Manchmal muss man eben doch um die halbe Welt reisen, um die Heimat, beziehungsweise kulturelle Schätze aus der Heimat, zu entdecken. So staunte ich nicht schlecht, als ich die Außenstelle „The Met Cloisters“ des Metropolitan Museum of Art in New York (Met) besuchte. Dort machte ich Bekanntschaft mit gleich vier Kunstwerken, die ursprünglich aus Franken stammen: zwei Figuren von Tilman Riemenschneider, ein Palmesel aus Mellrichstadt und die Darstellung der Geburt der Jungfrau Maria aus der Kirche St. Laurentius in Ebern.
Das Met ist das größte Kunstmuseum der USA. Die Zweigstelle „The Met Cloisters“ (Die Kreuzgänge) im Fort Tryon Park nahe der Nordspitze von Manhattan wurde 1938 eingeweiht. Der Name bezieht sich auf Teile von fünf mittelalterlichen Klöstern. Sie wurden durch den Bau eines modernen Museums im Stil eines mittelalterlichen europäischen Klosters zusammengeführt, um die Architektur des Spätmittelalters in Erinnerung zu rufen. The Met Cloisters beherbergt die Hälfte der Sammlung mittelalterlicher Kunst des Met, wobei der Schwerpunkt bei Exponaten aus dem 12. bis zum 15. Jahrhundert liegt.
Als ich nach dem Anstieg auf die Bergkuppe die „gotische“ Halle betrat, stachen mir gleich zwei Skulpturen von Tilman Riemenschneider ins Auge: ein sitzender Bischof aus dem Jahre 1495 sowie die Skulptur „Die Heiligen Christophorus, Eustachius und Erasmus“ als Reste einer Vierzehnheiligen-Gruppe aus der Zeit zwischen 1500 und 1505. Die Figur des Bischofs wurde von Graf Hans Wilczek aus Österreich 1970 über die Kunsthändler Ruth und Leopold Blumka aus New an das Met verkauft. Die Heiligengruppe wiederum ging aus dem Besitz des englischen Lords Delamare durch verschiedene Hände, bevor sie 1961 in den Besitz von „The Cloisters“ gelangte. Diese wunderschönen Arbeiten wurden zusammen mit vielen weiteren Werken, darunter Leihgaben auch aus Würzburg, Nürnberg, Berlin, Frankfurt und Stuttgart, im Jahr 2000 im Rahmen der Ausstellung „Tilman Riemenschneider: Bildhauer des Spätmittelalters“ im Met gezeigt.
Über den aus Lindenholz geschnitzten, sitzenden Bischof heißt es im Museumstext, dass er wahrscheinlich einen der vier Kirchenväter repräsentiert: entweder Sankt Augustin oder Sankt Ambrosius. Zur Heiligengruppe wird ausgeführt, dass hier Sankt Christophorus, der das Jesuskind trägt, Sankt Eustachius, ein Soldat aus der Armee Trajans, der zum Christentum konvertierte, und Sankt Ersamus, ein syrischer Bischof mit bischöflichen Insignien, dargestellt sind. Sie wurden aus einem einzigen Stück Lindenholz geschnitzt, wobei ein Stück hinzugefügt wurde, um Sankt Christophorus zusätzliche Tiefe zu verleihen.
Als ich die Kunstwerke in dem Saal weiter betrachte, fiel mir eine weitere Kostbarkeit auf: da hängt an der Wand auf einer weißen Platte doch die Darstellung von der Geburt Mariens. Die Heilige Anna liegt im Wochenbett, neben sich das gewickelte Baby Maria. Laut Museumstext stand diese Lindenholzfigur aus der Zeit um 1480 früher in der Pfarrkirche St. Laurentius in Ebern. Sie stammt wohl von der Predella (Sockel) eines spätgotischen, der Heiligen Anna geweihten Altarbildes. Als dieses 1703 ersetzt wurde, wurde die Figur trotzdem behalten. Anschließend wurden die Beine des Bettes, das Kopfteil und die Rückwand weggeschnitten, um die Figur vermutlich in einen anderen Rahmen einzufügen. Dort knieten zwei Engel vor dem gewickelten Kind, die vielleicht eine Krone über seinen Kopf hielten. Zumindest sind noch Reste vom Flügel des rechten Engels sichtbar. Brandflecken von Kerzen zeigen, dass die Skulptur als Andachtsbild diente. Über den „Weg“ der Skulptur von Ebern zum „The Met Cloisters“ ist nur so viel zu erfahren: Von 1913 bis 1937 befand sie sich im Besitz des hessischen Landesmuseums, bevor sie an Johannes Henrichsen aus Berlin und 1956 an das New Yorker Museum verkauft wurde.
In derselben Halle entdecke ich auch eine ungewöhnliche Figur: einen Palmesel aus dem 15. Jahrhundert, der aus einer Kirche in Mellrichstadt stammt. Auf dem Esel, der auf Rädern bei den Palmsonntag-Prozessionen mitgeführt werden konnte, sitzt eine majestätische Jesus-Figur. Wie dem Text zu entnehmen ist, sind die Räder und die Plattform modernen Ursprungs, während die Hufe des Esels sowie die Finger von Jesus restauriert wurden. Der Palmesel war im 19. Jahrhundert im Besitz des Frankfurter Stadtpfarrers Ernst Franz August Münzenberger, auch wenn im Museumstext als Verkaufsort Köln genannt wird. Vielleicht wurde ja sein Nachlass dort aufbewahrt, aus dem das Historische Museum Frankfurt 1892 den Palmesel erwarb.
1920/21 wurde der jüdische Sammler Carl von Weinberg der neue Besitzer. Er musste nach den Novemberpogromen 1938 seine Villen zusammen mit seiner bedeutenden Kunstsammlung für einen Bruchteil ihres Wertes an die Stadt Frankfurt verkaufen. Um 1950 wurden die zwangsverkauften Kunstwerke Weinbergs Enkel, Baron Richard von Szilvinyi aus Frankfurt zurückerstattet. Dieser verkaufte den Palmesel 1955 an „The Met Cloisters” in New York.