Ein tiefer Einschnitt ins Leben kann es sein, wenn ein Mensch etwa wegen Behinderung, Krankheit oder einer seelischen Krise nicht selbst alle seine Angelegenheiten regeln kann und vom Gericht deshalb einen Betreuer zur Seite gestellt bekommt – obwohl vor gut 25 Jahren die Vormundschaft durch die gesetzliche Betreuung ersetzt wurde, die den Betroffenen mehr Eigenständigkeit erhalten soll. Das zeigen sehr emotionale Leserkontakte zum Thema.
Die Fehler im System
Da erzählen Menschen, wie sie sich durch die Betreuung Nahestehender verunsichert fühlten. Berufsbetreuer ärgern sich, sie würden von ihrem Umfeld als Menschen betrachtet, die andere in der Hand hätten und daran verdienten. Und es stört sie, dass Betreuungskritiker Prof. Volker Thieler Missstände wiederholt öffentlichkeitswirksam vorträgt. In einer etwa 230 Seiten starken Dokumentation hat er Medienberichte über Fälle gesammelt, in denen ehrenamtliche oder Berufsbetreuer vor dem Strafgericht landeten – meist wegen Unterschlagung von Geld ihrer Klienten.
Zwar sei er im Allgemeinen ein scharfer Kritiker von Thieler, sagt der Vorsitzende des Bundesverbandes der Berufsbetreuer (BdB), Thorsten Becker. Aber die Sammlung zeige die Systemfehler: Ethische Richtlinien gebe es ebenso wenig wie die geregelte Ausbildung in Kernkompetenzen und der Fähigkeit, die Selbstbestimmung des Klienten zu unterstützen. Betreuung kann nämlich tief in die Psyche eines Menschen und seines Umfeldes wirken, Menschen die Würde erhalten, aber auch nehmen. Das machen die Fälle deutlich, die uns Leser schildern.
Verunsicherter Ehemann
Ein Rentner aus Würzburg beispielsweise empfand es als schwerwiegenden und verunsichernden Eingriff in die Ehe, als seine Gattin einen gesetzlichen Betreuer bekam. Er sagt, das sei über seinen Kopf hinweg geschehen, auf Veranlassung einer Tochter. Bald wird klar, dass es um die Familienbeziehungen nicht zum Besten steht.
Er sei keineswegs grundsätzlich gegen die Betreuung seiner Frau, sagt der Würzburger. Er will nur verstehen, was passiert. Als Ehemann bekomme er keine Auskunft mehr, wenn er Fragen zur Behandlung seiner Frau habe. Dafür erhalte er Forderungen die gemeinsamen Finanzen betreffend, deren Bedeutung ihm aber offenbar niemand genügend erklärt. Er fühlt sich überrumpelt und ausgenutzt.
Hilflose Freunde
Ein rotes Tuch ist das Thema gesetzliche Betreuung für ein Ehepaar aus dem Landkreis Würzburg. Die beiden Senioren beobachteten ratlos die Betreuung eines Freundes in Rheinland-Pfalz bis zu dessen Tod. Der habe ihnen geklagt, die Betreuerin habe ihm Fernsehgerät und Telefon abgenommen und mit der Einweisung ins Heim gedroht, als er versuchte, über einen Bekannten aus der Politik Einfluss auf die Situation zu nehmen.
Die Freunde in der Ferne wussten keinen Weg, ihn zu unterstützen. Das Gefühl der Hilflosigkeit macht sie immer noch wütend.
Kein festes Berufsbild
„Aufgabenstellungen in der Betreuung sind hochkomplex“, sagt Thorsten Becker. „Neben vielen weiteren Aufgaben wird auch entschieden über schwere Grundrechtseingriffe wie Einweisungen, medizinische Behandlungen und Maßnahmen am Lebensende.“ Viel hoch qualifiziertes Wissen und tief gehende Kompetenzen seien dafür nötig. Demgegenüber gibt es aber keine einheitlichen Anforderungen an die Ausbildung und kein festes Berufsbild für Betreuer.
Die beiden Berufsbetreuerinnen Regina Kötting (Aidhausen) und Gudrun Sedlmeyer (Ebern, Lkr. Haßberge) haben sich gründlich auf die Herausforderungen vorbereitet. Die Erzieherin Kötting absolvierte eine Betreuerausbildung an der Bayreuther Fachhochschule, die Krankenpflegerin Sedlmeyer zusätzlich noch eine Ausbildung zur Mediatorin.
