„Bei uns ist alles echt“, beschreibt Martin Ludwig die Produktionsschule Haßfurt, in der er als Anleiter arbeitet. Denn während in einer „normalen“ Schule vor allem theoretische Lehrbuchaufgaben bearbeitet werden, gibt es in der Produktionsschule echte Aufträge und echte Kunden, die es zu bedienen gilt. Nun haben die Jugendlichen unter Anleitung von Martin Ludwig ein neues Projekt verwirklicht: Für das Jahr 2018 bringen sie einen Kalender mit Motiven aus der Kreisstadt heraus.
Die Ritterkapelle, die Stadttürme, das alte Rathaus – die bedeutenden historischen Bauwerke sind alle vertreten, ebenso wie Ansichten des Mainufers oder des Rosengartens in der Promenade. Zwölf Bilder aus Haßfurt zieren die Blätter des Kalenders im DIN-A4-Format. Dabei konnten die Jugendlichen, die die Produktionsschule besuchen, auf verschiedenen Bereichen ihre Fähigkeiten ausprobieren; vom Fotografieren über die Bildbearbeitung und die Erstellung des Kalendariums bis hin zum Verkauf und der Vermarktung des fertigen Produkts.
Träger der Produktionsschule ist das Rote Kreuz, die jugendlichen Mitarbeiter im Alter von 15 bis 25 Jahren werden von Jobcenter und Jugendamt vermittelt. Dabei handelt es sich um junge Menschen, die nicht mehr zur Schule gehen aber aus unterschiedlichen Gründen noch nicht in der Lage wären, gleich eine Ausbildung zu beginnen. Manche haben die Schule ohne Abschluss verlassen oder sind über einen längeren Zeitraum nicht zur Schule gegangen. „Ziel ist es, die Ausbildungsreife herzustellen“, erklärt Martin Ludwig. „Wir sind am Übergang Schule-Beruf.“ Dabei geht es unter anderem darum, den jungen Menschen Dinge wie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit beizubringen.
Dafür arbeiten die Jugendlichen in den Produktionsschulen des Roten Kreuzes unter Anleitung. In Haßfurt gibt es dort eine Änderungsschneiderei, einen Second-Hand-Laden und eine Internetagentur, die unter anderem einen Ebay-Shop betreibt. Sowohl der Second-Hand-Laden als auch der Ebay-Shop verkaufen auch Produkte, die in der Schneiderei gefertigt wurden, so dass eine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Bereichen besteht. Als Kunde ist jeder willkommen, die Jugendlichen können in der Rot-Kreuz-Einrichtung auch ihren Schulabschluss nachholen.
Neben Projektleiterin Karina Hauck besteht das Team aus einem Sozialpädagogen und den Anleitern für die verschiedenen Berufe – einer davon ist Martin Ludwig, der für die Internetagentur zuständig ist. „Es muss bei den Jugendlichen klick machen“, sagt er. „Wir schaffen es nicht, jeden in die Spur zu bringen“, erklärt er, doch bei einem Großteil der jungen Menschen gelinge es. So kann Martin Ludwig durchaus von einigen Erfolgsgeschichten berichten.
Dass nun in der Produktionsschule ein Kalender mit Haßfurt-Motiven entstand, ist auch Ludwigs Leidenschaft für Fotografie geschuldet. So betreibt er in seiner Freizeit die Internetseite hassfurt-im-wandel.de, für die er mit der Kamera in seiner Heimatstadt unterwegs ist und dokumentiert, wie sich Haßfurt in den letzten Jahrzehnten verändert hat.
Bereits vor einigen Jahren entstand die Idee, in der Produktionsschule ein Memory-Spiel mit Bildern aus Haßfurt herzustellen. Vor drei Jahren schossen Jugendliche, die damals in der Einrichtung arbeiteten, die ersten Fotos dafür, allerdings stellte sich das Projekt dann als nicht umsetzbar heraus: Die Produktionskosten wären so hoch gewesen, dass das Spiel nicht zu einem vernünftigen Preis hätte verkauft werden können. Dafür kam die Idee auf, für die Bilder eine andere Verwendung zu finden.
