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Zeil
Wie der elektrische Strom in den Haßbergkreis kam
Die Haßfurter Schreinerei Gehles produzierte bereits um 1905 in der Zeiler Straße mit diesem Windrad ihren Strom.
Foto: Ludwig Leisentritt (Archiv) | Die Haßfurter Schreinerei Gehles produzierte bereits um 1905 in der Zeiler Straße mit diesem Windrad ihren Strom.
Ludwig Leisentritt
 |  aktualisiert: 07.10.2021 02:33 Uhr

Ohne elektrischen Strom geht heute nichts mehr. Sei es Beleuchtung, Verkehr, Kommunikation oder das gesamte wirtschaftliche Leben. Die Anwendungsmöglichkeiten in unseren Wohnungen sind schier unendlich. Einzug gehalten in unserer Heimat hat diese Energiequelle vor 100 Jahren. Doch vereinzelt war die Elektrizität schon weitaus früher in Gebrauch. So erfolgte 1910/11 das Nieten der neuen Mainbrücke Zeil-Sand mit selbst erzeugtem Strom. Und einige Handwerksbetriebe wie in Haßfurt, Mechenried und Westheim bezogen Energie von Windrädern vor ihrem Haus.

Obwohl das elektrische Licht erst nach dem 1. Weltkrieg Einzug hielt, erwog die Zeiler Kirchenverwaltung schon 1916, wegen Mangels an Petroleum, Spiritus und Kerzen, das Gotteshaus elektrisch zu beleuchten. Der aus Zeil stammende Fabrikant Mölter hatte sich bereit erklärt, von dem in seinem Zeiler Zweigwerk in der Bamberger Straße erzeugten Strom die Kirche zu versorgen. Doch die verschärfte Kriegslage und der akute Mangel an Kupferdraht ließen das Vorhaben scheitern.

Strom von der Firma Mölter

Bürgermeister Buhlheller führte bereits 1899 in Haßfurt die Acetylbeleuchtung ein. Sie wurde ab 1919 durch das elektrische Licht ersetzt. Der Strom kam zeitweise vom Stammwerk der Firma Mölter. Die Maschinenfabrik Wagner & Söhne bot schon 1909 im Bezirk Hofheim selbst erzeugten elektrischen Strom an. Der Ausbau des Ortsnetzes begann 1922. Stromlieferant war die Dampfsäge- und Überlandwerk AG Hofheim. In Königsberg waren es die Fränkischen Isolierrohr- und Metallwerke, die mit einer Dampflokomotive Strom erzeugten.

Bis zum Abbruch Anfang der 1970er Jahre war die erste Trafostation im Schatten des Zeiler Stadtturmes ortsbildprägend.
Foto: Ludwig Leisentritt (Archiv) | Bis zum Abbruch Anfang der 1970er Jahre war die erste Trafostation im Schatten des Zeiler Stadtturmes ortsbildprägend.

In Zeil wurde das elektrische Ortsnetz 1921 unter Bürgermeister Nikolaus Drebinger errichtet. Sein Stellvertreter und späterer Nachfolger, der Sandsteinindustrielle Oskar Winkler, streckte hierfür das Geld für die rund 4000 Kilogramm Kupferdraht vor. Am Zeiler Kirchweihfest hielt die Elektrizität erstmals Einzug in der Stadt.

40 Gemeinden im damaligen Bezirk Haßfurt entschlossen sich in diesem Jahr, bis zum Winter 1921 weite Teile der Heimat mit Strom zu versorgen. Bis April 1922 vollzog Ziegelanger als letzte Gemeinde rechts des Maines den Anschluss an die Überlandzentrale. Obwohl die Transformatorenstation eine der ersten war, die gebaut wurde, konnte sich die Gemeinde aus Kostengründen erst später entschließen, den Strom ins Dorf zu holen. In Zell a. E. ließ die Gemeinde einen ihr gehörenden kleinen Fichtenwald abholzen, um die Erschließungskosten aufbringen zu können.

Strom lässt mancherorts bis in die 1930er auf sich warten 

Die beiden Steigerwalddörfer Fabrikschleichach und Karbach waren Ende 1932 mit die letzten Gemeinden im Bezirk Haßfurt, die sich noch mit Petroleum, Spiritus, Karbid und wohl auch mit Kerzen behelfen mussten. 1935 folgte der kleine Ort Hummelmarter, in dessen 14 Häusern endlich das elektrische Licht erstrahlte. Die Dörfer Weißenbrunn und Neuses a. R. wurde im Bezirk Ebern gar erst nach 1937 mit elektrischem Strom versorgt. Etwa ab den 1940er Jahren war dann ganz Deutschland an das Stromnetz angeschlossen.

