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Bamberg
"Wunderbare Geste dokumentiert den Geist eines neuen Bamberg"
Professor Dr. Michael Wolffsohn und seine Ehefrau Rita sowie weitere Familienangehörige aus drei Kontinenten waren bei der Stolpersteinverlegung in Bamberg dabei.
Foto: Marion Krüger-Hundrup | Professor Dr. Michael Wolffsohn und seine Ehefrau Rita sowie weitere Familienangehörige aus drei Kontinenten waren bei der Stolpersteinverlegung in Bamberg dabei.
Marion Krüger-Hundrup
 |  aktualisiert: 25.08.2023 03:26 Uhr

Professor Dr. Michael Wolffsohn ist einer der führenden Experten für die Analyse internationaler Politik und nicht zuletzt die Beziehungen zwischen Deutschen und Juden auf staatlicher, politischer, wirtschaftlicher und religiöser Ebene. Der Historiker und Publizist meldet sich regelmäßig zu wichtigen politischen, militärpolitischen, historischen und religiösen Fragestellungen zu Wort. Bei Themen wie Zukunft der Bundeswehr, Nahost und andere Weltkonflikte, deutsch-israelische Beziehungen oder Geschichte und Gegenwart des Judentums hat er sich mit präzisen Analysen und klaren Stellungnahmen einen Namen gemacht.

Der 1947 in Tel Aviv geborene Sohn einer 1939 nach Palästina geflüchteten jüdischen Kaufmannsfamilie übersiedelte 1954 mit seinen Eltern nach West-Berlin. Nach Wehrdienst in Israel und Studium in Berlin, Tel Aviv und New York lehrte er von 1981 bis 2012 als Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. Er hat zahlreiche Bücher, Aufsätze und Fachartikel verfasst und ist weiterhin publizistisch und als vielbeachteter Vortragsredner tätig. Der Deutsche Hochschulverband, die Standesorganisation der deutschen Professoren, kürte Michael Wolffsohn 2017 zum Hochschullehrer des Jahres. Das Interview im Wortlaut:

Warum ist es Ihnen wichtig, dass mit Stolpersteinen an Ihre Großeltern erinnert wird?

Michael Wolffsohn: Einerseits soll sich kein Einzelner oder auch keine einzelne Familie zu wichtig nehmen. Andererseits gibt es in Bamberg, wie woanders in Deutschland und Europa, vergleichbare Stolpersteine. Eine, wie ich finde, ganz wunderbare Erinnerungsform. Leise, unaufdringlich, ohne die üblichen Phrasen und im Augenblick des Betrachtens etwas quasi Privates für den jeweiligen Betrachter. Meine Großeltern sind meiner Familie und mir sehr wichtig, aber nicht wichtiger als die Verwandten anderer Opfer – aber eben auch nicht unwichtiger.

Ihre weitverzweigte Familie ist dem Holocaust lebend entkommen, wie Sie in Ihrem Buch "Deutschjüdische Glückskinder" eindrucksvoll schildern. Entstand daraus für Sie ein entspannteres Verhältnis zu Deutschland?

Wolffsohn: Der Großteil meiner Familie entkam, nicht aber meine Urgroßmutter Maria Bickart und der Bruder meines Großvaters, Martin Saalheimer. Er wohnte am Heinrichsdamm 1, wo, was für ein Zufall, heute das Büro des Bamberger Antisemitismusbeauftragen ist. Maria Bickart lebte in der Luitpoldstraße 40. Gute Bamberger Geister haben für sie bereits einen Stolperstein gesetzt. Dankbar bewegt habe ich das zufällig erfahren und dann gesehen. Diese wunderbare Geste dokumentiert für mich den Geist eines neuen Bamberg.

Stolpersteine lassen nicht nur stolpern, sondern werden auch von unachtsamen Fußgängern betreten. Wird das einstigen jüdischen Mitbürgern gerecht?

Wolffsohn: Ich sehe das anders. Wo immer ich Menschen an Stolpersteinen sah, verharrten sie vor diesen und sinnierten oder umgingen sie pietätvoll. Im Bayerischen Viertel Berlins sah ich vor einigen Jahren am Neunten November hunderte von brennenden Kerzen auf Stolpersteinen. Das war ganz sicher nicht politpädagogisch gelenkt, sondern kam aus dem Herzen der dort lebenden, mehrheitlich gewiss nicht jüdischen Bewohner. Ich war tief gerührt. Eindrucksvoller kann Gedenken nicht sein.

Haben Sie nicht nur verwandtschaftliche Beziehungen zu Bamberg, sondern auch weitere?

Wolffsohn: Nur Banausen machen einen Bogen um das herrliche und kulturell so bedeutsame Bamberg. Immer wieder kam und komme ich sehr gerne nach Bamberg. Als ich jung und knusprig war, hatte ich mal eine Professurvertretung in Bamberg. Mehrere meiner Vorträge haben sich viele Bamberger freiwillig angetan, zuletzt der Rotary-Club Bamberg. Das war immer höchst erfreulich und zugleich quasi nostalgisch.

Antisemitismus ist gerade wieder in Deutschland eine fast tägliche Erscheinung. Wie gehen Sie damit um?

Wolffsohn: Ja, sie sind da. Sie üben verbale und körperliche Gewalt aus. Schlimm. Das "wieder" in der Frage ist irreführend. Wieder aktiv sind rechtsextremistische Antisemiten. Schlimm, aber nicht neu. Zu wenig beachtet werden linke und linksliberale Antisemiten. Das "Liberal" muss man sich dabei in Anführungszeichen denken. Dieser linke Antisemitismus funktioniert als scheinbar harmlose Rechtfertigung des muslimischen Antisemitismus. Nicht alle Muslime sind Antisemiten, aber unter Muslimen findet man sie, Wort und Tat betreffend, häufiger als in der allgemeinen Bevölkerung. Das hängt, anders als meistens behauptet, nicht in erster Linie mit dem Nahostkonflikt zusammen. Bereits im Koran gibt es zahlreiche geradezu militant antijüdische Abschnitte.

Beginnt bei Kritik an der Politik Israels gegenüber Palästinensern schon Antisemitismus?

Wolffsohn: Sie fragen wenigstens. Meistens wird feststellend und rechthaberisch gesagt: "Man wird ja wohl noch…" und so weiter. Als ob das nicht intensiv geschähe. Für Medien, Politik, Stammtische und andere Geselligkeiten ist die sogenannte Israelkritik ein höchst beliebter Berufs- oder Freizeitsport. Kritik an Politikern und Menschen in einem Staat ist demokratische Selbstverständlichkeit. Kritik am Staat, also an seiner Existenz ist gedanklicher Mord. Egal, ob wir von Israel oder anderen Staaten sprechen.

Interview: Marion Krüger-Hundrup.

 
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