Alles geht weg. „From nose to tail“, die Nutzung des gesamten Tieres, ist für Wolfgang Schäfer kein Werbeslogan, sondern eine Selbstverständlichkeit. Wobei es bei ihm eher heißen müsste „Vom Schnabel bis zu den Füßen“. Der Kleinlangheimer betreibt einen kleinen Geflügelhof, vermarktet Eier und Fleisch im eigenen Hofladen und mit dem Verkaufswagen. Er bedient damit einen Trend: Der Verbraucher will wissen, woher die Produkte kommen, die er verzehrt. Wobei Worte und Taten dabei noch weit auseinanderklaffen.
Treffpunkt im Hof von Wolfgang Schäfer. Um Eier und Geflügel aus der Region soll es gehen. Der Direktvermarkter stellt seinen Betrieb vor. Der Chef des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Gerd Düll, ist gekommen sowie Claus Schmiedel, in der Behörde für Geflügelhaltung zuständig, und Klaus Niedermeyer, Vorsitzender des Verbandes für Landwirtschaftliche Fachbildung (VlF) im Landkreis.
Jeder isst 235 Eier im Jahr
Schmiedel hat Zahlen zum Thema zusammengetragen. 235 Eier isst jeder Deutsche durchschnittlich im Jahr. Knapp die Hälfte der Eier wird im Discounter gekauft. 50 Prozent der Eier, die wir konsumieren, essen wir zuhause. In der Regel ist da nachprüfbar, wo die Produkte herkommen. Die anderen 50 Prozent nehmen wir auswärts – in Kantinen oder Restaurants – zu uns oder sind in Fertigprodukten enthalten. Wo die herkommen, lässt sich kaum oder gar nicht überprüfen. 31 Prozent Ei, so steht es auf der Packung der teuren italienischen Nudeln, ist darin enthalten. Herkunft? Keinerlei Angaben. Nicht auszuschließen also, dass sie von Tieren in Käfighaltung gelegt wurden, denn die ist zwar in der EU seit 2012 verboten, doch die Übergangsfristen sind noch nicht abgelaufen. 1,3 Prozent der deutschen Eier stammen noch aus der Kleingruppenhaltung in Käfigen, steht in Schmiedels Statistik. Das sind weit weniger als in vielen anderen Ländern und sicher auch weniger, als viele denken. Aber es sind immer noch viele. Weltweit betrachtet dagegen dominiert die Käfighaltung sogar. Im Osten gibt es riesige Batteriehaltungsbetriebe, erzählt Gerd Düll, genauso in Südamerika.
Der Selbstversorgungsgrad mit Eiern im Landkreis Kitzingen liegt bei 60 Prozent. Besser als in ganz Bayern (45 Prozent), schlechter als in ganz Deutschland (74 Prozent). Direkt im Landkreis können also gar nicht alle Eier gelegt werden, die wir hier verzehren. Dazu gibt es viel zu wenig Tiere. 31 167 Legehennen weist die Statistik 2019 im Landkreis Kitzingen auf, verteilt auf 260 Betriebe. Die Größe variiert stark: 246 Betriebe haben weniger als 50 Legehennen. Die dort lebenden 3493 Tiere machen gerade mal elf Prozent des gesamten Bestandes aus. Der Großteil von 89 Prozent, das sind 27 674 Tiere, leben in den 14 Betrieben mit mehr als 50 Hennen.
300 Legehennen im Stall
Wolfgang Schäfer gehört zu diesen 14 Betrieben, obwohl sein Betrieb vergleichsweise klein ist. 300 Hennen befinden sich in seinem Stall unweit des Hofes, mitten im Ort. Die größten Betriebe im Landkreis haben über zehntausend Tiere – immer noch wenig im Vergleich zu den riesigen Legebatterien, die es anderswo gibt. Zudem lebt ein Teil dieser Hennen in Freilandhaltung. Trotzdem ist die Skepsis vieler Verbraucher gegenüber größeren Betrieben groß. Das Bild von der Henne im Großstall sieht anders aus als das vom „glücklichen Huhn“ unserer Vorstellung, das genussvoll auf einer großen grünen Wiese Körner pickt. Am Ortseingang von Markt Herrnsheim begegnet einem im Vorbeifahren mal ein solches einzelnes Huhn, oder an der B8 in Mainbernheim. Deren Lebensbedingungen sind freilich anders als im großen Stall – aber die Nachfrage nach Eiern lässt sich mit dieser Haltung nicht decken. Es reicht gerade mal für die eigene Familie, vielleicht noch ein paar Freunde und Bekannte. Ein kleines Zubrot, mehr nicht.
