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Zur Auswahl: Mord und fahrlässige Tötung
Prozess wegen Mordes an Elfjähriger in Silversternacht 2015/2016       -  Janinas Grab: Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft wurde das Kind ermordet, dem Verteidiger  des Todesschützen zufolge wurde es Opfer einer fahrlässigen Tötung. Am Donnerstag ergeht in Bamberg das Urteil.
Foto: DPA | Janinas Grab: Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft wurde das Kind ermordet, dem Verteidiger des Todesschützen zufolge wurde es Opfer einer fahrlässigen Tötung. Am Donnerstag ergeht in Bamberg das Urteil.
Von unserem Redaktionsmitglied Martin Sage
 |  aktualisiert: 15.12.2020 15:12 Uhr

Auch nach dem letzten Verhandlungstag am Mittwoch ist sich Oberstaatsanwalt Otto Heyder sicher: Es war Mord. Deshalb forderte er in seinem Plädoyer vor der 2. Strafkammer des Landgerichts Bamberg eine lebenslange Haftstrafe für den Mann, der in der Silversternacht 2015/16 in Unterschleichach die elfjährige Janina erschossen hat. Der Tatbeurteilung und dem geforderten Strafmaß schlossen sich die beiden Anwälte der Eltern als Nebenklägervertreter an. Thomas Drehsen hingegen, der Pflichtverteidiger des Angeklagten, setzt auf eine Verurteilung lediglich wegen fahrlässiger Tötung. Am Donnerstag hat das Schwurgericht das letzte Wort: Vorsitzender Richter Manfred Schmidt will dann um 13.00 Uhr das Urteil der Jury verkünden.

Einigkeit herrschte am Mittwoch unter den Rechtsvertretern nur dahingehend, dass niemand dem Beschuldigten unterstellt, er habe am frühen Neujahrsmorgen unbedingt Menschen töten oder verletzen wollen oder er sei gezielt gegen Janina vorgegangen. Doch Ankläger Heyder sieht es als erwiesen an, dass der gelernte Maurer und spätere Fahrer der Justizvollzugsanstalt Ebrach den Tod eines Menschen billigend in Kauf nahm. Mehr noch: Der Oberstaatsanwalt sieht die Mordmerkmale Heimtücke und niedere Beweggründe in jedem Fall als erfüllt an.

Wie mehrfach berichtet, hatte Silvesterfeuerwerk den heute 54-Jährigen am 1. Januar kurz nach Mitternacht aus dem Schlaf auf seiner Wohnzimmercouch gerissen. Daraufhin ging der Mann in den Keller seines Hauses in Unterschleichach, holte aus dem Waffenschrank einen Kleinkaliberrevolver, lud ihn mit der ebenfalls im Tresor befindlichen Munition, begab sich in seinen Garten und feuerte hier mehrere – vermutlich fünf – Schuss ab. Ein Projektil traf Janina, die mit einer Gruppe im Freien vor dem Haus des Angeklagten feierte, am Hinterkopf.

Verteidiger Drehsen wiederholte in seinem Plädoyer das, was sein Mandant schon bei den ersten polizeilichen Vernehmungen zu Protokoll gegeben hatte: Er habe in Richtung Wald geschossen und mitnichten gewollt, dass jemand zu Schaden kommt. Weil dieser Wald jenseits der Straße vor seinem Haus liegt und hier jederzeit Menschen vorbeikommen können, sprach der Pflichtverteidiger von einer „bewussten Fahrlässigkeit“. Auch bemerkte er, dass eine Kleinkaliberwaffe „alles andere als ein klassisches Tötungselement ist.“ Sein Mandant besaß bis zur Beschlagnahme auch schwere Schusswaffen. Sollte das Gericht seiner Einstufung als fahrlässige Tötung nicht folgen, plädierte Drehsen auf eine Verurteilung wegen Totschlags, keinesfalls aber wegen Mordes.

Dieser Forderung traten Nebenklägervertreter und Staatsanwaltschaft mit schwerwiegenden Argumenten entgegen. Aus ihrer Sicht ist der Angeklagte zielgerichtet vorgegangen, und es habe viele Momente gebeben, an denen er innehalten und sein todbringendes Handeln hätte stoppen können, sei es beim Laden der Waffe, sei es beim Verlassen des Hauses.

