Für Ulrike Hahn, die Bezirksleiterin für Altenpflege bei der Arbeiterwohlfahrt Unterfranken (AWO), steht fest, dass es die alten Menschen merken, wenn sie im wahrsten Sinne des Wortes an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Wenn etwa das Altenheim am Rande der Stadt steht, damit es das Stadtleben möglichst wenig stört. In Knetzgau hatte es heftige Diskussionen gegeben, ob man für das Seniorenwohnheim, das der Deggendorfer Investor Erl-Bau gerade vollendet und das die AWO ab Juli betreiben wird, wirklich ein wertvollen Teil des Schulgrundstücks opfern sollte. Hahn ist sich sicher, dass die betagten Herrschaften genau hier richtig aufgehoben sind, im Herzen Knetzgaus.
Denn wenngleich sich die Altenpflegespezialistin keine Illusionen darüber macht, dass mancher künftiger Bewohner unter Demenz leiden wird, Gedächtnis und Denkvermögen also nur noch eingeschränkt funktionieren, so ist sie sich doch sicher: „Auf der emotionalen Ebene sind diese Menschen genauso da wie wir.“ Es fördere ihr Wohlbefinden, wenn sie spürten, inmitten der Gemeinschaft zu sein; dagegen schlage es aufs Gemüt, sich im Abseits zu wähnen: Wenn man von seinem Fenster aus statt auf das Treiben in Kindergarten oder Schule, statt auf den Publikumsverkehr im Rathaus oder das Gerangel auf dem Bolzplatz immer nur auf den Waldrand starrt.
In Knetzgau geht die AWO Unterfranken bewusst neue Wege, wie Hahn dieser Tage unserer Zeitung bei einem Besuch der Baustelle an der Ecke Hainerter Straße/Bernhauser Straße ausführte. Nicht nur, dass die Seniorinnen und Senioren (es gibt insgesamt 82 Pflegeplätze) auf ihren (wenn sie aus Knetzgau kommen) geliebten Kirchturm blicken können, auch Pfarrer, Bürgermeister oder die Nachbarn können „jederzeit einfach so vorbei kommen“, weil das Heim immer in Schrittweite entfernt ist. Für Hahn und ihre Mitstreiterinnen vor Ort – in verantwortlicher Position sind ausnahmslos Frauen – geht das, was sie als „Quartierskonzept“ bezeichnen, aber viel weiter: Das Heim öffnet sich nicht nur für Besucher, es soll vielmehr fester Bestandteil des Gemeindelebens sein. Im Café im geräumigen Foyer mischen sich im Idealfall Bewohner mit anderen Gästen aus Knetzgau und Umgebung, und das nicht nur zu Kaffee und Kuchen. Das Café wird die AWO als Integrationsprojekt mit nicht behinderten und behinderten Mitarbeitern betreiben. Auch Theateraufführungen oder Konzerte könnten im Foyer ein gemischtes Publikum anziehen – gerade jetzt, wo die Franz-Hofmann-Halle nicht mehr zu gebrauchen ist. Ulrike Hahn und ihre Mitstreiterinnen möchten die Volkshochschule für Kurse ebenso ins Haus holen wie Musikkapellen für Proben. Und das Zimmer für den Arzt könnte regelmäßig auch der Friseur oder der Physiotherapeut nutzen – für Patienten bzw. Kunden nicht nur aus dem Heim. Warum sollte das Knetzgauer Bündnis für Familien und Senioren nicht im AWO-Heim tagen, fragt sich Hahn, die andeutet, dass auch der Pflegestützpunkt Haßfurt hier einen zweiten Standort eröffnen könnte. Eine Bürgerversammlung, vielleicht sogar einmal eine Gemeinderatssitzung – alles wäre möglich und willkommen im Seniorenwohnheim. „Wir wollen das Gemeindeleben ins Haus bringen – zum Wohl der Gemeinde und der Bewohner“ gibt Hahn die Devise vor.
Auch in den reinen Wohnbereichen der älteren Damen und Herren im 1. und 2. Obergeschoss geht die AWO neue Wege. Das möglichst selbstbestimmte Leben im Altenheim dürfte heute überall Leitbild sein. In Knetzgau bedeutet das zum Beispiel, dass die einzelnen Wohngruppen für sich selbst kochen, „ohne Netz und doppelten Boden“ übrigens, wie Ulrike Hahn sagt, weil es keinen Caterer und keine Tiefkühlkost gibt, die im Notfall einspringen.
Das Besondere in Knetzgau soll sein, „dass der Kunde uns sagt, was er will und wir schauen dann, dass es läuft“. Will heißen: Der Bewohner richtet sein tägliches Leben nicht nach der Pflege aus, die Pflege orientiert sich umgekehrt an seinen Bedürfnissen und Wünschen. Ulrike Hahn verspricht, dass zum Beispiel kein Langschläfer früh aus dem Bett geworfen wird, nur weil der Pflegedienst beschlossen hat, dass jetzt Aufweckzeit ist. Keine einzige Pflegekraft werde einer der vier Wohngruppen fest zugeordnet; Pflege komme immer auf Abruf auf Stationen. Damit sei garantiert, dass „die Pflege nicht die Hoheit über den Alltag der Menschen gewinnt“, sagt Hahn.
Es wird nicht nur die AWO sein, es werden auch die Knetzgauer sein, die in den nächsten Jahren den Beweis dafür erbringen müssen, dass es ihr Altenheim weit weg geschafft hat „vom schrecklichen Bild des Krankenhauscharakters älterer Einrichtungen“. Mitten im Ort bleiben wird das Knetzgauer Haus so oder so. Ulrike Hahn wundert sich ohnehin darüber, was das für eine Gesellschaft ist, die so viele Alte aus ihrer Mitte verbannt.