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HAßFURT
„Wir brauchen eine Alternative zu unserem Wirtschaftssystem“
Der Geschäftsführer des Stadtwerks Haßfurt, Norbert Zösch.
Foto: Schwarz | Der Geschäftsführer des Stadtwerks Haßfurt, Norbert Zösch.
Felix Schwarz
 |  aktualisiert: 29.03.2021 10:41 Uhr

Seit Monaten gehen vor allem Schüler und Jugendliche für den Klimaschutz auf die Straße. Eine ihrer Kernforderungen lautet: Wir brauchen einen schnelleren Wechsel zu erneuerbaren Energien. Doch wie lässt sich der Wandel in Haßfurt bzw. im Landkreis Haßberge konkret gestalten? Als Geschäftsführer des Stadtwerks Haßfurt spricht Norbert Zösch über Wasserstofftankstellen in Haßfurt, den Sailershäuser Windpark und die Probleme unseres Wirtschaftssystems.

Frage: Welche Rolle spielt das Stadtwerk bezüglich der Energiewende in Haßfurt?

Zösch: Wir sorgen dafür, dass die Stadt Haßfurt im Bereich der Strom-, Wasser- und Gasversorgung möglichst nachhaltig versorgt wird. Grundsätzlich sind wir eine eigenständige Gesellschaft, die durch die Stadt Haßfurt kontrolliert wird. Bürgermeister Werner ist Vorsitzender des Aufsichtsrats, einige Stadträte gehören ebenfalls dem Aufsichtsrat an.

Wie hoch ist der Anteil regenerativer Energien an der Stromerzeugung?

Zösch: Durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz werden viele unserer Anlagen bilanztechnisch nicht als Ökostrom erfasst. Streng genommen liegt deshalb der Anteil noch nicht bei 100 Prozent, dies wollen wir aber bis nächstes Jahr erreichen. Bezüglich der Stromproduktion liegen wir aktuell bei 200 Prozent. Das bedeutet, dass wir deutlich mehr Strom erzeugen, als wir selbst benötigen. Knapp 90 Millionen Kilowattstunden Strom produziert das Stadtwerk Haßfurt pro Jahr.

Inwieweit hat das Stadtwerk Haßfurt auch Einfluss auf den Landkreis?

Zösch: Der überschüssige Strom wird in großen Teilen an die Nachbargemeinden weitergegeben. Dies beläuft sich in einer Größenordnung von circa 40 Millionen Kilowattstunden.

Der Ausbau von regenerativen Energiequellen stößt nicht selten auf Widerstand in der Bevölkerung, wie das Beispiel des Windparks im Sailershäuser Wald zeigt. Können Sie die Kritik an solchen Projekten nachvollziehen?

Zösch: Nein. Der meiste Wind kommt im Herbst und im Winter auf. Da kann mir keiner erzählen, dass er draußen sitzt und vom Lärm gestört wird. Gerade durch die 10H-Regelung, die besagt, dass der Abstand zu einem Wohngebiet das Zehnfache der Windradhöhe betragen muss, kann sich keiner über Lärm beschweren. Selbst der Bund Naturschutz spricht sich mittlerweile für Windkraftanlagen aus. Klima- und Artenschutz müssen sich nicht ausschließen. Ganz im Gegenteil: Das eine kann kaum ohne das andere gedacht werden.

Der Sailershäuser Windpark ist nun seit vier Jahren in Betrieb. Wie fällt ihr bisheriges Fazit aus?

Zösch: In 2017 und 2018 hatten wir ungefähr dieselben Erträge. Diese beliefen sich auf circa 53 Millionen Kilowattstunden. Die Prognose lag bei circa 51 Millionen Kilowattstunden. Somit sind wir absolut zufrieden mit dem Projekt. Dabei gibt es zwei Betrachtungen: Zum einen besagt P75, dass mit einer 75-prozentigen Wahrscheinlichkeit 54 Millionen Kilowattstunden erzeugt werden. Zum anderen besagt P85, dass mit einer 85-prozentigen Wahrscheinlichkeit 50,8 Millionen Kilowattstunden Strom durch den Sailershäuser Windpark generiert werden. Da der Wind unterschiedlich stark weht, werden die Wahrscheinlichkeiten bei starken Abweichungen angepasst. In jedem Fall läuft die Anlage wirtschaftlich.