Auch wenn der genaue Standort des Todesschützen nicht mehr zu ermitteln sei, so stehe doch mit fast 100-prozentiger Sicherheit fest, dass es ein direkter Schuss und damit kein Abpraller war, erinnerte Staatsanwalt Heyder an das ballistische Gutachten aus der vergangenen Woche. Und der ehemalige Sportschütze habe sich bewusst im Dunkeln bewegt, während die Gruppe um Janina herum im Schein einer Straßenlaterne stand und vom Schützen aus gut erkennbar gewesen sein müsse. Aus einer im Gerichtssaal vorgespielten Videovernehmung vom Tag seiner Festnahme am 13. Januar geht hervor, dass der Angeklagte sehr wohl wusste, dass sich Personen auf der Straße vor seinem Haus aufhielten, wenn auch nicht wer und wie viele. Am ersten Verhandlungstag hatte der Beschuldigte den Eindruck erwecken wollen, er habe draußen niemanden wahrgenommen. Der Angeklagte habe auch nicht nur einmal, sondern mehrmals, und nicht in die Luft, sondern in etwa parallel zur Geländeoberfläche geschossen. Für den Staatsanwalt hat der Todesschütze dabei die Arg- und Wehrlosigkeit seiner im Freien feiernden Nachbarfamilie, ihrer Gäste und damit Janinas ausgenutzt, und zwar bewusst. Und Heyder erkannte auch niedere Beweggründe: „Sie haben sich selbst leid getan und aus krasser Eigensucht gehandelt.“ Der Anlass der Tat sei absolut nichtig gewesen, und es habe völlig harmlose Alternativen zum Schusswaffengebrauch gegeben: „Sie hätten die Leute ansprechen oder sich was in die Ohr stecken können“, hielt der Staatsanwalt dem 54-Jährigen vor.

Das Motiv der Tat hatte der Todesschütze am Mittwoch kurz zuvor erstmals mit Hilfe seines Verteidigers erklärt: Dieser hatte ihn gefragt: „Haben Sie aus Verärgerung gehandelt“, woraufhin das Gericht die Antwort „Ja“ hörte, ohne jede weitere Einlassung des Geständigen.

Eine Verärgerung, eine Wut, die sich nicht nur auf die nächtliche Ruhestörung bezog, sondern auch auf die Lebenssituation des Mannes. Schon vor Jahren ist seine Lebensgefährtin mit dem gemeinsamen Sohn aus dem Haus in Unterschleichach ausgezogen, vor allem an der Trennung von seinem Kind trägt der einstige Justizmitarbeiter schwer. Ab 2013 haben ihm mehrere schwere Erkrankungen zugesetzt – und ihn in eine Depression geführt.

Wie die Prozessbeteiligten und die Zuschauer im Landgericht Bamberg vom psychiatrischen Gutachter Dr. Jörg Groß (Würzburg) erfuhren, litt der Angeklagte auch an Silvester 2015 an einer „leichten bis allenfalls mittelmäßigen Ausprägung einer Depression.“ Der Psychiater wollte Mängel in der Steuerungsfähigkeit nicht grundsätzlich ausschließen, allerdings seien derartige Beeinträchtigungen nicht positiv darstellbar. Dr. Groß erklärte, dass aus psychiatrischer Sicht nichts für eine Verminderung der Schuldfähigkeit spreche. Dem Mann auf der Anklagebank bescheinigte er eine durchschnittliche Intelligenz im unteren Bereich und keine Abhängigkeiten von Drogen oder Medikamenten. Zwar hatte der Angeklagte in der Tatnacht wie gewohnt Antidepressiva eingenommen und dazu auch Alkohol getrunken, aber das habe zu keiner psychiatrisch relevanten Intoxikation geführt – also keine psychische Ausnahmesituation herbeigerufen. Für eine Unterbringung des 54-Jährigen in der psychiatrischen Klinik sieht der Experte keinen Grund.

„Den Grundsatz in dubio pro reo – (im Zweifel für den Angeklagten) lassen wir hier nicht gelten“, machte Norman Jacob (Würzburg), der Beistand von Janinas Vater, mit Blick auf eine mögliche eingeschränkte Steuerungsfähigkeit klar. In diesem Sinne äußerten sich auch Staatsanwalt Heyder und Maximilian Glabasnia, der Anwalt von Janinas Mutter. Auch nach der Tat („er hat sofort gemerkt, dass er jemanden getroffen hat“) sei der Beschuldigte weiter systematisch vorgegangen, habe die Waffe gereinigt und im Waffenschrank verstaut und die Patronenhülsen im Ofen verschwinden lassen. Die nächsten Tage habe er die Polizei kaltblütig beschwindelt und bis zu seiner Festnahme dem enormen psychischen Druck standgehalten. „Er hat geschossen. Und er hat getroffen – und darum ging es ihm auch“, brachte es Rechtsanwalt Glabasnia auf Kurzform. „Dass er sonst ein netter, hilfsbereiter Kerl war, interessiert uns überhaupt nicht.“

Nun bleibt nicht mehr lange abzuwarten, wie das Gericht das Geschehen in der Silvesternacht bewertet, von dem Staatsanwalt Heyder sagte, es sei ein „an Sinnlosigkeit und Absurdität kaum zu übertreffendes Verbrechen, das deshalb umso schwerer zu ertragen sei.

 
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