Kommt der große Ansturm? Das seit 1. Juni bundesweit geltende 9-Euro-Ticket soll dazu anregen, vermehrt die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Ob das auch auf dem flachen Land gelingt, könnte im Landkreis Kitzingen besonders gut nachvollziehbar sein: Derzeit läuft eine Erhebung zur Ermittlung der Fahrgastströme, an die sich der Freistaat mit einer eigenen Untersuchung angeschlossen hat.
Kaufen konnte man es schon, nutzen bislang noch nicht: Das 9-Euro-Ticket ermöglicht es, im Juni, Juli und August für jeweils neun Euro sehr günstig mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Es kann deutschlandweit auf allen Strecken in den Zügen des Schienenpersonennahverkehrs – mit Ausnahme des DB-Fernverkehrs, also ICE, IC, EC – sowie in allen Verkehrsmitteln des ÖPNV genutzt werden, erklärt Bernhard Hornig, der im Landratsamt Kitzingen für den öffentlichen Nahverkehr zuständig ist.
Das Ticket gilt unabhängig davon, welches Verkehrsunternehmen, welcher Verkehrsverbund oder Landestarif auf dem Ticket vermerkt ist. „Ein 9-Euro-Ticket, das beispielsweise in Hamburg erworben wurde, kann somit auch für Fahrten im Verkehrsverbund Mainfranken genutzt werden“, erklärt Hornig. Gleiches gelte natürlich auch umgekehrt. Das Ticket gilt auch auf den Freizeitlinien im Busverkehr im Landkreis Kitzingen, nicht aber in der Mainschleifenbahn, die aktuell nicht in den Schienenpersonennahverkehr eingebunden ist. „Im Zug gelten nur die Fahrscheine der Mainschleifenbahn, keine 9-Euro-Tickets, DB- oder Verbundfahrscheine“, teilt die Interessengemeinschaft Mainschleifenbahn mit.
Im Mainschleifenshuttle dagegen, der auf zwei Linien 26 Orte an der Mainschleife und im Steigerwald an Freitagen, Samstagen sowie Sonn- und Feiertagen miteinander verbindet, wird das 9-Euro-Ticket akzeptiert, wie Katja Eden, Pressesprecherin der VG Volkach, mitteilt. „Somit kann die Attraktivität der Linien noch weiter steigen.“ Bei den Schulbussen gilt es zu unterscheiden, ob die Verbindungen zum ÖPNV gehören oder für den Schülerverkehr freigestellt sind, erklärt Berhard Hornig. „Die reinen Schulbusse sind den Schülern vorbehalten.“
Die Nachfrage nach dem 9-Euro-Ticket sei sehr groß, sagt Bernhard Hornig. Wie das Ticket dann aber tatsächlich in Anspruch genommen wird, sei aktuell nicht abschätzbar. Ein Aspekt, auf den auch Landrätin Tamara Bischof hinweist: „Die Nachfrage und Verkaufszahlen des 9-Euro-Tickets sind das eine, die tatsächliche Nutzung über den Drei-Monats-Zeitraum etwas ganz anderes.“ Mit der Einführung des 9-Euro-Tickets beabsichtigten Bund und Länder, mehr Fahrgäste für den ÖPNV und SPNV zu gewinnen und damit – wo es möglich ist – die Menschen zu bewegen, das eigene Auto mal stehen zu lassen. „Sicherlich wird heute noch nicht das volle Potenzial des bestehenden ÖPNV ausgenutzt“, so die Landrätin. Die kommenden drei Monate werden ihrer Ansicht nach einen kurzen Einblick bieten, wie bereit die Menschen dafür sind, wenn ein finanzieller Anreiz geschaffen wird.
