Robert Koch muss schmunzeln, wenn er mit dem Finger über die Glasfläche streicht: „5,5 Dezi-Pfennig je 0,5 Liter“, ist darunter zu lesen. „Das waren eine Mark und zehn Pfennig. Mann, Mann, das waren Zeiten“, lacht der Rügheimer und blickt fast schon wehmütig auf das rote mannshohe Ungetüm. Auf der Zapfsäule in Robert Kochs Garage ist die Zeit stehen geblieben. Das war der Preis im Jahr 1981, als zum letzten Mal an der Tankstelle der Kochs in Rügheim Benzin gezapft wurde. Vom Tankstellensterben zu dieser Zeit blieb die Tanke in der scharfen Kurve in Rügheim nicht verschont. Schluss, aus und vergessen? Von wegen, sagt Robert Koch nicht ohne Stolz. Denn die Tankstelle von Opa Sigmund und Vater Siegfried hat es gar zur Berühmtheit geschafft.
Koch drückt auf den Startknopf seines DVD-Players und auf dem Fernseher tuckert ein alter Möbellaster ins Bild. Ins vertraute Bild, auch wenn die Schwarz-Weiß-Aufnahmen fast vier Jahrzehnte alt sind. Es ist die Rügheimer Hauptstraße. Der Laster macht Halt, zwei Männer steigen aus. Schnurstracks gehen sie in die Tankstelle der Kochs. Das Fachwerkhaus der Kochs mit seinem schönen Vorbau ist genauso zu sehen wie die Zapfsäulen und der kleine Raum, in dem Tante Elli Kleinigkeiten für die Kunden verkaufte.
Warum Robert Koch richtig stolz ist auf die vier Minuten Vergangenheit: „Das wissen selbst nur noch wenige Rügheimer – der Regisseur war Wim Wenders.“ Anfang der 1970er-Jahre begann die Karriere von Wim Wenders. Die Aufnahmen in Rügheim wurden für den Film „Im Lauf der Zeit“ gemacht, ein Road Movie, „so etwas wie Easy Rider in Deutsch“, sagt Koch. Und er erinnert sich noch genau an die Dreharbeiten. „Ich war gerade einmal 19 Jahre alt, so alt wie jetzt mein Sohn Matthias.“ Einen Tag lang dauerten die Dreharbeiten. Jede Szene wurde etliche Mal gedreht, erinnert er sich. Sein Vater Siegfried hatte dafür später nur einen Kommentar: „So viel Aufwand, wegen ein paar Minuten Film“.
Wie Wim Wenders und die Film-Crew überhaupt auf den Drehort Rügheim gekommen waren? So genau weiß dies Robert Koch nicht mehr. Aber vermutlich war es eher zufällig, denn die Drehorte waren allesamt entlang der damaligen innerdeutschen Grenze. „Und da sind sie auf Rügheim gestoßen und es hat ihnen offenbar zugesagt“, vermutet Koch. Rund vier Minuten sind aus dem Dreh in Rügheim geworden. Das einzige Familienmitglied, das zu Film-Ehren kam, war seine Schwester Bianka, berichtet Koch. Sie stand auf dem Balkon. Ihren Laster haben die beiden Hauptdarsteller Rüdiger Vogler und Hanns Zischler im Film in Rügheim abgestellt und sind mit einem Motorrad weitergefahren. Bilder aus den Haßbergen zeigen diese Motorradszenen ebenfalls, ein wenig wie „Easy Rider“ ist das, sagt Koch ganz stolz. Und stolz blickt er auch auf das Filmplakat, denn: Dort lehnen die beiden Hauptdarsteller an der Türe zu Tante Ellis Verkaufsraum. Und sie tragen Brillen, die sie bei Elli gekauft haben.
Wie sich Koch erinnert, fanden die Dreharbeiten 1975 statt. Ein Jahr später kam der Film in die Kinos und sorgte dafür, dass die kleine Rügheimer Tankstelle gar in Cannes beim Filmfestival über die Leinwand flimmerte. Der Film von Wenders erhielt einen Preis und wurde für die Goldene Palme nominiert. Ein Jahr später gab es für „Im Lauf der Zeit“ den Deutschen Filmpreis.
Für Koch hat der Film noch einen besonderen Wert: Er dokumentiert Familiengeschichte und Rügheimer Historie. Die Tankstellengeschichte hatte 1949 begonnen. Sein Vater Siegfried hatte angefangen Benzin zu verkaufen, da er neben der Schlosserei einen Zweiradhandel eröffnete. Verkauft wurden auch Motorräder – „und die liefen nun mal nicht ohne Sprit“. Anfangs wurde das Benzin in 200 Literfässern gelagert und daraus verkauft. Eine richtige Tankstelle wurde daraus im Jahr 1960. Die Marke: DEA (Deutsche Erdöl Aktiengesellschaft). Koch hat noch das große Auslegerschild in seiner Garage stehen hat.
Die Motorisierung ging voran und damit auch die Anforderungen an die Tankstelle: Erst wurde ein 3000-Liter-Tank eingebaut, später kam ein 5000-Liter-Tank dazu. Und was heute die großen Shops an den Tankstellen sind, das war zu Kochs Zeiten, der Raum von Tante Elli. Pflegeartikel für das Auto und Süßigkeiten gab es zu kaufen. In den 1970er Jahren wurde aus DEA eine Texaco-Tankstelle.
Wenn in Wim Wenders Film Wehmut darüber aufkommt, dass immer mehr kleine Kinos auf dem Land dichtmachen mussten, dann ereilte dieses Schicksal auch die Tankstellen, auch die, die Wenders im Film so schön in Szene gesetzt hatte. Anfang 1981 war das Ende gekommen. Eine der beiden Zapfsäulen, die dort standen, ist erhalten geblieben. Und sie wird nun am Donnerstag, wenn Rügheim auf seine Vergangenheit zurückblickt, noch einmal zu Ehren kommen. Dann wird die frühere Tankstelle der Kochs für einen Tag noch einmal zu Leben erweckt.
Warum er dabei viel Organisations- und Vorbereitungsarbeit hineingesteckt hat? „Ich mach' es für meine Familie und fürs Dorf. Weil so auch noch einmal die Kindheit und Vergangenheit lebendig wird“.
Übrigens: Zum großen Fest am Donnerstag hatten die Rügheimer auch Regisseur Wim Wenders, der Professor für Film an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg ist, eingeladen. Der musste leider absagen, berichtet Koch, weil er zu dieser Zeit in Kanada ist. Sein Filmausschnitt von Rügheim wird allerdings an diesem Tag immer bei Koch zu sehen sein.