„Das ist meine letzte Lesung zum Fall Barschel”, kündigte der in Zimmerau lebende Sprachprofiler Raimund Drommel am Donnerstagabend bei seiner Autorenlesung in Bad Königshofen an.
25 Jahre nach dem Tod des ehemaligen Ministerpräsidenten Schleswig Holsteins ist für die älteren Bürger, die sich noch an einen der größten politischen Skandale, die „Barschel-Affäre“, erinnern, die Sache abgehakt. Die jüngeren kennen den Politiker gar nicht mehr.
Für Drommel ist der Tod Barschels ein klarer Mord. Ein Foto ging durch die Medien: Barschel, völlig bekleidet, tot in einer wassergefüllten Badewanne liegend. Die Aufnahme stammt von Stern-Reportern, die ein Interview mit dem Politiker machen wollten.
Anlässlich des 25. Todestags hatte Drommel zu einer Autorenlesung in die Schiller-Buchhandlung eingeladen, dort berichtete er, warum ihm dieser Fall so sehr am Herzen liegt. Die Ehefrau des toten Politikers, Freya Barschel, und das TV-Magazin „Panorama“ hatten den Sprachprofiler beauftragt, die Echtheit eines Briefes zu untersuchen, der ein Jahr nach dem Tod als Kopie Medien, Politikern und der Polizei zugespielt wurde.
Datiert „3. Oktober 1987“ und gerichtet an den damaligen Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg, zeigt das Schreiben auf, dass die Intrigen gegen den SPD-Spitzenkandidaten Björn Engholm von den Spitzen des CDU-Landesverbands gemeinsam beschlossen worden waren und Barschel bereit war, alle Schuld auf sich zu nehmen, wenn die Partei ihm eine „Existenzsicherung“ gewähren würde. Er würde sich ins Ausland verziehen. „Das würde uns beiden und der Partei aller Peinlichkeit entheben“, heißt es in dem Brief, den Drommel den Zuhörern zur Lesung mitgebracht hatte.
Als Sprachdetektive konnten sich dann die Teilnehmer an der Lesung betätigen, denn sowohl die letzte handschriftliche Notiz Barschels, die er im Hotel in Genf schrieb, als auch der später aufgetauchte, maschinengeschriebene Brief, den es nicht als Original, sondern nur als Kopie gibt, wurden gemeinsam durchforstet. Die handschriftliche Notiz beschreibt das Treffen mit einem gewissen Robert Roloff, der angeblich entlastendes Material präsentieren wollte und damit Barschel in die Schweiz lockte, bevor er seine Aussage vor dem eingerichteten Untersuchungsausschuss machen konnte.
Drommel: Der Brief ist echt
Die Schrift zeigt keine übermäßigen Gemütsbewegungen, stellten die Anwesenden fest und konnten Raimund Drommel zustimmen, der über die Veränderung von Schrift in Stresssituationen informierte, egal ob ein innerer Konflikt wegen eines geplanten Suizids oder ein „Geständnis“ oder Abschiedsbrief mit einer Pistole am Kopf erzwungen wurde. Der Brief ist echt, darüber gibt es für Drommel keinen Zweifel. Mysteriöser ist der zweite, maschinengeschriebene Brief an Stoltenberg, der inhaltlich das perfekte Motiv für einen Mord liefert. Für Drommel weist er sprachlich so viele Eigenheiten Barschels auf, dass er nicht gefälscht sein kann.
Doch wer war der Absender? Ist es möglich, dass die Stasi, die Barschel auf Schritt und Tritt begleitete, eine Sprachkassette mit diesem Inhalt gefunden, ihn abgetippt und - als offiziell „Selbstmord“ propagiert wurde - ihn in die Diskussion eingebracht hat? Oder hat jemand im Büro Stoltenberg eine Kopie gemacht, bevor er in den Aktenvernichter kam?
„Wenn ich auspacke, dann wackelt Bonn“, soll Barschel laut Aussage seiner Frau zu ihr gesagt haben. Nicht nur bestimmte Kreise in Deutschland, auch die Stasi und andere Geheimdienste hatten ein Mordmotiv, wie Drommel feststellte, auch wegen der Waffengeschäfte, in die er verstrickt war.
Barschel wusste zu viel. Es gibt Spuren, die nicht weiterverfolgt wurden, schlampige Ermittlungen, ungelöste Rätsel und Beweise, die keine Beachtung fanden. Klar ist: Ein angeblicher Selbstmord wird im Ausland nicht so sorgfältig untersucht wie ein Mord.
Kurzweilig und mit hintergründigem Humor gestaltete Drommel die Lesung. Der zweifache Buchautor („Der Code des Bösen“ und „Sprachwissenschaftliche Kriminalistik und Sprachprofiling“) will den Fall Barschel jetzt auch für sich selbst ad acta legen. Ab jetzt gelte: „Still ruht der Genfer See“.