Viel Schreibtischarbeit
Wir treffen uns in Regina Köttings Büro. Für den Blick aus raumhohen Fenstern in den üppigen Garten und die freie Landschaft ist kaum Zeit. Kötting konzentriert sich auf den Computerbildschirm, um die lange Liste der eingegangenen E-Mails zu bearbeiten. Dann gibt sie die Handyrechnung eines Klienten frei. Das Betreuungsgericht habe auf ihren Antrag hin einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet, der die Geschäftsfähigkeit des Mannes einschränkt, erklärt sie. Ihrem Klienten falle es nämlich schwer, mit Geld umzugehen.
Das Telefon klingelt: Ein Sachbearbeiter der Arbeitsagentur moniert, dass ein Klient nicht für Arbeitsangebote zu erreichen sei. Der Betreuerin gelingt es, klar zu machen, dass es sinnlos ist, ihn kurzfristig zu vermitteln, weil der Mann bald eine längere stationäre Therapie antritt. Einen Stapel von Briefen hat sie dann abzuarbeiten, Korrespondenzen mit Behörden, Heimen und beschützten Werkstätten.
Extreme Situationen
Um etwa 20 Menschen kümmert sich Kötting, um 40 Sedlmeyer. Beide haben feste Bürozeiten und Tage für den Außendienst, an denen sie Klienten, Behörden und Einrichtungen besuchen. Solche Besuche sind Erfolgserlebnisse, wenn die Betreuerinnen erleben, dass Klienten ihre Arbeit als Entlastung empfinden. Es sind Herausforderungen, wenn sie es mit schwierigen Krankheitsbildern, extremen Persönlichkeiten oder problematischen Familienverhältnissen zu tun haben.
Manchmal sind es kleine Zufälle, die solche Situationen gelingen lassen. Kötting erzählt von einer Klientin mit Wahnvorstellungen, die von der Polizei in eine Klinik gebracht werden sollte. Die Betreuerin wurde dazu gerufen, stellte sich schon auf eine schwierige Situation ein und erlebte eine Klientin, die sich unerwartet entspannte, als Kötting eintraf. „Es war Hochsommer, ich hatte ein weißes Kleid an, vielleicht hielt sie mich für einen Engel.“ Kötting lacht herzlich und es wirkt, als empfinde sie trotz aller berufsmäßigen Distanz zu ihren Fällen Wärme für die Menschen dahinter.
Eigene Grenzen ziehen
Manchmal ist es eine brenzlige Lage, in die sie gerät. Sie schildert ihre Erlebnisse mit einem Klienten, der in Erscheinung und Auftreten mit einem großem Hund ein finsteres Image pflegte. Sie habe seinen Herzenswunsch verwirklichen und ihm zu einer eigenen Wohnung verhelfen können, erzählt Kötting. Wurden seine Wünsche allerdings in anderen Fällen nicht erfüllt, habe er sie beschimpft. Als sie sich von ihm bedroht fühlte, gab sie den Fall ab.
„Wir berufsmäßigen Betreuer bekommen nicht die leichten Fälle“, sagt Gudrun Sedlmeyer. Um etwas mehr als die Hälfte der Betreuten kümmern sich Ehrenamtliche, meist Verwandte. Angehörige erfüllten dabei natürlich eine etwas andere Rolle als Berufsbetreuer, sagt sie. Sie engagierten sich emotionaler.
Die eigenen Grenzen zu kennen und möglichst konsequent einzuhalten, sei wichtig, um professionelle Betreuerarbeit gut machen zu können, sagt Kötting. Dazu gehöre, keine privaten Kontakte mit Klienten aufzubauen und weitgehend die Zeit einzuhalten, die sie pro Klient zugestanden bekomme – im Durchschnitt 3,3 Stunden pro Monat. Das könne Enttäuschungen und Unsicherheit bei Betroffenen und ihren Familien mit sich bringen.
Gerade, wenn es – wie häufig – Spannungen in der Familie gibt, sei es wichtig, beim Erstgespräch Vertrauen herzustellen, vielleicht den Familienrat einzuberufen und transparent zu machen, was Betreuung bedeutet und leisten kann, sagen die beiden Frauen.
Verband wünscht sich Studium und Kammer
Solches Bemühen um Vertrauen und Transparenz fehlt wohl dem Würzburger Rentner, der sich an die Redaktion wandte. Das Paar aus dem Landkreis Würzburg, das sich um den Freund in der Ferne sorgte, wünscht sich eine neutrale Stelle, an die es sich hätte um Rat wenden können.
