Was war das früher schön, uns als Kinder ein Lager zu bauen. Im Garten ein Baumhaus, die Laube umfunktionieren zu einem herrlich abenteuerlichen Kinderspielplatz oder aber draußen im Wald. Da waren wir Kinder die Herren und mussten uns nicht irgendwelchen Erwachsenen unterordnen. Wir konnten uns so einrichten, wie wir wollten. Da war Freiheit - wenigstens für ein paar Stunden.
Nun sind wir aber keine Kinder mehr. Wir haben uns längst ein Heim geschaffen – einen Ort, an dem wir so leben können, wie wir es gerne mögen und wo wir uns wohlfühlen. Wir haben uns hier eingerichtet.
Momentan wird uns allerdings dieses Zuhause in all seiner Behaglichkeit durch die Corona-Krise mitunter zum goldenen Käfig. Der Ausgang ist stark beschränkt.
Familien hocken aufeinander – da gibt es Reibungspunkte. Andere spüren die Einsamkeit nun noch viel stärker als früher.
Mancheiner sehnt sich jetzt, einfach rausgehen zu können und zu tun und lassen, was ihm gerade einfällt, sich wieder zu treffen mit Freunden. Aber es heißt, Rücksicht nehmen. Bitte bleiben Sie zuhause! Und das ist auch sinnvoll in dieser Zeit, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.
In unserem Predigttext aus Hebräerbrief 13, 12-14 („Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“) aber heißt es nun: „So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager“. - Ist das nicht genau das Gegenteil von dem, was die Regierung jetzt angeordnet hat? Warum sollen wir das tun?
Ich denke mir: Wir haben uns im Vergleich zu manch anderen in dieser Welt über die Jahre gut eingerichtet. Ein Leben in Luxus und vielen Annehmlichkeiten im Alltag. Vieles ist so alltäglich geworden, was unseren Vorfahren noch völlig fremd war. Längst sind Geschirrspüler, Waschmaschine und Wäschetrockner, jedem ein eigenes Auto usw. für uns völlig normal. Es ist normal, sich aller paar Jahre eine neue Einrichtung zu gönnen, obwohl die alte es auch noch täte. - Wir konnten so denken, weil bisher alles in Hülle und Fülle da war. Ja, weil es uns so gut gegangen ist. In vielem haben wir weit über unsere Verhältnisse und zu Lasten der Schöpfung und unserer Mitmenschen gelebt. Das macht die derzeitige Krise besonders deutlich. Da trifft auch uns schwere Schuld. Tief drinnen haben viele von uns gespürt: So geht das auf Dauer nicht gut. Irgendwann ist Schluss mit lustig. Und jetzt scheint es soweit zu sein...
Wenn es im Hebräerbrief heißt: So lasst uns nun hinausgehen aus dem Lager, so werden wir aufgerufen, unsere alten Gewohnheiten und zugleich das Drehen um das eigne Ich hinter uns zu lassen. Nicht in gleicher Weise so nach der Krise weiterzumachen wie vorher. Der Vers heißt komplett: „So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen.“
Wir befinden uns jetzt mitten in der Passionszeit. Sie erinnert uns an das Leiden uns Sterben Jesu Christi draußen vor den Toren Jerusalems. Und der Verfasser des Hebräerbriefes mahnt uns zur Umkehr von unseren alten und eigensüchtigen Wegen zur Hinwendung und zum Schauen auf Jesus Christus, dem Sohn Gottes.
Gott hat in Jesus Christus unsere Erlösungsbedürftigkeit gesehen, unsere Verstrickheit in die herrschenden Systeme dieser Welt, unser Gefangensein in unseren eigenen Trieben und Begierden. Und er hatte Mitleid mit uns Menschen, weil er selbst als Mensch hier gelebt hat auf dieser Erde und unser Leben kennt. Aus Liebe heraus hat er die Strafe, die Gott-Vater uns für unser verkehrtes Tun zugedacht hat, übernommen und sie für uns ans Kreuz getragen. Er hat sich für uns dahingegeben, damit wir bestehen können vor unserem Schöpfer. Das sollen wir uns vergegenwärtigen in dieser Lage. Und noch eins: Auch bedenken, dass wir am Ende alles hier zurücklassen müssen. 'Das letzte Gewand hat keine Taschen.' - wir haben hier keine bleibende Stadt.
Dieses Schauen auf leidenden Christus macht uns frei, ständig um uns zu kreisen. Es befähigt uns, gerade auch jetzt für andere da zu sein auf so vielfältige Art und Weise: durch einen Anruf, durch ein freundliches "Grüß Gott", durch die Fürbitte im Gebet, einen Brief oder eine Mail, oder aber auch durch einen ganz praktischen Hilfsdienst. - Sie werden staunen, wie viel an Positivem da zurückkommt. Das durfte ich bei zahlreichen Telefonaten der vergangenen Woche deutlich erfahren. „Das hat so wohl getan. Schön, dass sie an mich gedacht haben.“
In der Distanz zum eigenen Ich, kann das Gegenüber für uns selbst wieder größer werden und damit auch das Miteinander. Darin erleben wir schon jetzt ein Stück Freiheit. Einen Vorschmack des Himmels, wo am Ende ein Zuhause, eine Heimat bei Gott, unserem liebenden und barmherzigen Vater auf uns wartet. Amen.
Die Autorin Claudia Winterstein ist Pfarrerin in Hellingen bei Königsberg.