2016 wurde die bayernweit erste Power-to-Gas-Anlage in Betrieb genommen. Wie funktioniert diese?

Zösch: Strom wird in Gas und Gas wiederum in Strom umgewandelt. Genauer gesagt wird überschüssiger Strom durch Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt. Der Wasserstoff wird entweder direkt gespeichert oder mit Erdgas vermischt, so dass er in unser Erdgasnetz eingespeist werden kann. Wenn zu wenig Strom durch unsere Anlagen generiert wird, können wir das Gasgemisch verbrennen und somit wieder in Strom zurückverwandeln. Es ist so gut wie nie der Fall, dass die Stromproduktion den Stromverbrauch genau deckt. Daher werden Speichermöglichkeiten unheimlich wichtig. Neben der Power-to-Gas-Anlage kommen hierbei Batterien zum Einsatz.

Sind Sie mit der Leistung der Anlage zufrieden?

Zösch: Auf jeden Fall. Der Wirkungsgrad beim Wechsel von Strom auf Gas liegt bei 70 Prozent. Das bedeutet, dass 70 Prozent der zugeführten Energie in Form von Strom in Wasserstoff umgewandelt wird. Bei diesem Vorgang entsteht auch noch Wärmeenergie. Die Verluste sind jedoch vertretbar. Bei der Rückverstromung von Gas in Strom liegt der Wirkungsgrad dann bei knapp 50 Prozent.

Vor Kurzen wurde die Power-to-Gas-Anlage um ein Wasserstoff-Blockheizkraftwerk erweitert. Welchen Mehrwert bringt das neue Kraftwerk?

Zösch: Das Wasserstoff-Blockheizkraftwerk hat zwei große Vorteile. Zum einen kann dadurch Strom und Wärme erzeugt werden. Zum anderen kann durch diese Anlage reiner Wasserstoff verbrannt werden, womit kein Kohlenstoffdioxid ausgestoßen wird. Somit wird die klimaneutrale Stromspeicherung und -erzeugung möglich. Darüber hinaus wird auch noch der Ausstoß von Stickoxiden deutlich minimiert. Wasserstoff ist zurzeit der beste Brennstoff, um emissionsfrei und nachhaltig Strom zu erzeugen.

Wasserstoff, Erdgas und Strom können auch einen wichtigen Beitrag zur Verkehrswende leisten. Doch besonders Elektroautos sind umstritten. Ihre Energiebilanz während der Herstellung ist schlechter als bei konventionellen Autos. Der Aufbau der Infrastruktur ist aufwendig und kostspielig. Warum spielen Erdgas- und Wasserstoffautos kaum eine Rolle?

Zösch: Vor 20 Jahren hieß es: Die wasserstoffbetriebene Brennstoffzelle ist die Lösung schlechthin. Allerdings wurde auch kritisiert, dass Wasserstoff viel zu teuer ist. Ingenieure haben Benzin- und dieselbetriebene Fahrzeugen zu enormer Effizienz verholfen. Doch unabhängig davon, wie effizient sie sind, entsteht immer Kohlenstoffdioxid bei der Verbrennung. Bei Erdgas ist das auch der Fall, jedoch in einem deutlich geringeren Ausmaß. Wasserstoff kommt komplett ohne Kohlenstoffdioxidausstoß aus. Für kurze Strecken ist die Elektromobilität durchaus sinnvoll. Längere Strecken sollten idealerweise mit Brennstoffzellenautos zurückgelegt werden. Synthetische Kraftstoffe in flüssiger Form („grünes“ Methanol) könnten zudem bei Kreuzfahrtschiffen oder Lkw zum Einsatz kommen. Wir müssen aber auch darüber reden, dass nicht unbedingt jeder ein Auto braucht. Mitfahrbänke, Car-Sharing und natürlich der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs sollten ebenfalls eine große Rolle spielen.

Wie hoch schätzen Sie die Chance ein, dass es zukünftig in Haßfurt eine Wasserstofftankstelle geben wird?

Zösch: Das Problem ist, dass solche Anlagen nur durch große Konzerne oder durch staatliche Förderungen realisiert werden können. Im Moment fahren einfach zu wenige wasserstoffbetriebene Fahrzeuge auf den Straßen, als dass wir solch ein Projekt allein stemmen könnten. Ich bin jedoch optimistisch, dass Wasserstoff an Bedeutung gewinnen wird. Derzeit ist Wasserstoff im Vergleich zu Benzin kaum teurer. Wenn demnächst die CO2-Steuer kommt, wird die Brennstoffzelle noch attraktiver. Umgerechnet auf die langfristigen Folgeschäden, ist Wasserstoff schon jetzt deutlich günstiger.

