Es war nach dem Gottesdienst an einem Sonntag im August. Vor der Kirche in Kitzingen laufen sich zwei Männer über den Weg, kommen ins Gespräch und können die vielen Gemeinsamkeiten kaum fassen: Beide heuerten 1957 bei der US-Armee an, beide trafen ein Jahr später in den Kitzinger Harvey Barracks ein und liefen sich sicher mehrmals über den Weg. Doch bis zur ersten richtigen Begegnung sollten 55 Jahre vergehen.
Die Männer, dankbar für den Zufall, verabreden sich zum Biergartenbesuch. Ein paar Tage später sitzt man in Etwashausen unter Kastanien und schwelgt in Erinnerungen: Drei Stunden lang plaudern Fred Wollin und David Johnson drauflos. Über ihre Zeit als GI in Kitzingen. Über ihr Leben danach. Über Zufälle und Geschichten, wie sie nur das Leben schreibt.
Beide Männer hatten sich im Oktober 1957 für drei Jahre bei der US-Armee verpflichtet. David Johnson stammt aus Boise in Idaho. Fred Wollin war kurz nach dem Abitur mit seiner Schwester aus Deutschland nach Kalifornien ausgewandert. Dabei tat sich schnell das Sprachproblem auf: Schulenglisch gut und schön – aber im Ernstfall reicht es nicht. Was dazu führte, dass der junge Mann seine Zeit oft im Kino verbrachte, um die Sprache regelrecht aufzusaugen. Was ausgesprochen gut klappte und später noch ein ganzes Leben beeinflussen sollte.
Auf der Suche nach Arbeit blieb Fred Wollin bei der Armee hängen und sah die Chance, über einen Auslandseinsatz in Deutschland seine Mutter besuchen zu können.
Beide Männer absolvierten ihre Grundausbildung in Georgia und trafen im Mai 1958 auf einem alten Schlachtschiff in Bremerhaven ein. Von dort ging es mit dem Zug weiter zur Endstation nach Kitzingen.
Fred Wollin beim Blick auf die ehemaligen US-Kasernen in Kitzingen
Eine weitere Gemeinsamkeit: Für beide Männer war es 1961 mit dem Soldatenleben vorbei. Während David Johnson wieder zurück nach New Jersey ging, landete Fred Wollin zunächst bei den US-Streitkräften in Würzburg und arbeitete dort überwiegend als Übersetzer. Und: Er blieb in Unterfranken – der Liebe wegen. Nach der Hochzeit 1962 in Rimpar nutzte Wollin sein entdecktes Sprachtalent. Er setzte seine Laufbahn als Übersetzer fort und legte – inzwischen war noch Spanisch dazu gekommen – seine Dolmetscherprüfung ab. Dann arbeitete er für die Nato, für diverse Unternehmen und heuerte schließlich ab 1971 bei der Würzburger Firma Noell als Chef-Übersetzer an.
Nach einer erneuten Heirat verschlug es den ehemaligen GI schließlich an den Ausgangsort zurück: Fred Wollin, inzwischen längst Rentner, wohnt heute wieder in Kitzingen. Bei seinen abendlichen Spaziergängen streift er gerne an den ehemaligen Kasernen vorbei: „Das ist jedes Mal ein komisches Gefühl, wenn man sieht, wie alles verkommt.“
Zurück in den Etwashäuser Biergarten. Die beiden Männer reden drauflos. Freuen sich „wie kleine Jungs“. Die alten Zeiten. „Weißt Du noch . . .“ Die legendäre Kneipen-Szene in Kitzingen. Die Fußballspiele gegen heimische Teams. Oder die Sache mit Elvis. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht in der Kaserne verbreitet: Elvis ist mit dem Hubschrauber in Kitzingen gelandet. Die Soldaten rannten hin, wollten den Rock'n'Roll-Star sehen – der Landeplatz war jedoch großräumig abgesperrt. Aber immerhin: Wenn schon nicht zum Anfassen, hatte man den berühmten GI wenigstens mal aus der Ferne gesehen.
Bei derlei Geschichten verliert man schon mal die Zeit aus den Augen. Außerdem gilt es ja noch ein wichtiges Thema zu beackern: die deutschen Fräuleins. Apropos: Nicht nur Fred Wollin erlag dem Charme einer Unterfränkin – auch David Johnson heiratete eine Kitzingerin, die mit ihm nach Amerika ging.
Weshalb der Kontakt in die frühere Garnisonsstadt auch nie abbrach: Er kommt regelmäßig mit seiner Frau nach Europa, wobei Kitzingen selbstverständlich immer ein Anlaufpunkt ist. Was letztlich auch zu der Begegnung nach dem Gottesdienst und dem Biergarten-Besuch führte. Wo es ein großes Versprechen gab: Bis zum nächsten Treffen soll es keinesfalls wieder 55 Jahre dauern.