Mit der Einführung der Elektrizität begann das "moderne Zeitalter". Strom war die Basis für viele Geräte. Im April 1924 hielt das Radio erstmals Einzug. In Haßfurt und in Eltmann wurden Empfangsstationen eingerichtet, um vorerst Konzerte aus der Frankfurter Oper hören zu können. 1953 standen in rund 80 Prozent der Haushalte ein Rundfunkgerät und ein Bügeleisen. Aber nur sieben Prozent verfügten über einen Kühlschrank. Die Anzahl und die Auswahl elektrischer Geräte galt als Gradmesser für den Wohlstand.

Wohnhäuser mit "High-Tech"

Die neue Energiequelle regte oft auch die Fantasie bei der Auswahl von Geschenken an. So überreichte die Gemeinde Ebelsbach 1924 ihrem scheidenden Lehrer Michael Burkard eine große, elektrische Hängelampe. An Maria Geburt 1925 erstrahlte die Haßfurter Ritterkapelle erstmals im Glanze des elektrischen Lichtes. Der große, mit Kerzen bestückte Apostelkronleuchter aus dem Jahr 1900, war nach 25-jährigem Gebrauch mit 30 Birnen elektrisch umgerüstet worden. Als 1926 die Stadt Haßfurt in der Hofheimer Straße Wohnhäuser errichten ließ, stattete man diese mit kleinen Extras aus, die für viele völlig neu waren. Neben dem elektrischen Licht installierten die Handwerker auch elektrische Klingel und Türöffner.

Im Dezember 1926 bekamen die vier Glocken der Stadtpfarrkirche in Ebern einen elektrischen Antrieb. Als erste Kirche im Bezirk Haßfurt erhielt an Weihnachten 1927 die Zeiler Stadtpfarrkirche ein elektrisches Geläut. Manche Bürger sahen das kritisch. Doch die Mehrheit war stolz, "in einem Städtchen zu wohnen, das vorwärtsstrebt", schrieb die Heimatzeitung.

Häufige Stromausfälle und Abschaltungen

1929 wurde in Zeil das mühselige Treten des Blaseblags durch den Einbau eines elektrischen Gebläses ersetzt. Nötig war das Blasebalgtreten jedoch wieder dann, wenn der Elektromotor oder Teile der Mechanik defekt waren. Ersatz dafür war nicht immer leicht zu beschaffen. Hinzu kamen häufig Stromausfälle und, in den Nachkriegsjahren, Abschaltungen. Sogar bei Theaterabenden, Tanzveranstaltungen oder bei kirchlichen Feiern gingen plötzlich die Lichter aus und die herkömmlichen Beleuchtungsmittel mussten wieder herausgeholt werden.

Unzählige Male legten Stromausfälle in der Landwirtschaft und beim Handwerk die Maschinen still. In Haßfurt, Hofheim und Ebern waren auch die Druckmaschinen der Heimatzeitungen betroffen. Die berichteten anderntags auch über ähnliche Pannen. Oft war die Redensart zu lesen: "Schön ist das elektrische Licht, wenn man’s braucht, dann hat man's nicht". Der ehemalige Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel sagte einmal treffend: "Freiheit, Friede und elektrischen Strom, schätzt man mehr, wenn man sie gelegentlich nicht hat."

Überlandwerk verteilt Bügeleisen, Kochplatten und Tauchsieder

Mit der Einführung eines Wirtschaftstarifes förderte 1928 der Zeiler Stadtrat die Verwendung der neuen Energiequelle zum Kochen und Bügeln. Unterstützung erfuhr diese Aktion durch den Stadtpfarrer Dümler. Er organisierte mit den Ordensschwestern im Caritashaus Kochkurse für Frauen und Mädchen. Das Überlandwerk spendete hierfür verschiedene elektrische Kochapparate. Den Stromlieferanten war daran gelegen, die immer größer werdende Strommenge zu verkaufen. Das Überlandwerk in Lülsfeld verteilte 1935 an ihre Abnehmer im Bezirk Haßfurt 8000 elektrische Bügeleisen, 2000 Kochplatten und 1000 Tauchsieder, alles "Stromfresser", die jedoch gerne angenommen wurden.