Wie viele Kunden das Angebot also wirklich nutzen, könnte im Landkreis und der Region gut nachvollziehbar sein, da im Verbundgebiet des VVM seit April ein Jahr lang ohnehin eine Verkehrserhebung zur Ermittlung der Fahrgastströme durchgeführt wird – auch zur Vorbereitung der Verbundraumerweiterung in Richtung Schweinfurt, Bad Kissingen, Haßfurt und Rhön-Grabfeld. „Der Freistaat Bayern hat sich hier mit einer eigenen Evaluation angedockt, um genau diese Frage beantworten zu können“, so die Landrätin. „Ich denke, dass sich viele Menschen für den ÖPNV entscheiden.“
Weil derzeit niemand weiß, wie das Angebot angenommen wird, könne das Landratsamt auch noch keine Angaben darüber machen, ob Engpässe auf bestimmten Bus-Strecken im Landkreis zu erwarten sind, erklärt Bernhard Hornig. Michael Burlein, Busunternehmer aus Abtswind und Kitzingen, rechnet dagegen durchaus mit Engpässen, beispielsweise bei den Bussen, die am Morgen und um die Mittagszeit fahren. „Alle Linien im Schulbusbereich sind eh schon voll. Kommen noch mehr Mitfahrer dazu, sind die Busse übervoll“, gibt er zu bedenken. „Viele werden enttäuscht sein, weil die Masse zu den Hauptzeiten kommt und alles überfüllt sein wird.“
Einfach mehr Fahrten anbieten, das kann weder ein einzelner Busunternehmer noch der Landkreis oder die Verkehrsverbünde VVM (Verkehrsverbund Mainfranken) und VGN (Verkehrsverbund Großraum Nürnberg), an die der Landkreis angeschlossen ist. Es seien aktuell keine Zusatz- oder Verstärkerfahrten geplant, erklärt Bernhard Hornig vom Landkreis. „Die Busse und auch die Busfahrer fehlen“, sagt Michael Burlein. „Eine Erhöhung der Kapazitäten wird nur sehr eingeschränkt möglich sein“, teilt auch der VGN mit. Deshalb sei zu erwarten, dass es auch zu Überbesetzungen kommen könne, heißt es auf der Homepage.
Deutlicher wird der VVM in einer Pressemitteilung: „Die einzige Sorge an der Aktion bleibt die mögliche Überlastung des ÖPNV.“ Obwohl zu erwarten sei, dass deutlich mehr Personen als sonst die Angebote im Nahverkehr nutzen werden, könnten in einem so kurzen Zeitraum nicht mehr Busse und Bahnen zur Verfügung gestellt werden. „Wir werden sämtliches rollendes Material zum Einsatz bringen, sowohl auf der Schiene wie auf der Straße. Wir erwarten keine generelle Überlastung des ÖPNV in der Region, dennoch kann es bei Fahrten zu touristischen Hotspots zu Engpässen kommen“, so der VVM-Geschäftsführer, Ulrich Fröhlich. Eine spürbare Erhöhung der Kapazitäten schließt der VVM aus: „Wir können weder auf mehr Fahrpersonal noch auf mehr Fahrzeuge zurückgreifen.“
Doch überfüllte Busse und Züge werden nicht nur diejenigen abschrecken, die den ÖPNV aufgrund des billigen Preises für sich testen, sondern nach Ansicht von Michael Burlein auch diejenigen enttäuschen, die bislang schon mit den „Öffentlichen“ fahren – weil sie dann keinen Platz mehr bekommen.
Bleibt die Frage der Finanzierung. Die Bundesregierung hat zugesichert, das 9-Euro-Ticket gegenüber den Aufgabenträgern und den Verkehrsunternehmen vollständig zu finanzieren. „Wir sind sehr an einer zeitnahen Weitergabe der Ausgleichszahlungen an die Verkehrsunternehmen interessiert“, erklärt Bernhard Honrig, denn „natürlich werden von Juni bis August 2022 die Fahrgeldeinnahmen bei den Verkehrsunternehmen nahezu auf Null zurückgehen.“ Entsprechende Vorbereitungen würden aktuell in allen Verbünden laufen.
Michael Burlein bezeichnet das 9-Euro-Ticket als politischen Schnellschuss, der im Hintergrund großes Chaos verursache. „Wenn bei uns jemand eine teurere Karte gekauft hat, zum Beispiel eine Schülerkarte, will er sein Geld von uns zurück.“ Der Aufwand für Anträge und Verrechnungen sei riesig. „Das Geld wird 25-mal hin- und hergeschoben.“ Ob die kurzfristige Aktion wirklich etwas bringt? Der Busunternehmer ist skeptisch. „Ich wage zu bezweifeln, dass durch das 9-Euro-Ticket wirklich groß umgestiegen wird.“ Handhabe ob des großen Aufwands und der absehbaren Verärgerung der Kunden aufgrund von überfüllten Bussen hat er keine. „Wir können nichts groß machen, wir fahren halt.“