Margarete Koppe ist 89 Jahre alt, geistig hellwach und körperlich fit. Die gepflegte Dame mit den kleinen Perlenohrringen und flott gebundenem Seidenschal steigt die Treppen zum Troppau-Zimmer im zweiten Stock der Hauptwachstraße 16 hinauf.
Oft schon hat die seit 1988 pensionierte Lehrerin diesen Räumlichkeiten mit Museumscharakter einen Besuch abgestattet, um die historischen Fotos, Gemälde, Urkunden oder die Trachten anzuschauen. „Mehr aus nostalgischen Gründen“, lächelt Margarete Koppe. Sie erinnere sich zwar gern daran, in Troppau geboren und aufgewachsen zu sein. Doch längst „ist Bamberg meine Heimat geworden“, sagt sie nachdrücklich.
Verwurzelt in Bamberg
Ihr Bruder Hermann Koppe, promovierter Arzt im Ruhestand, nickt zustimmend: „Wir sind so verwurzelt in Bamberg, dass eine Rückkehr nach Troppau auch nach der Wende 1990 keine Frage war.“ Und der 79-Jährige fügt hinzu: „Wir fühlen uns als Europäer und halten es für wichtig, den Gemeinschaftssinn der Partner- und Patenstädte zu pflegen in Zeiten, in denen Europa auseinanderdriftet.“
So wie während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Millionen Menschen waren auf der Flucht, wurden vertrieben. So wie die sechsköpfige Familie Koppe aus Troppau, der ehemalige Landeshauptstadt von Österreichisch-Schlesien, dem heute tschechischen Opava mit 56 000 Einwohnern. Auf ihrer Odyssee „mit einem Köfferchen und einem Rucksack“ – so Margarete Koppe – gelangten sie schließlich zunächst „in die kaputte Stadt Schweinfurt“, dann nach Bamberg, wo Vater Koppe nach der Kriegsgefangenschaft eine Anstellung bei den Amerikanern als Hilfsarbeiter gefunden hatte.
Zwei Städte mit Gemeinsamkeiten
Etwa 15 000 Heimatvertriebene lebten damals in Bamberg, darunter rund 300 Troppauer. Schon seit 1948 sammelten die Troppauer von Bamberg aus die Heimatadressen ihrer verstreuten Landsleute: Wertvolle Daten, die heute im Troppau-Zimmer archiviert sind. So wie Bayern schließlich die Schirmherrschaft über alle Sudetendeutschen übernahm, wurde Troppau sozusagen das Patenkind Bambergs. Mit einstimmigem Beschluss des Stadtrates besiegelte Oberbürgermeister Theodor Mathieu im Juni 1958 die Patenschaftsübernahme. In der aus diesem Anlass erschienenen Festschrift schrieb der OB: „Die Stadt Troppau ist ebenso wie die ehrwürdige Kaiser- und Bischofsstadt Bamberg eine sehr alte Stadt mit einer reichen Geschichte, stets mehr ein Verwaltungs- und Kulturzentrum als eine überragende Industriestadt gewesen. Dazu kommen noch viele Überlieferungen und Gewohnheiten, wie sie beiden Städten gemeinsam sind.“ So bezeichnet Mathieu Bamberg als „Ausgangspunkt für die Christianisierung des Ostens und die Besiedelung jener weit im Osten gelegenen Landstriche der schlesischen Altvaterberge mit Franken“.
Von der einstigen Erlebnisgeneration leben nicht mehr viele in Bamberg. Deren Kinder und Enkel verlieren letzte Bindungen an Troppau: „Auch meine drei Kinder haben keine Verbindungen dorthin“, bedauert Hermann Koppe, der mit einer Bambergerin verheiratet ist. Er selbst habe die alte Heimat hin und wieder besucht und Erinnerungen gepflegt an seine Kindheit „im ringförmigen Park und mit schöner Architektur durch österreichischen Einfluss“.
Integrieren und versöhnen
Seine Schwester Margarete machte sich erstmals schon in den 1960er Jahren nach Troppau auf – „unbehelligt von den Kommunisten!“ Häufige Reisen dorthin folgten, motiviert von dem Wunsch „aus christlicher Einstellung heraus das Land in den europäischen Gedanken zu integrieren und zu versöhnen“. Die Ackermann-Gemeinde in Bamberg habe sie bei ihren Friedensmissionen unterstützt, etwa durch hilfreiche Adressen von tschechischen Priestern, die sie aufsuchen konnte.
Unterstützung könnte auch Dieter Rehmann gebrauchen, der sich ehrenamtlich um das Troppau-Zimmer, die Mitgliederdatei der Heimatkreisgemeinschaft Troppau und die nur grob geordnete Sammlung von Erinnerungsstücken an und von Menschen aus Troppau kümmert. Außerdem gibt er monatlich zusammen mit dem Ruhestands-Journalisten Hans-Günther Röhrig die „Troppauer Heimat-Chronik“ heraus, die noch von über 500 Beziehern bundesweit gelesen wird.
Besuch in Opava
Dieter Rehmann ist mit Herzblut bei der doch mühevollen Aufgabe, obwohl seine verwandtschaftlichen Verbindungen nach Troppau eher fern sind: „Meine Großeltern mütterlicherseits stammen aus der Troppauer Region“, erzählt er. Aber schon in seinem Beruf als Schriftsetzer im früheren St. Otto-Verlag habe er jahrelang mit der Heimat-Chronik zu tun gehabt und Feuer gefangen. Im vergangenen Jahr sei er sogar mit einer Bamberger Delegation um Bürgermeister Wolfgang Metzner in Opava/Troppau gewesen.
Wer nicht so weit auf Patenschaftsspuren wandeln möchte, kann in Bamberg fündig werden: Auf dem Troppauplatz steht seit 1964 der Troppaustein als Zeichen der Dankbarkeit und Verbundenheit. Bildhauer Engelbert Kaps aus Freiwaldau im Altvatergebirge hat mit diesem Erinnerungsstein ein Bekenntnis zu Troppau und seiner großen Vergangenheit und zugleich zu Bamberg abgelegt, der Stadt, die Troppauern ein neues Zuhause gegeben hat.