Ein reiner Legehennenbetrieb kann nicht unter mehreren zehntausend Tieren existieren. Viele Tiere im Stall aber wecken den Unmut beim Verbraucher. So mancher hat heimlich irgendwo in Großbetrieben aufgenommene TV-Bilder von einpferchten, von verletzten, von den Leidensgenossen gepickten oder gar getöteten Hühnern gesehen. Das gibt es und das darf es nicht geben. Aber es spiegelt längst nicht die Realität in allen Ställen. Vielen Kritikern ist das egal, sie werfen alle in einen Topf – und greifen zugleich weiter im Discounter zum Billig-Ei, ohne auch nur zu schauen, wo es herkommt. Dabei lässt sich anhand des Stempels auf jedem Ei jederzeit kontrollieren, ob Bioei, Freiland- oder Bodenhaltung, ob aus Deutschland, den Niederlanden oder Polen – oder eben aus dem Landkreis Kitzingen, denn jeder Betrieb und Stall hat seine eigene Nummer.
Bodenhaltung ist Standard
Wer bei Wolfgang Schäfer kauft, weiß, woher das Ei stammt. Gerade mal hundert Meter vom Wohnhaus entfernt befindet sich der ehemalige Kuhstall, in dem die 300 Hennen leben. Hier haben sie vergleichsweise viel Platz. Neun Tiere dürfen auf einem Quadratmeter leben, so die Vorschrift. Der Schäfersche Stall ist größer. Aber Freilandhaltung hat der Kleinlangheimer nicht und auch keinen Bio-Betrieb. „Unsere Hühner leben in Bodenhaltung“, sagt der Landwirt. „Das ist in Deutschland Standard.“ Tatsächlich stammen knapp 60 Prozent der gekauften Eier aus Bodenhaltung, Freiland 27 Prozent, Bio 12,1 Prozent. Schäfer geht mehrmals täglich in den Stall, um die Tiere zu versorgen, er verbringt mindestens eine Stunde am Tag dort – im Vergleich zu Großbetrieben, umgerechnet auf die Tierzahl, ist das sehr viel. Etwa 240 Eier legt jede seiner Hennen im Jahr – das ist wiederum wenig im Vergleich zu speziellen Hybridhennen mit bis zu 300 Eiern. Der Kleinlangheimer verlangt pro Ei 25 Cent. „Viel zu wenig für den Aufwand“, findet Klaus Niedermeyer. Zumal die ganze Arbeit mit der Hand gemacht wird, vom Füttern über das Eierholen bis zum Auffüllen der Heukörbe, die als Spielzeug und Beschäftigung für die Tiere dienen, damit sie sich nicht gegenseitig verletzen. Denn dass Hühner mal aufeinander losgehen, ist auch in kleinen Ställen nicht ganz ausgeschlossen. In großen Beständen mit weniger Platz tritt es freilich öfter auf. „Hühner sind Aas-Fresser“, erklärt Gerd Düll. „Wird ein Huhn mal so fest gehackt, dass es blutet, ist es zu spät.“
Die Eierproduktion ist ein Standbein des Direktvermarkters, aber bei weitem nicht das, von dem die Familie leben kann. Sein Geld verdienen er und seine Frau vor allem mit dem Verkauf von Geflügel. Masthähnchen leben im Stall am Haus, kleine Wachteln, riesige Puten, dazu zeitweise Perlhühner, Enten, Gänse und Fasane. All die Tiere versorgt und füttert das Paar mit seinen Kindern und der Unterstützung von Schäfers Eltern selbst. Es wird selbst geschlachtet, das Fleisch und andere Produkte im eigenen Laden verkauft. Auch Suppenhühner sind dort im Angebot, denn nach knapp eineinhalb Jahren landen die Legehennen im Kochtopf. „Mit dem Alter der Hennen lässt die Stabilität der Eierschale nach“, erklärt Claus Schmiedel. Dann gehen die Eier leicht kaputt, das Tier wird geschlachtet.
Alles in eigener Hand
Dass Wolfgang Schäfer alles in eigener Hand hat, ist von Vorteil: Er kann gut auf Kundenwünsche eingehen. Und er kann dafür sorgen, dass das ganze Tier verwendet wird. Aus den Knochen kocht seine Frau Suppe und Fond. Selbst für die Füße und Köpfe hat er Abnehmer. Die Füße der Hühner gelten unter anderem bei Chinesen als Delikatesse. Die Köpfe holt der Falkner für seine Vögel. Etwa 60 Kilogramm Fleisch verzehrt jeder Deutsche im Jahr, verrät die Statistik. Der Gesamtverbrauch, in dem auch die Herstellung von Tierfutter, industrieller Verbrauch und Verluste eingerechnet werden, liegt sogar bei 88 Kilogramm. Den Großteil macht mit 47,3 Kilo Schweinefleisch aus, Geflügel liegt bei 23,3 Kilo – Tendenz steigend. „Geflügel liegt im Trend“, beobachtet auch Gerd Düll. Immer mehr Direktvermarkter steigen auch bei uns in die Geflügelhaltung ein, häufig mit mobilen Ställen. Trotzdem liegt der Selbstversorgungsgrad mit Geflügelfleisch im Landkreis Kitzingen bei gerade mal elf Prozent. Große Hähnchenmastbetriebe sind in Bayern vor allem in der Nähe von Schlachthöfen zu finden, und die gibt es in der Region nicht. Wer nicht beim Direktvermarkter kauft, muss also damit rechnen, dass die Hähnchenbrust auf seinem Teller schon einen weiteren Weg hinter sich hat.