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KREIS SCHWEINFURT
Weinlese im Minutentakt
Zwischen 50 und 60 Prozent der fränkischen Weinberge werden bereits mit dem Vollernter gelesen, schätzt Hermann Schmitt vom Fränkischen Weinbauverband. Schwere Maschinen, Weinlese im Minutentakt statt knochenharter Handarbeit. Klingt, als wäre die Handlese ein Auslaufmodell. Weit gefehlt, sagen Experten.
Weinlese im Minutentakt
Von unserem Redaktionsmitglied Katja Beringer
 |  aktualisiert: 19.05.2015 08:59 Uhr
Ein Weinberg bei Wipfeld. Das Wetter passt, die letzte Woche der Hauptlese läuft, Rainer Thaler und seine Fahrer jagen von einem Weinberg zum anderen. Der Arbeitstag beginnt oft schon um vier Uhr nachts und dauert meist bis 10, 11  Uhr, „manchmal auch länger“. Zeit ist Geld – das gilt für den Besitzer von zwei je 240  000 Euro teuren Vollerntern genauso wie für seine Auftraggeber. Einer von ihnen wartet schon. Der Winzer hat Traktor samt Hänger dabei – und einen Mann. Mehr braucht es nicht.
Rainer Thaler steigt ein, der blaue Riese setzt sich mit dröhnendem Motorengeräusch in Bewegung, rollt langsam in den Weinberg, die Zeile Rebstöcke zwischen den monströsen Rädern. Der Vollernter umschließt die Weinstöcke, auf beiden Seiten schlagen Stäbe kräftig gegen die Reben. Die Trauben lösen sich und werden von rotierenden Schaufeln nach oben befördert, in einen der beiden Tanks. 2400 Liter fasst der Vollernter maximal. Das reicht, um am Ende 40 Zentner Trauben aus dem Weinberg in den vom Winzer postierten Hänger zu befördern.
Abrechnung im Minutentakt
Abgerechnet wird über den Maschinenring – im Minutentakt. 4,70 Euro kostet die Minute, plus Steuer. Für einen Hektar braucht Thaler mit dem Vollernter im Schnitt 100 Minuten, wobei die meiste Zeit oft für Rangier- und Wendemanöver draufgeht. Macht 470 Euro, plus Steuer. Weit weniger als die Handlese kosten würde, sagt Thaler. Fünf Euro würden die Winzer im Schnitt den Lesern pro Stunde zahlen. Sie zu finden, sei vor allem für große Flächen nicht immer leicht.
Dass sie „relativ günstig“ ist, sieht auch Hermann Schmitt vom Weinbauverband als eine der Vorteile der Vollernter-Lese an. Und: „man ist schlagkräftig, schnell und von jetzt auf nachher einsetzbar“. Dann zum Beispiel, wenn der Himmel aufklart, der Winzer die Regenpause kurzfristig nutzen muss oder der Tag so heiß war, dass eine Lese nachts der Qualität sogar gut tut.
Leute für die Lese zu finden, sei seines Wissens nach noch nicht das große Problem, meint Schmitt. Nach wie vor würden sehr viele Familienkräfte mitarbeiten, sowie Freunde, Freizeit-Helfer, die den Tag im Weinberg ebenso genießen wie eine gute Brotzeit, oder auch Saisonarbeitskräfte, die teils aus Polen stammten. Einziges Problem sei nur, diese Saisonkräfte auch durchgehend zu beschäftigen. Das, so Schmitt, könnten nur die wenigsten Winzer.
Sein Fazit zum Thema Vollernter: „Die Qualität hat man inzwischen im Griff, rationell ist es auch“. Grenzen werde es für den Einsatz von Vollerntern dennoch immer geben. Spitzenweine, sagt Schmitt, würden nach wie vor mit der Hand gelesen.
Schonender per Hand
Weil, so meinen Winzer, bei der Handlese eben noch einmal selektiert werden könne, die Trauben schonender geerntet würden. Bei Sorten, aus denen Weine mit höchster Qualität, beispielsweise Grauburgunder, werden sollen, setzt auch Uwe Gessner auf reine Handarbeit. Der Winzer aus Garstadt hat in dieser Saison eine „gute Mannschaft“ zusammengetrommelt: an die 16 Helfer. Sie selektieren während der Lese noch einmal. Geiztriebe, die die Qualität senken würden, oder schlechte Trauben kommen nicht in den Eimer. Eine Selektion gibt es allerdings auch, wenn der Vollernter zum Einsatz kommt. Dann bereitet der Winzer den Weinberg mit einer „negativen Vorlese“ vor.
Frage der Philosophie
Der Einsatz der Maschinen, die laut Thaler seit etwa zwölf Jahren ausgereifte Technik bieten, ist auf dem Vormarsch, hat aber Grenzen. Steilhänge ab 35 Prozent Steigung sind nicht befahrbar, der Vollernter könnte kippen. Andere Weinberge sind zu klein, zu schmal angelegt. Bei Rotweinen gibt es das Problem, dass durch das Mehr an Blättern, die in die Maische gelangen, mehr Bitterstoffe entstehen. Und schließlich gibt es auch Winzer, die der Technik nichts abgewinnen können, die aus Überzeugung auf Handlese setzen. „Das ist auch eine Philosophiefrage“, sagt Schmitt vom Weinbauverband.
In Wipfeld, wo die Weinberge gut befahrbar sind, werden inzwischen schon 65 Prozent der Weinberge mit dem Vollernter gelesen, schätzt Thaler. Auch zeitlich hat der Einsatz von Maschinen die Lese beeinflusst. Haben die Winzer früher noch vier Wochen gebraucht, sind es heute nur noch zehn bis zwölf Tage.
 
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