Es klopft und hämmert, überall liegt Baumaterial herum, das ganze Anwesen ist eine einzige große Baustelle. Dort, wo einst Getreide zu Mehl gemahlen wurde, sollen bald Feriengäste Ruhe und Erholung finden. Die Kinder sind erwachsen und aus dem Haus, „da wollten wir noch etwas aus der alten Mühle machen“, sagt Karin Hofmann. Sie und ihr Mann Ekkehard richten in der idyllisch an der Nassach bei Lendershausen gelegenen Hessenmühle eine Ferienwohnung ein.
Die beiden stammen – unüberhörbar – aus Baden-Württemberg. Ende der 70er Jahre stießen sie auf der Suche nach einem allein stehenden Haus auf eine entsprechende Annonce in der Süddeutschen Zeitung. „Unmöglich für uns, dieses kaputte Anwesen zu renovieren“, dachten sie bei der ersten Besichtigung. Doch die Hessenmühle hatte sie mit ihrem Charme bereits verzaubert: „Wir konnten sie einfach nicht vergessen.“
Karin Hofmann wollte schon immer am Wasser leben und zudem beeindruckte sie der wunderschöne, mit Obstbäumen gesäumte Weg entlang der Nassach hin zum Friedhof tief. Im Frühjahr 1980 kauften sie die Hessenmühle. Anfangs lebten die Hofmanns im Zelt – das seit mehreren Jahren leer stehende Anwesen war unbewohnbar. Nun hieß es Handwerker suchen, Dach und Fenster abdichten, Bad und Toilette einrichten. Die alte Mühleneinrichtung war noch nahezu komplett vorhanden, in den Silos im Keller lagerte noch Getreide. Über ein Jahr lang konzentrierten sich die neuen Mühlenbesitzer nur auf die Renovierung.
1981 kam Tochter Marie zur Welt, drei Jahre später folgte Sohn Johannes. Vor allem er habe sich oft beschwert, dass keine Freunde zu ihm kämen, weil sie so weit außerhalb vom Dorf wohnten, erinnert sich seine Mutter. „Wir brauchten für alle Wege immer ein Fahrzeug, egal, ob wir einkauften oder die Kinder in Kindergarten oder Schule brachten.“ 1985 begann die Erzieherin im Kindergarten in Lendershausen zu arbeiten. Ihr Mann Ekkehard kümmerte sich um Kinder, Haus und Hof. Inzwischen bevölkerten auch Ziegen, Schafe, Gänse, Enten und Hühner das Gehöft. Otto Weiß, der frühere Eigentümer der Mühle, sei an ihrem Tun sehr interessiert gewesen und habe sie stets unterstützt. „Er schaute fast jeden Tag vorbei und half, wo er nur konnte“, erinnert sich Karin Hofmann. Zum Dank bekommt er jedes Jahr zu Weihnachten eine Gans von der Hessenmühle – bis heute.
Doch obwohl es wegen der vielen Arbeit am Anwesen zwischendurch einige Durststrecken gab, „haben wir es nicht bereut, hierher gezogen zu sein“, sagt Karin Hofmann. Nur einmal überlegten sie ernsthaft, das Anwesen wieder zu verkaufen. Grund war der Bau der Bundesstraße 303 Ende der 80er Jahre, die die Umgebung und die Ruhe der Hessenmühle empfindlich störte. „Doch bis dahin hatten wir schon so viel Zeit und Geld investiert, dass wir bei einem Verkauf nur draufgelegt hätten.“
Die aus Lendershausen stammende Andrea Frank fertigte während ihres Lehramtsstudiums an der Universität Würzburg im Jahr 1987 eine Arbeit zum Thema „Wassermühlen entlang der Nassach“. Dort ist zu lesen, dass die Hessenmühle zu den ältesten Mühlen im Landkreis gehört. Die erste urkundliche Erwähnung fände sich im Jahr 1298, als die Mühle in den Besitz des Klosters Mariaburghausen überging. Am Kellereingang und am Giebel des Gebäudes sind die Jahreszahlen 1713 beziehungsweise 1714 sowie der Name Johann Martin Schleier eingeritzt. Am Anbau ist zu lesen: „Erbaut von Martin Schleier, 1879“.
Die Familie Weiß wurde zu „Hessenmüllern“ durch Otto Weiß, der die Müllerstochter Margareta Schleier heiratete, berichtet dessen Enkel Otto Weiß. Der 83-Jährige betrieb als letzter Müller in der Hessenmühle das Handwerk des Müllers. Zu Lebzeiten seines Vaters Adolf habe sich dieser hauptsächlich ums Mahlen gekümmert. Er selbst habe Getreide geholt und die Bäckereien in der Umgebung mit Mehl beliefert.
Die Bäckereien Finger, Kupfer und Rudolph in Hofheim waren Kunden und für das Geschäft Leonhardt sei sogar Mehl in Tüten abgefüllt worden. Wasser gab es aus der eigenen Quelle, Strom wurde bis 1948 über einen Generator selbst erzeugt. „Die Umgebung und die Ruhe in der Mühle waren herrlich“, erinnert sich Ottos Frau Lilly, „aber für die Kinder war es oft schwierig.“ Anfang der 60er Jahre wurde der Mühlenbetrieb eingestellt. Die Hessenmüller pachteten Äcker dazu und betrieben nur noch Landwirtschaft. Schließlich verließen sie 1976 die Mühle und zogen in die Siedlung nach Lendershausen.
Zu allen Zeiten bot die Hessenmühle nicht nur ihren Eigentümern Unterkunft. Waren es früher Mägde, Knechte und Müllersburschen, beherbergten die neuen Besitzer häufig wandernde Zimmerleute, die halfen, die Mühle zu restaurieren. Noch immer kommen Jahr für Jahr alte Bekannte aus der schwäbischen Heimat und genießen Lammbraten, Spanferkel oder Pizza aus dem alten Backofen der Mühle. Im stilvollen Ambiente der künftigen Ferienwohnung sollen zehn bis zwölf Gäste Platz finden. Aus dem bisher ungenutzten alten Mühlenraum wurde erst jetzt die alte Mühleneinrichtung entfernt. Hier entsteht ein großer Aufenthaltsraum. Das gesamte Anwesen steht unter Denkmalschutz.
Um die Anforderungen zu erfüllen und weil sie traditionsgerecht sanieren wollen, beauftragten Karin und Ekkehard Hofmann eine Firma für Baudenkmalpflege. Mit einem Gemisch aus Lehm, Kalkstein und Glasschaumschotter fachen die Spezialisten für historische Bausubstanz die Öffnungen aus und dämmen den Fußboden. Ein diffusionsoffener Wandaufbau mit Schilfmatten und Lehmputz dämmt und sorgt für gutes Raumklima. Für ihre eigene Küche, die bisher nur mit einem Holzofen beheizbar war, hat die Schaffung der Ferienwohnung einen positiven Nebeneffekt: sie bekommt eine Heizung. „Dann kann ich es mir im Winter gemütlich warm machen, ohne vorher Holz schleppen zu müssen“, freut sich Karin Hofmann.
In ihrer Arbeit bemerkt Andrea Frank zum Alltag auf der Hessenmühle: „Eine Portion Idealismus braucht man schon für dieses Leben!“ Die Hofmanns haben ihn sich offensichtlich bis heute erhalten.