Vor 30 Jahren machte Gerhard Meyer weltweit Schlagzeilen als der „schnelle Meyer“. Denn der damalige Kantinenwirt aus Ostberlin war am 11. September 1989, nachdem Ungarn seine Grenze nach Österreich für DDR-Bürger geöffnet hatte, als erster mit seiner Familie in Passau angelangt und damit berühmt geworden. Vom Aufnahmelager in Hammelburg kam er nach Sylbach, wo er eine Zeit lang die Gastwirtschaft Schneider übernahm. Heute ist er Gastwirt und Hotelier in Steinach am Brenner in Tirol/Österreich und hat die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen.
Schneller als jeder Trabbi
Gerhard Meyer erinnert sich noch genau an den Tag, als Ungarn in der Nacht vom 10. auf den 11. September, genau um Mitternacht, seine Grenze nach Österreich geöffnet hatte. Weil er damals einen Toyota Corolla besaß, den er mit Devisen auf dem Schwarzmarkt erworben hatte, fuhr er am Grenzübergang zwischen Sopron in Ungarn und Klingenbach in Österreich dem Konvoi, mit dem er Richtung Westen gestartet war, – teilweise mit Tempo 200 – nach einiger Zeit davon. Morgens kurz nach drei Uhr war der damals 39-Jährige mit seiner Frau Nicole (32) und den Töchtern Myriam (11) und Denise (12) der erste, der in Passau ankam.
„Wir waren am Balaton in Ungarn im Urlaub und erfuhren aus der Zeitung, dass die Bürger, die in die Deutsche Botschaft in Budapest geflüchtet waren, bald ausreisen dürften“, so Meyer in einem Interview mit dieser Redaktion am Montag. „Als dann am 9. September der Termin bekannt gegeben worden war, beschlossen wir spontan, in den Westen auszureisen. Auch wenn es ein Riesenschritt für unsere Familie war.“ Gründe habe es „tausende“ gegeben. Unter anderem sei ihnen die DDR „zu klein“ gewesen, was das Reisen betroffen habe. Aber auch Repressalien hätten den Ausschlag für die Ausreise gegeben.
„Wir kamen zunächst in das Aufnahmelager in Hammelburg und zogen dann nach Sylbach, weil die Gastwirtschaft Schneider ausgeschrieben war und unsere Töchter in Haßfurt ins Gymnasium gehen konnten“, erinnerte er sich. „Ich habe tagsüber als Bierfahrer für die Brauerei Hiernickel gearbeitet und abends mit meiner Frau die Gastwirtschaft, die ich ,Haus der deutschen Einheit‘ nannte, betrieben.“
Nach drei Monaten nahm Gerhard Meyer eine Arbeit an der Fleisch-Theke eines Verbrauchermarkts in Schweinfurt auf, um Land, Leute und vor allem die Küche kennen zu lernen. In der Gastwirtschaft in Sylbach hatte Gerhard Meyer eine DDR-Fahne aufgehängt, aus der er Hammer, Zirkel und Ehrenkranz ausgeschnitten und einen Reißverschluss eingenäht hatte. „Unter dem Reißverschluss stand das Datum 1989 und darüber das Jahr 2000. Denn ich dachte damals, dass die Wiedervereinigung so lange dauern würde. Dann haben wir immer wieder deutsche Einheit gespielt, indem wir am Reißverschluss zogen“, berichtete er vor fünf Jahren, als er die Wirtschaft, die jetzt von der Familie Tasios geführt wird, besuchte.
Von Sylbach nach Berlin
Als bereits am 3. Oktober 1990 der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik erklärt wurde, fuhr die Familie Meyer nach Berlin, um zu feiern. Doch da raste ein Amokfahrer in die Menge und verletzte Nicole Meyer schwer. Um sich um seine Frau zu kümmern, die sechs Monate in einer Klinik verbringen musste, zog Gerhard Meyer mit seinen Töchtern nach Berlin. 14 Jahre sollte der gelernte Koch, Metzger, Kellner, Serviermeister und Hotelökonom in Berlin bleiben und mehrere Restaurants eröffnen, bis die Familie nach Österreich übersiedelte.
2008 erwarb er das Hotel Post in Steinach am Brenner, das er gleich seiner Tochter Myriam Weinert überschrieben ließ. Seitdem arbeitet er in dem Hotel. Den Toyota von 1989 besitzt er zwar nicht mehr; doch er hat sich wieder den gleichen Typ, einen Toyota Corolla GTI Baujahr 1984 mit dem Kennzeichen: „MEYR 1“, zugelegt, und nahm mit ihm vor kurzem an einer dreitägigen „Gedenkfahrt zur Grenzöffnung Ungarn 1989“ teil.
Erinnerungsfahrt im Konvoi
„Gerrit Crummenerl aus Beucha im Landkreis Leipzig hat diese Sternfahrt, auf der wir auf der damaligen Route von Budapest bis nach Klingenbach in Österreich fuhren, organisiert“, so Meyer. Rund 70 ehemalige DDR-Flüchtlinge aus ganz Deutschland beteiligten sich mit 30 Ostblock-Oldtimern im Rahmen der Partnerschaft mit der Deutschen Botschaft und mit dem Ungarischen Malteser Hilfsdienst an der Fahrt und an Gedenkveranstaltungen an historischen Orten. Dabei erregte der Konvoi auf seiner Fahrt natürlich auch sehr viel Aufmerksamkeit. „Das war sehr erhebend“, so Gerhard Meyer. Für ihn war die deutsche Wiedervereinigung „das Beste, was uns hätte passieren können“, wie er heute noch bestätigte. „Helmut Kohl hat uns blühende Landschaften versprochen und ich habe sie gefunden.
Warnung an Politiker
Sie bestehen aber nicht daraus, dass uns gebratene Tauben in den Mund fliegen, sondern daraus, dass man mit einem wachen Geist, gesunden Händen und einem festen Willen etwas erreichen kann.“ Ein Anliegen ist es ihm, der Familie Hiernickel aus Haßfurt, Berno Wagner aus Sylbach und der Familie Günther aus Sylbach für ihre „tolle Unterstützung“ zu danken. Außerdem gibt er den Politikern in der EU den Rat: „Nehmen Sie sich in Acht, dass Sie nicht einmal abgewählt werden. Denn Sie drehen sich nur um sich selbst und haben dabei das Volk vergessen!“
Hier finden Sie einen Kommentar zur Wende und zu den blühenden Landschaften von Martin Sage.