Diese gibt es nun mit dem Kalender. Einige der Haßfurt-Fotos entstanden vor drei Jahren im Rahmen des Memory-Projekts, andere erst in diesem Jahr, um den Kalender zu komplettieren. „Wir haben mit haushaltsüblichen Programmen und Geräten gearbeitet“, berichtet Martin Ludwig. Zum Einsatz kam eine recht einfache Kamera, auch die Bildbearbeitungsprogramme, mit denen die Fotos später nachbearbeitet wurden, finden sich auf vielen privaten Computern.
In der eigentlichen Produktionsphase waren drei Jugendliche am Kalender beteiligt: die 23-jährige Kristina Kvint, der 18-jährige Marcel Engelhardt und Leon Reinhard, der in der ersten Jahreshälfte 2017 im Alter von 17 Jahren die Produktionsschule besuchte – mittlerweile hat er seinen 18. Geburtstag gefeiert. Um die Vermarktung des fertigen Kalenders kümmert sich nun Oliver Höhn-Schüßler, der im Oktober im Alter von 15 Jahren in die Produktionsschule kam.
„Die Termine der Stadt sind auch eingetragen“, bewirbt er eine Besonderheit des Haßfurt-Kalenders. So stehen nicht nur – wie in Kalendern üblich – gesetzliche Feiertage oder Daten wie der Sommeranfang von Anfang an im Kalender. Auch Termine wie das Haßfurter Straßenfest, der Ostermarkt oder der Nikolausmarkt sind bereits eingetragen – mit Ausnahme der Einkaufsnacht, für die noch kein Datum feststand, als der Kalender in den Druck ging.
Recherchiert hat all diese Termine Kristina Kvint, die das Kalendarium erstellt hat. Außerdem hat die 23-Jährige das Deckblatt des Kalenders gestaltet, auf dem mehrere der im inneren abgebildeten Fotos um ein Ortsschild der Kreisstadt angeordnet sind. Außerdem gehört sie, zusammen mit Marcel Engelhardt und Leon Reinhard zu denen, die die Fotos gemacht und nachbearbeitet haben.
Die Fotos entstanden über einen längeren Zeitraum, denn die Jahreszeit auf den Bildern sollte auch zum jeweiligen Kalenderblatt passen. So ist von blühenden Blumen über Herbstlaub bis hin zum Schnee alles zu sehen. „Ein Bild mussten wir mehrmals schießen“, berichtet Marcel Engelhardt von den Problemen, die sie bei den Aufnahmen hatten. „Es war immer jemand im Bild oder es ist gerade ein Auto durchgefahren.“ Denn den Machern des Kalenders ging es darum, die Orte zu zeigen – Historische Gebäude und Straßen. Menschen oder Autos sollten auf den fertigen Bildern nicht oder zumindest möglichst wenig zu sehen sein.
In der Bildbearbeitung ging es dann darum, die Farben etwas besser herauskommen zu lassen oder die Verzerrung von Weitwinkelaufnahmen zu beseitigen. Mit dem Ergebnis zeigt sich Martin Ludwig sehr zufrieden. „Der Kalender muss sich nicht verstecken“, sagt der Anleiter und lobt die Leistung seiner Schüler, denen es gelang, sich ohne Vorkenntnisse in sämtliche Arbeitsschritte einzuarbeiten. Diese wiederum sind sich einig, dass ihnen die Arbeit am Haßfurt-Kalender gut gefallen hat. „Es hat Spaß gemacht“, sagen sie übereinstimmend.
Erhältlich ist der Kalender nicht nur im Second-Hand-Laden und dem Ebay-Shop der Produktionsschule. Auch das ebenfalls vom Roten Kreuz betriebene Mehrgenerationenhaus in Haßfurt verkauft ihn, ebenso wie die Tourist-Info der Kreisstadt oder die Buchhandlung Hübscher. „Keine Verkaufsstelle verdient was daran“, betont Martin Ludwig. Der volle Erlös geht zurück an die Produktionsschule, die damit ihre Ausgaben deckt. Vorerst hat die Produktionsschule 100 Kalender drucken lassen, bei Bedarf wird es eine weitere Auflage geben.