Wenn Schüler den Unterricht ausfallen lassen, um an Demonstrationen teilzunehmen, geraten sie schnell in den Verdacht, sich nicht wirklich für die Ziele der Demo zu interessieren und lediglich die Schule schwänzen zu wollen. Den rund 120 Kindern und Jugendlichen, die am Freitagvormittag auf dem Haßfurter Marktplatz standen, kann man diesen Vorwurf wohl kaum machen: Zum einen war das regnerische Wetter so unbequem, dass es sicher für die meisten angenehmer gewesen wäre, im Unterricht zu sitzen. Zum anderen bleibt die Teilnahme an der Demo nicht ohne Folgen, denn den Schülern drohen entweder Verweise oder Arbeitsstunden.
Unter dem Motto "Fridays for Future" (Freitage für die Zukunft) demonstrieren seit einiger Zeit immer freitags Schüler für den Klimaschutz. Was Mitte 2018 mit einer Aktion der damals 15-jährigen Schwedin Greta Thunberg begann, ist mittlerweile zu einer weltweiten Bewegung geworden. Die Aussage dahinter: Warum sollen wir in der Schule etwas für die Zukunft lernen, wenn diese Zukunft zerstört wird? Den Erwachsenen vertrauen die jugendlichen Demonstrationsteilnehmer nicht mehr: Immerhin sei der Klimawandel schon lange bekannt, dennoch werde zu wenig dagegen unternommen. Am 15. März hatte die Bewegung "Fridays for Future" zu einem weltweiten Streiktag aufgerufen, so dass an diesem Tag in vielen Städten weltweit noch mehr Schüler auf die Straßen gingen, als es ohnehin schon in den letzten Monaten der Fall war.
Probleme lösen sich nicht von alleine
In Haßfurt versammelten sich die demonstrierenden Schüler auf dem Marktplatz. Vor der Stadtpfarrkirche standen die jungen Menschen, die sich Sorgen um die Zukunft des Planeten machen, riefen Parolen und hielten Plakate und Transparente hoch. Neben Schülern des Regiomontanus-Gymnasiums, der Dr.-Auguste-Kirchner-Realschule und der Haßfurter Waldorfschule beteiligte sich auch der Bund Naturschutz an der Aktion. Die Veranstaltung angemeldet hatte Esther Nitzold, die Mutter einer Waldorfschülerin. Denn so engagiert ihre 16-jährige Tochter Moesha Shiva auch sein mag: Als Minderjährige darf die Haßfurterin in Deutschland keine Demo anmelden.
"Ich bin hier, weil es mir nicht passt, wie es läuft", sagt der 14-jährige Kilian Klug aus Schweinfurt, der die Haßfurter Waldorfschule besucht und freitags in Haßfurt demonstrieren geht. Er glaube nicht mehr daran, dass sich die Probleme "von alleine" lösen und möchte daher Druck auf die Menschheit machen. Forderungen haben er und seine Mitstreiter einige, sowohl an die Politik als auch an jeden einzelnen Bürger. Es gehe schon damit los, dass Menschen "ihren Müll nicht überall hinschmeißen" sollen, meint Moesha Shiva Nitzold. Auch die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln müsse besser werden, um die Möglichkeit zu schaffen, das Auto öfter mal stehen zu lassen, betont Elisabeth Göbel, ebenfalls 16 Jahre alt und Schülerin der Waldorfschule. Auch am Umgang mit Lebensmitteln haben die Schüler einiges auszusetzen. Ist es nicht paradox, wenn Gemüse teurer ist als Fleisch? Müssen Lebensmittel um die ganze Welt transportiert werden? Und warum müssen eigentlich so viele Lebensmittel in Plastik eingepackt sein?