Obwohl die elektrischen Leitungen schon verlegt waren, wurden die Petroleumlampen im Zeiler Rathaus wegen des häufigen Stromausfalls noch in Reserve gehalten.
Foto: Ludwig Leisentritt (Archiv) | Obwohl die elektrischen Leitungen schon verlegt waren, wurden die Petroleumlampen im Zeiler Rathaus wegen des häufigen Stromausfalls noch in Reserve gehalten.

Schon 1929 stellte die Gemeinde Prölsdorf inmitten des Dorfes einen elektrisch beleuchteten Weihnachtsbaum auf und ließ die Jugend darunter Lieder singen. Die waldreiche Stadt Eltmann beleuchtete 1932 den "Christbaum für alle". Die Beleuchtung stiftete damals das Überlandwerk. Die Stadt Haßfurt erfreute ihre Bürger zu Weihnachten 1935 mit einem strahlenden Tannenbaum.

Strom stand oft nicht in gewünschter Menge zur Verfügung. 1935 appellierte die Stadt Zeil an die Bürger, elektrische Geräte möglichst nur zu verwenden, wenn kein Lichtstrom in Betracht kommt. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand das elektrische Ortsnetz in Zeil vor dem völligen Zusammenbruch. Neben einem allgemeinen Energiemangel kam noch ein behelfsmäßig eingebauter Transformator hinzu, der wegen des Zuzuges von Flüchtlingen und Vertriebenen, den Beanspruchungen nicht mehr gewachsen war. Kochstrom durfte nur in den dringendsten Fällen (z.B. bei schweren Erkrankungen) entnommen werden. Das wegen Holz- und Kohlemangel übliche Raumheizen mittels elektrischer Heizgeräte war ebenso untersagt.

Stromsparen unter Strafandrohung

Während man in Haßfurt 1948 zwischen 10 und 13 Uhr sowie zwischen 15 und 18 Uhr den Strom abdrehte, beschränkte man sich in Zeil auf die Zeit zwischen 11 - 13 Uhr. Weitere Stromeinsparungen brachte die wechselweise Abschaltung der hiesigen Industriebetriebe. Als es im Dezember 1947 früher dunkel wurde, durften die Läden nur noch bis 16 Uhr offenhalten, am Dienstag mussten die Geschäfte sogar den ganzen Tag geschlossen bleiben.

Den einzelnen Haushaltungen war ein bestimmter Stromverbrauch zugeteilt worden. Für jede Kilowatt Überschreitung verhängte die Stadt empfindliche Geldstrafen und führte Kontrollen durch. Bei Verstößen drohte man mit der Einziehung der Heiz- und Kochgeräte. Oberstes Ziel war die Versorgung mit Lichtstrom. Die prekäre Situation in Zeil war wohl exemplarisch für die meisten anderen Kommunen in unserem Bereich.

Noch 1958 ordnete das Unterfränkische Überlandwerk in Lülsfeld jede Woche zwischen 11 und 12 Uhr eine Sperrstunde für den Elektrodrusch an. Günter Bier, der ehemalige Leiter der Zeiler Stadtwerke, errechnete einmal, dass in den Anfängen der Elektrifizierung eine Familie in Zeil im Monat lediglich fünf Kilowattstunden Strom verbrauchte. Ein voll elektrifizierter Zeiler Haushalt hat heute im Jahr etwa den gleichen Verbrauch, wie 1926 die ganze Stadt Zeil im Monat.

Das schiefe Trafohäuschen in Westheim erregte 1960 überregionale Aufmerksamkeit. Es musste wieder abgerissen und an anderer Stelle errichtet werden.
Foto: Ludwig Leisentritt (Archiv) | Das schiefe Trafohäuschen in Westheim erregte 1960 überregionale Aufmerksamkeit. Es musste wieder abgerissen und an anderer Stelle errichtet werden.

1971 wurde erstmals der elektrische Zugbetrieb zwischen Bamberg und Gemünden aufgenommen. Damit endeten 120 Jahre Dampflokomotiven-Romantik. Die 15 000 Volt-Hochspannungsleitung über den Schienen wurde als umweltfreundliche Energiequelle gefeiert.

Engpässe bei der Stromversorgung gibt es schon lange nicht mehr. Immer mehr Hausbesitzer produzieren durch leistungsstarke Solaranlagen auf ihren Dächern eigenen Strom, der auch noch im Keller gespeichert werden kann. Die Stadt Haßfurt bezieht mittlerweile ihren Strom von 120 Millionen Kilowattstunden über vier regenerative Energiequellen. Sie verbraucht aber nur 85 Millionen Kilowattstunden und ist somit in der Gesamtbilanz autark, das heißt unabhängig von der herkömmlichen fossilen Energie. Die "überschüssige" Energie kann heute schon in Wasserstoff umgewandelt werden und dient damit als Energiespeicher der Zukunft.

