten auch die Gattenlöhners lange nach einem alten Haus. Viele Häuser standen damals leer. "Aber man verkauft nichts", erinnert sich Menzel. Glück hatten beide, denn ihre Häuser gehörten der Gemeinde. "Die ganzen Sulzfelder sind lieber raus gezogen als ein altes Haus im Ort zu renovieren." Gattenlöhner ergänzt: "Und sie wollten sich die Häuser vergolden lassen." Auch der Denkmalschutz habe viele gestört. Leicht hatte es Stadtplanerin Sidonie Bilger nicht, als in den 90er Jahren nach Sulzfeld kam. "Da hingen sogar Totenkopffahnen draußen", erzählt Gattenlöhner. Diese verdeutlichten die Meinung der Sulzfelder über die Denkmalschützer. Menzel nickt. 

Fremdes Land, fremde Sprache

Claudia Gattenlöhner mit Hund Elsa im Esszimmer - dem Aufenthaltsraum der Familie.
Foto: Julia Lucia | Claudia Gattenlöhner mit Hund Elsa im Esszimmer - dem Aufenthaltsraum der Familie.

Mit den Jahren wuchs das Verständnis. Doch eines ist geblieben: Im Sulzfelder Ortskern wohnen in den ehemaligen Leerständen fast nur "Zugereiste" wie Menzel und Gattenlöhner sagen. "Dabei haben die jungen Familien das Dorf wieder belebt", sagt Menzel. Nach dem Tod ihres Lebensgefährten überlegte sie, ob sie wieder nach Worpswede ziehen sollte. "Ich habe mich dann für die fränkische Trockenplatte entschieden", erzählt Menzel. "Die ersten zwei, drei Jahre dachte ich ja, ich wohne in einem fremden Land mit einer fremden Sprache." 

Doch von solchen "Kleinigkeiten" lässt sich Menzel nicht schrecken. "Um schön Wetter mit den Sulzfeldern zu machen, habe ich erstmal die Josefsfigur restaurieren lassen", sagt sie und lacht ihr gewinnendes Lachen. Bereut hat sie den Umzug und den Umbau des Armenhauses nie. Mittlerweile wohnt ihre Enkelin Fiona, die in Würzburg studiert, bei ihr und sie hat viele Freunde in Sulzfeld gefunden. Regelmäßig treffen sich die Gleichgesinnten.

Das Gattenhaus: In ihrer Freizeit bauen Claudia Gattenlöhner und ihr Mann Joachim das Haus um. Ein kleiner Laden ist schon fertig, eine Galerie und Ferienwohnung sind noch geplant.
Foto: Julia Lucia | Das Gattenhaus: In ihrer Freizeit bauen Claudia Gattenlöhner und ihr Mann Joachim das Haus um. Ein kleiner Laden ist schon fertig, eine Galerie und Ferienwohnung sind noch geplant.

Auch wenn sich viel in Sulzfeld getan hat, sind Gattenlöhner und Menzel nicht zufrieden. "Die Gemeinderäte wohnen fast alle draußen. Keiner weiß, was es bedeutet, innerhalb der Mauer zu leben", beschwert sich Gattenlöhner (55) (Anm. d Red.: Tatsächlich leben sieben von zwölf Gemeinderatsmitgliedern innerhalb des Ortskerns). Durch die Stadtmauer sind Sulzfelds Straßen und Gassen eng, es gibt keine Stellplätze und selten einen Garten oder Hof. Das sind ebenso Probleme wie die fehlenden Geschäfte. "Es gibt nur noch einen Bäcker und das Gattenhaus", zählen Menzel und Gattenlöhner auf. 

Nur – im Gattenhaus, dem kleinen Laden von Gattenlöhner, gibt es nichts für den täglichen Gebrauch. Wein, Marmelade, Bücher, Kunstobjekte oder "echter Kitsch" – wie Gattenlöhner sagt – locken die Touristen, aber selten einen Sulzfelder ins Geschäft in der Kettengasse. "Sulzfeld ist nur noch eine Schlafstadt", klagt Gattenlöhner und will sich weiter mit Menzel dafür einsetzen, den Altort lebenswert zu erhalten. 

So sah das Gattenhaus vor dem Umbau aus.
Foto: Claudia Gattenlöhner | So sah das Gattenhaus vor dem Umbau aus.
Junger Altort Sulzfeld
Die Nachfrage nach kleinen Häusern im Sulzfelder Altort ist da – nur zu kaufen gibt es keine. "Die werden aufgehoben für die Enkel und Urenkel", beschreibt Bürgermeister Gerhard Schenkel ein Problem, das viele Gemeinden haben. Gerade viele Familien haben in den vergangenen Jahren Häuser im Ortskern hergerichtet. "Im Altort sind die Leute jünger als draußen vor den Mauren", sagt Schenkel. Die öffentlichen Bereiche im Altort seien alle saniert und jedes Jahr fördert die Gemeinde drei bis fünf private Bauvorhaben. Bauherren kommen durch kommunale Förderprogramme an Gelder und Stadtplaner Franz Ullrich steht Interessenten mit Rat und Tat zur Seite. Aktuell leben 1412 Menschen in Sulzfeld.
 
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