Allgemein gehe es darum, nachhaltig zu leben und die Politik so zu gestalten, dass auch in ein paar Jahrzehnten noch ein lebenswertes Leben auf der Erde möglich ist. Welche Wege zur Klimarettung im Vordergrund stehen, kann regional durchaus unterschiedlich sein. Zu den offiziellen Forderungen der weltweiten Schülerproteste gehört unter anderem ein schneller Kohleausstieg. Diesen Punkt hängen die Haßfurter Demo-Teilnehmer dagegen nicht besonders hoch, denn das Haßfurter Stadtwerk setzt schon lange auf erneuerbare Energiegewinnung. Das lobt Esther Nitzold als offizielle Verantwortliche für die Aktion auf dem Marktplatz auch ausdrücklich, ebenso wie die Tatsache, dass immer mehr Kommunen auf ihren Flächen die Verwendung des umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat verbieten. "Aber man darf nicht stehenbleiben", betont sie. So erwähnt sie einige Punkte, in denen sie in Haßfurt noch Verbesserungsbedarf sieht. Unter anderem besteht die Forderung nach "mehr Grün in den Städten". Denn auch in der Kreisstadt würden mehr Bäume gefällt, als neue gepflanzt werden. Auch die Forderung nach mehr öffentlichen Verkehrsmitteln betrifft vor allem den ländlichen Raum.
Doch warum müssen die Demos eigentlich freitags stattfinden, also zu einer Zeit, zu der die Schüler eigentlich im Unterricht sitzen sollten? Und warum nicht am Nachmittag, nach Schulschluss? "Würden sie Nachmittags demonstrieren, würde es doch keinen interessieren", betont Esther Nitzold, die es als "Quatsch" bezeichnet, dass Schulen an demonstrierende Schüler Verweise verteilen.
Demos in der Freizeit?
"In Deutschland gibt es Schulpflicht. Deswegen haben wir als Schule keine andere Wahl, als die Teilnahme mit einem Verweis zu ahnden", entgegnet Realschuldirektor Hartmut Hopperdietzel. Zudem verweist er auf zahlreiche Schulaktionen, die den Klimaschutz zum Ziel haben und den Schülern eine Gelegenheit bieten, sich aktiv daran zu beteiligen. "Aber wir haben ein Problem damit, wenn die Schüler es während der Unterrichtszeit machen." Verantwortliche Schülersprecher und Klassensprecher sähen das auch so. "Dementsprechend sehen wir diese Demos sehr kritisch, wenngleich das Anliegen vollkommen verständlich, richtig und gut ist."
Ein weiteres Risiko sieht der Schulleiter darin, "dass es eine gehörige Anzahl an Mitläufern gibt, die die Chance zum Blaumachen nutzt". In den vergangenen Wochen, seit die Fridays-for-Future-Bewegung weltweit Fahrt aufgenommen hat, seien an der Realschule keine Fälle von "Fernbleibern" bekannt geworden. Zum Aktionstag am 15. März seien es nun erstmals mehr als 20 Schüler gewesen.
Der Kritik des Schulleiters, viele könnten die Proteste nutzen, um die Schule zu schwänzen, entgegnen die Demoteilnehmer, es gebe natürlich immer Leute, die so etwas ausnutzen. "Aber die schwänzen auch so und brauchen keine Demo dafür", meint Elisabeth Göbel. "Dann melden sie sich halt krank und lassen sich von den Eltern eine Entschuldigung schreiben." Moesha Shiva Nitzold erinnert auch daran, dass ein Schulschwänzer dann ja nicht einfach zuhause bleiben könnte, sondern sich bei der Demo sehen lassen müsste. Mit Blick auf den verregneten Himmel meint sie: "Nicht bei dem Wetter!"
Umweltschutzaktion statt Verweis
Für einen anderen Umgang mit den fernbleibenden Schülern hat sich die Waldorfschule entschieden, wie die Demonstranten berichten. Hier können Schüler, die nicht zum Unterricht gehen, weil sie demonstrieren wollen, einen Verweis umgehen, indem sie sich als Ausgleich für jeden Demo-Tag an einer von der Schule organisierten Umweltschutzaktion beteiligen. So wurden in den letzten Wochen unter anderem Insektenhotels gebaut und Müll gesammelt.
Denn nicht nur zum Aktionstag, an dem besonders viel los war, beteiligten sich die Schüler an den den Demos. Schon seit etwa zwei Monaten gehen einige Haßfurter Kinder und Jugendliche regelmäßig auf die Straße. "Jeden Freitag sind wir hier, von 8 bis 11 Uhr", berichtet Esther Nitzold. "Auch in den Ferien."