Für Thorsten Becker unterstützen solche Fälle die Forderungen seines Verbandes nach ordentlicher Ausbildung, Zulassung und der Verpflichtung auf ein Beschwerdemanagement. „Über eine geregelte Ausbildung und Zulassung von Berufsbetreuern kann das Qualitätsniveau abgesichert und die Selbstbestimmung der Klienten wirklich gewährleistet werden“, sagt er. So wie es das neue Gesetz seit 25 Jahren eigentlich erreichen soll. Becker wünscht sich Studium und Kammer, wie bei anderen freien Berufen. Bisher sei es nämlich so, dass ein Betreuer, der in einem Bundesland Berufsverbot bekommt, vielleicht von einem anderen Gericht zugelassen wird, weil es keine bundesweite Liste gebe.
Zudem hätten Gerichte zwar hohe juristische Kompetenzen, könnten aber die fachlichen Fragen, die dieser sensible Bereich stelle, oft nicht beantworten, so der BdB-Vorsitzende.
Die eigenen hohen Ansprüche
Sie versuche, ihre Arbeit als Assistentin ihrer Klienten zu machen, sagt Regina Kötting. Gudrun Sedlmeyer ist es wichtig, keineswegs eigene Vorstellungen und moralische Überzeugungen durchsetzen. „Betreuer müssen sehr tolerante Menschen sein.“ Die beiden Frauen sagen, dass die Persönlichkeit des Betreuers großen Einfluss auf die Qualität der Arbeit habe.
Hohe Ansprüche formulieren sie deshalb an den eigenen Berufsstand. Sie planen für sich jeweils drei Fortbildungen im Jahr ein, sagen sie. Sie wollen dadurch im Sozialrecht auf dem Laufenden bleiben, Methoden lernen – etwa Gesprächsführung –, bilden sich in Psychologie weiter und in Büroorganisation. Daneben lesen sie Fachzeitschriften, Gerichtsurteile und betreiben Netzwerkarbeit, um für die Bedürfnisse ihrer Klienten die passenden Ansprechpartner zu haben.
Sie sind überzeugt, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen reelle Leute sind, die gut arbeiten. Trotzdem haben sie für sich selbst der Betreuung vorgebeugt: Beide haben Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten. Kötting will nicht, dass ihr Partner womöglich mal im Krankenhaus neben ihrem Bett stehe und Entscheidungen einem Fremden überlassen müsse. Und Sedlmeyer will so weit wie möglich selbstbestimmt leben und nicht ihre Verhältnisse vor einem Gericht ausbreiten müssen.
Was Betreuerverbände fordern
Das neue Betreuungsrecht gilt seit 25 Jahren. Bis dahin bekamen Volljährige, die ihre Angelegenheiten nicht selbst regeln konnten, einen Vormund, der nach so genannten objektivierbaren Interessen entschied. Nach den neuen Gesetzen stehen die individuellen Bedürfnisse der Klienten im Vordergrund und die Betreuten können Teilaufgaben selbst behalten.
Die Anforderungen an die gesetzlichen Betreuer sind hoch. Sie müssen die Kompetenzen haben, um ihren Klienten wirklich bei der Entscheidung und deren Umsetzung assistieren zu können. Demgegenüber gibt es keine feste Ausbildung und kein klares Berufsbild für Betreuer, bemängeln Berufsverbände. Laut einer Studie haben allerdings über 80 Prozent der Berufsbetreuer einen Hochschulabschluss, über die Hälfte in Sozialarbeit oder Pädagogik, der Rest vor allem in Jura oder Betriebswirtschaft.
Der Bund deutscher Berufsbetreuer (BdB), dessen Vorsitzender Thorsten Becker ist, wünscht sich deshalb einen geregelten Studiengang für Berufsbetreuer. Darüber hinaus könnte eine Kammerzulassung die Qualität der Arbeit gewährleisten, ist eine Idee des Verbands.
Der Bundesverband freier Berufsbetreuer (bvfbev) macht sich ebenfalls Gedanken über die Qualitätssicherung.
Da Betreuer ihre Fertigkeiten überwiegend im „learning on the job“-Prozess erwürben und gleichzeitig der großen ethischen Verantwortung und den teilweise starken psychischen Belastungen der Betreuungsarbeit gewachsen sein müssten, möchte der Verband unter anderem eine Verpflichtung zur Fort- und Weiterbildung, zur gewissenhaften Dokumentation der Arbeit und zur Zugehörigkeit zu einer berufsständischen Vertretung. Der Betreuungsgerichtstag (BTG) ist ein Fachverband, aller am betreuungsgerichtlichen Verfahren und der rechtlichen Betreuung beteiligten Personengruppen. Mitglieder sind Juristen, ehrenamtliche und freiberufliche Betreuer, Behördenmitarbeiter, Menschen mit sozialen, pflegerischen und ärztlichen Berufen. Fortbildung und der Dialog mit Forschung und Politik sind unter anderem Ziele. bea