Anekdoten rund um den Einzug der Elektrizität im Haßbergkreis

Geblasen: In den 20er Jahren hatten schon manche fortschrittlichen Kommunen bei uns elektrisches Licht. Doch in vielen Dörfern brannten noch Petroleumlampen und Stearinlichter. Ein Sechsthaler wollte sich einmal für eine Nacht diesen Luxus gönnen. So fuhr er ins nahe Königsberg und quartierte sich im vornehmen Gasthof Stern ein. Am anderen Tag legte der Wirt die Rechnung auf die Theke. Doch weil er zuvor einen Blick auf den Lichtzähler geworfen hatte, merkte er einen hohen Stromverbrauch. So verlangte er extra noch einen kleinen Aufpreis, denn der Sechsthaler verbrachte die ganze Nacht bei elektrischem Licht. Voller Zorn zahlte er den erhöhten Übernachtungspreis, schimpfte aber: Ich habe die ganze Nacht geblasen, die elend Funzel ist aber nett ausganga!"
Rache: Während eines Engelamtes und der anschließenden Weihnachtsfeiertage erlosch 1929 in Fabrikschleichach plötzlich das elektrische Licht im Gotteshaus. Grund war kein Defekt, sondern ein Racheakt eines örtlichen Betriebsinhabers wegen des Ausganges der Gemeinderatswahl. Ursprünglich hatte der Herr an seinem 60. Geburtstag in den Zeitungen bekannt gegeben, dass er dem Gotteshaus das elektrische Licht zum Geschenk mache. Die Bürger in ihren Häusern mussten dagegen noch gut zwei Jahre auf die Elektrizität warten.
Erfinder: Im Dezember 1930 druckte die Heimatzeitung eine spektakuläre Neuigkeit aus Krum ab, die also weder ein Faschings- noch Aprilscherz war: Einem Schreinermeister soll es gelungen sein, nach langjährigen Versuchen einen elektrischen Apparat zu konstruieren, mit dem er in einer Nacht 107 Ratten und 74 Mäuse getötet haben will. Der Tüftler soll damals wegen einer Patentanmeldung in Verhandlung gestanden haben. Der Handwerksmeister versprach, dass er – wenn der Wunsch bestehe - innerhalb von drei Wochen das ganze Dorf von den Nagern befreien könne.
Nachsicht: Bei Tanzveranstaltungen im Göllersaal nutzten früher so manche Liebespärchen, die ganz in der Näher befindliche Idylle im Brühlweg für "amouröse Zwecke". Als einmal ein Zeiler Bürger eine etwas bessere Ausleuchtung wünschte, entschieden die Damen und Herren des Stadtrates "mit dem Licht sparsam zu sein, um den Liebenden und ihren Absichten nicht im Wege zu stehen".
Handbetrieb: In der Nachkriegszeit herrschte oft Strommangel. Die elektrische Versorgung war häufig unterbrochen. Da hatten es die umliegenden Landgemeinden mit ihrem Handgeläute einfacher. Der technische Fortschritt für die Pioniere der Elektrifizierung erwies sich nun als Nachteil. So musste in Zeil Geistlicher Rat Rüdenauer erst geeignete Seile beschaffen. Bis dahin besorgten Ministranten das Glockenläuten auf recht simple Weise: Alois Pottler und dessen Bruder Ottmar, der heutige Limbacher Wallfahrtspfarrer, stiegen damals auf den Turm und betätigten die Klöppel der Glocken - ohne Rücksicht auf die Langzeitfolgen für das Gehör - mit den Händen.
Vorrecht: Das Läuten der Glocken ohne Strom war fast überall ein Vorrecht der Ministranten. Für sie war es ein Erlebnis, sich unter dem Turm beim Auspendeln an den Seilen hochziehen zu lassen. Wenn man sich geschickt anstellte, konnten die jungen Läuter sich am Glockenseil bis zum Turmgewölbe in die Höhe ziehen lassen. Ältere Buben sollen manchmal auch Mädchen an die Seile gelassen haben. Man munkelte, dass dies nicht immer selbstlos war. Einige spekulierten darauf, beim Auspendeln der Glocken einen Blick unter die Röcke zu erhaschen.
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