Seit die IS-Milizen im Irak und in Syrien die Bevölkerung terrorisieren, gibt es wieder große Flüchtlingsbewegungen. Auch in den Landkreis Haßberge kamen Asylbewerber. Seit Wochen ist deren Unterbringung Thema in der Heimatzeitung. Einige von ihnen erzählten dem Haßfurter Tagblatt ihre Geschichte.
Als ich bei dem Haus in der Haßfurter Brückenstraße ankomme, bin ich etwas nervös. Eigentlich hatte ich vorher mit der Caritas telefoniert, um den Kontakt herzustellen und vielleicht einen Übersetzer zu bekommen. Doch die Empfehlung lautete, ich soll einfach zu einem der Häuser gehen, in denen Asylbewerber untergebracht sind, und die Leute ansprechen. Ich habe also keine Ahnung, ob die Menschen, die ich dort treffen werde, überhaupt mit der Presse sprechen wollen oder wie wir uns verständigen sollen.
Doch schon, als ich das Haus betrete, verfliegt die Unsicherheit. Ich werde freundlich empfangen, die Bewohner der Flüchtlingswohnung bieten mir einen Tee an und freuen sich darüber, dass sie über die Zeitung „ihre Stimme nach außen bringen“ können.
Wir unterhalten uns in einer Mischung aus Deutsch und Englisch, was überraschend gut funktioniert. Am meisten spreche ich mit dem Iraker Shaheen. Er ist nicht zum ersten Mal in Deutschland: Als Medizin-Ingenieur hat er bereits 2009 und 2012 Fortbildungen in Deutschland absolviert, eine davon bei Siemens in Erlangen. Doch nun ist alles anders: Diesmal kam er als Flüchtling vor islamistischen Terroristen. Gemeinsam mit seinem Bruder und seinen beiden Cousins floh er aus dem nordirakischen Mossul, als die Stadt am 7. Juni angegriffen wurde. Seine drei Verwandten, die mit ihm flohen, sind von Beruf Polizisten. Gerade als Vertreter des Gesetzes mussten sie die IS-Milizen fürchten.
Zu Fuß gelangten sie in die Türkei, wo sie sich etwa zwei Wochen aufhielten. Weiter ging es zu Fuß und teilweise mit dem Auto. Oft schliefen sie in Wäldern, bis sie am 4. September in Deutschland ankamen. Auch hier wechselten sie mehrfach den Aufenthaltsort. Nach der Registrierung in Dortmund verbrachten sie zunächst einige Tage im nordrhein-westfälischen Kerken. Dann kamen sie nach Bayern, wo die Verwaltung in Zirndorf für sie zuständig war. Zunächst verbrachten die vier dann zwei Monate in einem Schulgebäude in Bramberg.
„Leider hatten wir dort fast keinen Kontakt zu den Menschen. Der Ort ist sehr klein“, meint Shaheen. Seit dem 9. Dezember sind er und seine Verwandten Zaid, Achmed und Mohammed nun in Haßfurt. Hier teilen sie sich eine Wohnung mit zwei Syrern, die über Algerien nach Libyen flohen und von dort aus mit einem Schiff nach Italien kamen. „In Haßfurt gefällt es uns besser“, sagt Shaheen. Grund dafür ist, dass die Stadt größer ist und ihnen mehr Möglichkeiten gibt, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Denn gerade der, das betonen die vier Iraker immer wieder, ist ihnen sehr wichtig. „Wir wollen dazugehören, ein Teil der Gemeinschaft werden.“ So bemühen sie sich, die Sprache zu erlernen, und freuen sich über das Angebot des Bibliothekszenrums, nach den Weihnachtsferien in den Räumlichkeiten des BIZ einen Sprachkurs beginnen zu können. Derzeit bekommen sie regelmäßig Besuch von Mitarbeitern der Caritas und vom Hausmeister des Hauses in der Brückenstraße.
Ihre größte Sorge gilt allerdings ihren Familien. Alle vier sind verheiratet und haben Kinder, doch ihre Angehörigen mussten sie in der Heimat zurücklassen. Bis vor Kurzem gab es zumindest noch etwas Kontakt. Doch seit die IS-Kämpfer sämtliche Netze gekappt haben, ist auch diese Möglichkeit verschwunden. Seit drei Wochen ist keine Kommunikation mehr möglich. „Wir hoffen, dass sie in Zirndorf schnell arbeiten, damit wir unsere Familien nach Deutschland holen können“, betont Shaheen. Denn in Mossul, so sagt er, gebe es kein Leben mehr.
Klar distanzieren sich die vier von radikalem Gedankengut. Sie berichten, früher habe in ihrer Heimatstadt auch das Zusammenleben verschiedener Religionen gut funktioniert. Zaid hatte einen christlichen Nachbarn und bei der Polizei einen jesidischen Kollegen. „Aber jetzt ist alles anders“, sagt Shaheen.
Eigentlich wollte keiner von ihnen seine Heimat verlassen. „Aber jetzt wollen wir ein neues Leben in einem friedlichen Land anfangen. Auch für unsere Kinder.“ Deutschland verbindet Shaheen vor allem mit Frieden, während im Irak „alle zehn Jahre ein neuer Krieg ausbricht“. Wichtig ist ihnen allen, dass sie sich integrieren wollen. Die Bemühungen, die deutsche Sprache zu lernen, zeigen bereits Erfolge. Außerdem betonen die Iraker, dass ihnen jeder Gast willkommen ist. Sie freuen sich über jede Gelegenheit, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und mit Menschen zu sprechen, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. „Und wenn jemand will, können wir ihm auch etwas Arabisch beibringen.“
Weiter betonen sie, dass sie gerne arbeiten wollen. „Daheim hatten wir alle Arbeit. Jetzt können wir nur warten, warten, warten. Aber wir sind jung und wollen arbeiten“, sagt Shaheen. An Deutschland, so sagen sie, schätzen sie besonders die Menschlichkeit, den Respekt und die Hilfsbereitschaft, die sie in den letzten Monaten erlebt haben. „Wir wollen ein gutes Bild von Asylbewerbern abgeben“, sagt Shaheen. „Wir wollen ein Teil der Gesellschaft werden.“ Nun ist der größte Wunsch der Iraker, dass in Zirndorf bald die Entscheidung fällt, die es ihnen ermöglicht, auch ihre Frauen und ihre Kinder vor den Terroristen in Sicherheit zu bringen. „Jeden Tag denken wir an unsere Familien.“