Ein Drittel kommt im Ziel an. Zwei Drittel brechen vorher ab. Jahr für Jahr im September bringt der Spartathlon selbst ausgebuffte Langstreckenläufer an ihre Grenzen. 246 Kilometer in 36 Stunden sind zu bewältigen. Von Athen geht es bis nach Sparta, zwischendrin ist der Berg Sangas zu überwinden – ein ständiges Auf und Ab für den Körper, eine Achterbahnfahrt für den Geist. Die 61-jährige Buchhändlerin Marika Heinlein aus Wiesentheid startet heuer zum 17. Mal in Griechenland.
Ihr Mann Bruno – ebenfalls leidenschaftlicher Läufer – begleitet sie als Betreuer. Neunmal hat die 1,60 Meter große und 47 Kilo leichte Athletin den Ultramarathon zu Ende gebracht. Wird sie das zum zehnten Mal schaffen?
Marika Heinlein: Wegen der letzten 100 Meter bis ins Ziel! Dieses Gefühl, wenn du diese historische Strecke bewältigst und auf die Leonidas-Statue zuläufst, ist unbeschreiblich. Da hast du Gänsehaut, könntest vor Glück heulen. Es ist der Sieg über den eigenen Körper.
Marika: Während des Laufs kann viel passieren. Kälte, Hitze, wilde Hunde, Dunkelheit, Schmerzen. Manchmal ist einem so schlecht, dass man sich übergeben muss. Dann sagt der Kopf: Hör' doch auf! Aber wenn man nicht auf ihn hört, geht es doch weiter.
Marika: Beim ersten Mal habe ich gedacht, ich sterbe. Auf allen Vieren bin ich bei Nacht auf den Berg Sangas raufgekrochen. Da kam von hinten Richard Brown angetrabt – den kannte ich vom 48-Stunden-Lauf – und rief: 'You're right, honey!' Endlich oben, bekam ich Schiss: Vom Gipfel aus scheint es, als würde der Pfad ins Nichts abfallen. Da habe ich das erste Mal im Leben so richtig gebetet. Und an Mama Friedl gedacht, die mich einmal so angefeuert hat: 'Mach' mir bloß nicht schlapp! Du muss doch nur laufen!'
Marika: 2018 kam ein Hurrikan auf. 13 Kilometer vor dem Ziel hätte es mich fast von der Straße geweht. Aus Sicherheitsgründen habe ich deshalb aufgegeben. Ein anderes Mal hat mein Kreislauf versagt, da bin ich bei Kilometer 60 umgefallen.
Marika: Ich freue mich sehr aufs Wiedersehen mit Freunden aus Norwegen und Frankreich…
Bruno: …und aufs griechische Essen!
Marika: (lacht) Darauf freu' ich mich erst in den Tagen nach dem Lauf – da kommen dann meine Fress-Flashs. Vorher kriege ich nicht viel runter und während des Laufs gibt es zwar alle fünf Kilometer eine Verpflegungsstation, aber meistens ist mir auch da nur nach Flüssigkeit: Wasser, Kaffee, Kamillentee – und manchmal hab' ich total Lust auf ein alkoholfreies Bier!
Bruno Heinlein: (lacht) Schön wär’s. Die Wahrheit ist: Kein Schwein interessiert’s.
Marika: Mit sportlichen Leistungen Geld verdienen – das funktioniert in manchen Sportarten nicht. Der Start beim Spartathlon kostet mich 950 Euro und für Bruno als Betreuer nochmal die gleiche Summe. Das ist okay, dafür wird man im Hotel verpflegt und super betreut.
Marika: O doch! Die Nacht davor wache ich jede halbe Stunde auf. Es fühlt sich an wie Prüfungsangst und wird mit zunehmendem Alter eher schlimmer als besser.
Marika: Nein. Jeder kriegt einen Transponder, die Organisatoren wissen immer, wo man gerade ist. Unterschreitet man an den Stationen ein Zeitlimit, ist man raus. Für mich ist das manchmal nervenaufreibend, denn ich nehme nie eine Uhr mit – da ständig draufzuschauen, würde mich nämlich richtig stressen.
Marika: Überhaupt nicht! Ich war Mitte 30, als ich auf einem Feldweg bei Geesdorf mit einer Freundin zum ersten Mal joggen wollte. Nach 500 Metern haben wir beschlossen: Nichts für uns! Erst als Bruno einige Zeit später für den Schwanberglauf trainiert hat, habe ich es nochmal probiert. Drei Wochen später habe ich spontan am Residenzlauf in Würzburg teilgenommen – und wurde Letzte. Aber ich war total geflasht! Ich hab' gemerkt: Lange Strecken sind meins. 2006 wurde ich Deutsche Meisterin im 24-Stunden-Lauf. 2007 habe ich den ersten Spartathlon absolviert, ein Jahr später wurde ich dabei in 31,39 Stunden Dritte in der Frauenwertung.
Bruno: Vor vielen Jahren hat eine Freundin uns erzählt, ihr Freund fliegt jedes Jahr im September nach Griechenland, um beim Spartathlon zu laufen. Damals haben wir gesagt, der spinnt. Dann sind wir selbst mal hin – und jetzt spinnen wir auch.