Hoch über der Stadt Kronach thront die Festung Rosenberg. Die lädt nicht nur zu Burgbesichtigungen ein. Ein besonderer Anziehungspunkt sind die Rosenberg-Festspiele. Jedes Jahr lockt das Freilichttheater auf der Burg eine große Schar Besucher an.
„Lieber arm denn blutbefleckt“, sagen die Bewohner des heruntergekommenen Ortes Güllen in Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“. Denn als die Multimilliardärin Claire Zachanassian ihren Geburtsort, den sie vor vielen Jahren verlassen hat, besucht, verspricht sie eine kräftige Finanzspritze, die die Stadt wieder aufbauen soll. Doch sie fordert eine Gegenleistung: Den Tod von Alfred Ill, der ihr in ihrer Jugend übel mitgespielt hat. Zwar lehnen die Bürger ihr Angebot zunächst entschieden ab. „Ich kann warten“, entgegnet Claire. Und tatsächlich beginnt in den nächsten Tagen die Stimmung zu kippen.
Neben Dürrenmatts Klassiker stehen in diesem Jahr William Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ und Ottfried Preußlers „Die kleine Hexe“ auf dem Spielplan. „Die Auswahl musste dieses Jahr sehr schnell gehen“, sagt Regisseurin Heidemarie Wellmann. Denn im Vergleich zum Vorjahr hat sich einiges geändert. Von 1995 bis 2015 war die Veranstaltung unter dem Namen „Faust-Festspiele“ bekannt. Goethes Klassiker stand in dieser Zeit in jedem Jahr auf dem Spielplan, daneben je zwei weiterer Stücke im jährlichen Wechsel. Doch nun gab es einen radikalen Schnitt. Wellmann, die schon lange als Schauspielerin bei den Festspielen dabei war, übernahm die künstlerische Leitung und überarbeitete das Konzept. Der Dauerbrenner „Faust“ ist nun nicht mehr dabei, es mussten also in kürzester Zeit drei neue Stücke gefunden und geprobt werden. Ebenfalls neu ist, dass neben zwei Stücken für ein erwachsenes Publikum nun jährlich eine Kindergeschichte auf die Bühne der Rosenberg-Festspiele kommen soll. Auch bei den Stücken für Erwachsene erhöht sich die thematische Vielfalt, denn Heidemarie Wellmann möchte bewusst auch moderne Klassiker ins Programm nehmen.
„Wir sind beide in diesem Jahr zum ersten Mal dabei“, erzählen Daniela Ilian und Wolfgang Scheiner. Die beiden Schauspieler kamen auf Empfehlung von Uli Scherbel, der im letzten Jahr der Faust-Festspiele den Mephisto gespielt hatte, nach Kronach. In „Der Besuch der alten Dame“ stehen sie als Claire Zachanassian und Alfred Ill auf der Bühne. „Es ist ein Arbeitsprozess, wie bei jeder anderen Rolle“, sagt Daniela Ilian darüber, wie sie sich in eine solche Figur hineinfindet. So müsse sie die Figur „recherchieren und im besten Fall empfinden“. Wolfgang Scheiner berichtet, ein solcher Arbeitsprozess beginne zunächst am Schreibtisch. „Man versucht, der Figur näher zu kommen, bis man glaubt, sie verstanden zu haben.“
Auf Freilichtbühnen kommt etwas dazu, das Schauspieler in einem Theater weniger hart trifft: Das Wetter. „Bis jetzt haben wir Glück gehabt. Es gab nur einmal einen Wolkenbruch“, sagt Wolfgang Scheiner. „Heute war es kühl aber trocken.“ Im Zweifelsfall müssen die Schauspieler auf der Festung Rosenberg allerdings damit leben, nass zu werden. Zwar ist der Zuschauerraum überdacht, doch die Schauspieler sind dem Wetter schutzlos ausgeliefert. Daniela Ilian sieht das allerdings nicht als großes Problem. „Wenn uns das Publikum ein bisschen Wärme entgegenbringt, wärmt uns das auch.“
Auf die Frage, wie die Zusammenarbeit im Team der Rosenberg-Festspiele funktioniert, antwortet Scheiner: „Das geht super, wir haben uns von Anfang an verstanden,“ wobei ihm auch seine Kollegin Daniela Ilian zustimmt. Das war auch nötig, denn in diesem Jahr hatten die Festspiele ein strammes Programm. „In 14 Tagen gab es zwei Premieren“, sagt Wolfgang Scheiner. Das sei auch der Neustrukturierung geschuldet. „Teile des vorherigen Ensembles sind weggefallen. Das hat eine neue Dynamik reingebracht“, sagt Regisseurin Heidemarie Wellmann. In ihrem ersten Jahr als Leiterin der Festspiele hat sie einiges zu tun. „Vom Moment des Aufstehens bis zum Ins-Bett-Gehen habe ich nichts anderes gemacht als Festspiele“, beschreibt sie die vergangenen Wochen. Denn nach der Umstrukturierung musste alles sehr schnell gehen. „Es ist schon ermüdend, wenn alles auf einem Paar Schultern lastet.“ Doch vor allem die Verantwortung vor dem Zuschauer habe sie bei dieser Arbeit motiviert. „Die sollen was sehen. Dann muss man da durch.“
Uli Scherbel, auf dessen Empfehlung Daniela Ilian und Wolfgang Scheiner nach Kronach kamen, war es auch, der Heidemarie Wellmann auf die Idee gebracht hatte, als erstes Kinderstück „Die kleine Hexe“ aufzuführen, in der Wellmann selbst die Titelrolle spielt. Auch in den beiden anderen Stücken ist sie nicht nur als Regisseurin, sondern auch als Schauspielerin dabei. Dass außerdem „Der Widerspenstigen Zähmung“ auf dem diesjährigen Spielplan steht, ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass Heidemarie Wellmann Shakespeare als ihren Lieblingsautor bezeichnet.
Auch für Leute, die die aufgeführten Stücke bereits kennen, bieten die Festspiele noch die eine oder andere Überraschung. Auf die Frage, wie frei sie als Dramaturgin mit den Texten umgehe und umgehen dürfe, sagt Heidemarie Wellmann: „Ich schreibe selbst und habe einen unglaublichen Respekt vor dem Werk des Autors.“ So versuche sie, viel über den Schriftsteller herauszufinden. „Ich orientiere mich daran, wie sich der Autor selbst gesehen hat.“ Demnach sollten alle Änderungen, die an einem Stück vorgenommen werden, „im Geist des Autors“ sein. Solche Abweichungen seien vor allem nötig, um die Texte an das jeweilige Theater anzupassen.
Beispielsweise fehlen der Freilichtbühne in Kronach gewisse Möglichkeiten, die viele Theater haben. „Wir können hier zum Beispiel nichts hoch- und runterfahren“, sagt Wellmann. Auch an das Personal können Stücke angepasst werden, vielleicht auch an die Schauspieler, die sie für eine bestimmte Rolle im Sinn hat. Dennoch legt sie Wert darauf, den Sinn der Geschichten nicht zu verdrehen. „Man darf nicht seine persönliche Lebensgeschichte reinpressen. Ich fühle mich dem Autor verpflichtet.“
Die Rosenberg-Festspiele laufen noch bis zum 13. August. Weitere Infos unter www.rosenbergfestspiele.de/