„Smart Metering Systems“ sind intelligente Messsysteme, die Energieerzeugung und Energieverbrauch effizient verknüpfen und ausbalancieren. Neben der Stromnachfrage kann somit auch die Gas-, Wärme- und Wassernachfrage besser an das Angebot angepasst werden. Inwieweit wird diese Technologie durch das Stadtwerk Haßfurt eingesetzt?

Zösch: Wir sind einer der wenigen Stromerzeuger in Deutschland, die dieses System flächendeckend eingeführt haben. Im Moment haben wir etwa 10 000 „Smart Meter“ im Einsatz. Bürger können dadurch auf Anfrage ihren Stromverbrauch nachvollziehen. Es lässt sich für jeden einzelnen Haushalt genau nachvollziehen, wie viel Strom am Vortag verbraucht wurde, wie hoch der jeweilige Preis war und welcher ökologische Fußabdruck hinterlassen wurde. Aktuell nutzen 3000 Kunden diesen Service. Die täglichen Daten werden nur dann gespeichert, wenn der Kunde das auch will. Ansonsten speichern wir die Monatsdaten.

Die „Fridays for Future“-Bewegung hat das Interesse an Umwelt- und Klimapolitik immens befeuert. Was halten Sie von der Bewegung?

Zösch: Die Politik hat in den vergangenen Jahren den Klimawandel nicht aktiv wahrgenommen. Wir müssen so schnell wie möglich nachhaltiger wirtschaften und leben, uns läuft sonst wertvolle Zeit davon. „Fridays for Future“ ist zu verdanken, dass die Thematik endlich ins Bewusstsein der Bürger und der Politik vorgedrungen ist. Ich habe auch schon darüber nachgedacht, an den Demos teilzunehmen. Wir als Stadtwerk haben geplant, Jugendliche zu uns einzuladen, um ihnen zu zeigen, was in Sachen Energiewende bereits heute möglich ist.

Deutschland hat sich gemeinsam mit anderen europäischen Staaten ehrgeizige Ziele gesetzt. Ziel ist es, im Vergleich zu 1990 den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren. Bis 2050 sollen 100 Prozent erreicht werden. Glauben Sie an die Umsetzung dieser Ziele?

Zösch: Technisch bekommen wir das auf jeden Fall hin. Jetzt müssen nur noch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Wenn herkömmliche Technologien einfach nicht mehr rentabel sind, werden sie automatisch abgeschaltet. Vielleicht könnten wir uns dann auch die Diskussion um die Abschaltung von Kohlekraftwerken sparen. Nachhaltigere Technologien und Produkte müssen günstiger werden.

Was tun Sie privat für den Klimaschutz?

Zösch: Ich erzeuge meinen Strom zu Hause selbst, habe als Zweitwagen ein Elektroauto, unternehme keine Kreuzfahrtreisen und fliege möglichst gar nicht. Hier muss natürlich jeder selbst für sich entscheiden, welchen Beitrag er zum Klimaschutz umsetzen kann und will.

Was halten Sie von einer möglichen CO2-Steuer?

Zösch: Die Einführung einer CO2-Steuer halte ich für absolut sinnvoll. Es darf einfach nicht sein, dass Flugreisen und Fleisch teilweise extrem billig sind. Da ein Teil der Einnahmen wieder an die Bürger zurückfließt, wird ein gutes Instrument geschaffen, um einen nachhaltigeren Lebensstil zu fördern.

Mal grundsätzlich: Kann die Klimaerwärmung innerhalb unseres jetzigen Wirtschaftssystems auf ein erträgliches Maß beschränkt werden?

Zösch: Es bringt nur wenig, einfach nur effizientere Technologien zu entwickeln. Solange wir ein Wirtschaftssystem haben, das immer mehr Wachstum, mehr Gewinn, mehr Konsum und damit einen immer höheren Energie- und Ressourcenverbrauch fordert, werden wir mit diesem Problem nicht klarkommen. Wir brauchen eine nachhaltige Alternative zum aktuellen Wirtschaftssystem.

 
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