
Die Walhalla, die angeblich auf dem Zeiler Kapellenberg errichtet werden sollte, ein Wunder, das kein Wunder war, ein begnadeter Geiger, der bis heute ein Mysterium ist und der schiefe Kirchturm, der wieder gerade wurde, gehören auch ein Stück weit zur Zeiler Geschichte.
Der Wahrheitsgehalt mündlich überlieferter Erzählungen ist meist nicht sehr groß. Doch geht man davon aus, dass es bei Sagen und Legenden immer auch einen Kern von Wahrheit gibt. Manche Legenden, wenn sie nur lange genug wiederholt werden, schaffen es sogar, dass sie irgendwann in den Adelsstand von Tatsachen aufsteigen. Dass König Ludwig I. auf den Zeiler Kapellenberg die Walhalla errichten wollte, ist mittlerweile ein fragwürdiger Bestandteil Zeiler Geschichte. Wahr ist nur, dass der Bayernkönig seit 1830 einige Male durch Zeil kutschierte, wie zum Beispiel bei seinen Kur-Reisen nach Brückenau.
Ein Schneider ist schuld...
Der aus Zeil stammende Schneidermeister Michael Mantel schrieb 1927 anlässlich einer Kriegerwallfahrt zum Zeiler Käppele in einem Zeitungsbeitrag: „Die bei Regensburg stehende Walhalla, in welcher bedeutende Deutsche mit Marmorbüsten und Gedenktafeln geehrt werden, hätte König Ludwig I. gerne auf dem Kapellenberg in Zeil errichtet.“ In den darauffolgenden Jahren wurde diese bislang nie erhobene Behauptung, der König hätte den Kapellenberg wegen seiner einzig schönen Lage für die Walhalla in Aussicht genommen, immer wieder in den Zeitungen publiziert.
Zwar bemühte sich der Monarch nach der Einverleibung Frankens, das „bayerische Neuland“ zu integrieren: Den Ruhmestempel der Deutschen aber im fernen Nordbayern zu errichten, stand für ihn nie zur Diskussion. Den Standort für die 1842 fertig gestellte Walhalla hatte Ludwig bereits 1809 als Kronprinz auf einer Anhöhe im Englischen Garten festgelegt. Ein deutsches Nationaldenkmal inmitten der bayerischen Hauptstadt werteten die anderen Mächte des deutschen Bundes jedoch als Affront, weswegen der Ehrentempel dann bei Regensburg errichtet wurde.
Der aus Haßfurt stammende Landtagsabgeordnete Franz Elsen verkündete gar bei der Kriegerwallfahrt 1954 in seinem Grußwort, dass es einen Schriftverkehr gebe, nach dem der Zeiler Kapellenberg vom Bayernkönig Ludwig I. für die Walhalla ausersehen gewesen war. Es sei jedoch tausendmal wertvoller, das Käppele, das uns Trost und Stärke gibt, auf dem Berg zu haben, als die Walhalla, den Ruhmestempel der Deutschen.“ In einer Broschüre über die Bergkapelle heißt es 1956: „König Ludwig I. wollte die Walhalla hier errichten. Gott sei dank blieb es nur bei dem Plan.“ Ein hiesiger Zeitungsredakteur meinte später, die Zeiler hätten damals lieber die kleine Vorgänger-Kapelle statt die Gipsköpfe gewollt. Also Wallfahrt statt Walhalla.
In der 1971 erschienenen Zeiler Chronik steht zu lesen, der damalige Zeiler Bürgermeister und Landtagsabgeordnete Franz Burger habe durch seine Beziehungen den Ruhmestempel in Zeil zu Gunsten des Käppele verhindert. Doch Burger hatte beim Baubeginn noch gar nicht gelebt. 1979 lobte der damalige Regierungspräsident Dr. Philipp Meyer in seinem Grußwort anlässlich des 600-jährigen Stadtjubiläums „die landschaftlich so beeindruckende Lage Zeils, die schon König Ludwig eine zeitlang daran denken ließ, hier seine Walhalla zu errichten.“
Fake-News bis in jüngste Veröffentlichung
In dem im Jahre 2000 von der Regierung von Unterfranken herausgegebenen Band 5/1 der siebenbändigen Reihe „Unterfränkische Geschichte“ heißt es ohne Quellenangabe: „Ludwig I. wollte zunächst auch die Oberstaufener Walhalla (1830-1842) nicht an der Donau, sondern oberhalb des Mains bei Zeil errichten lassen, wo später ein viel besuchtes Lourdes-Heiligtum entstand.“ Sechs Jahre später schreibt der Volkskundler Wolfgang Brückner in seinem Buch „Frommes Franken“ diesen Satz – Wort für Wort – ab. Da wundert es nicht, wenn diese für Zeil so schmeichelhafte Story auch im kürzlich erschienenen Kunst- und Kulturführer des Landkreises Haßberge übernommen wurde.
Bislang ist – außer dem Zeitungsbeitrag des Michael Mantel von 1927 – keine schriftliche Quelle bekannt, welche die angebliche Absicht König Ludwigs belegt. Wenn sie darauf angesprochen werden, erwähnen auch die Zeiler Stadtführer diese Episode. Der Autor pflegt diese Mär mit den Worten zu kommentieren: „Wenn sie auch nicht wahr ist, ist sie doch wunderschön erfunden!“
„Gottes Mühlen mahlen langsam“, sagt ein Sprichwort, das sicher auch für die Kirche auf Erden gilt. Mehr als 200 Jahre nach der 1787 in Bamberg im Rufe der Heiligkeit gestorbenen Nonne M. Columba Schonath aus dem Bamberger Dominikanerinnen-Kloster, gibt es Bestrebungen, diese auch als Mystikerin bezeichnete Frau seligzusprechen. Dabei wurde erneut auch eine „Wunderheilung“ untersucht, welche 1925 in Zeil und darüber hinaus großes Aufsehen erregte.
Der Zeiler Arzt Dr. Marr, ein – wie Pfarrer Dümler notierte – „ungläubiger Katholik“, hatte der 1923 nach Zeil zugezogenen krank darniederliegenden Neubürgerin Josefine Scholl keine Chance mehr eingeräumt und empfohlen, ihr die Sterbesakramente zu geben. Im St. Josef-Krankenhaus in Schweinfurt führten die Ärzte eine Operation nicht zu Ende, weil sie fürchteten, die Patientin könnte unter dem Messer sterben. Der Zeiler Pfarrer hatte der 25-jährigen Gattin eines Finanzbeamten geraten, angesichts ihrer aussichtslos erscheinenden Krankheit die Schwester Columba anzurufen. Die drei kleinen Kinder der Frau wurden aus der Kinderbewahranstalt geholt, damit sie Abschied von ihrer Mutter nehmen konnten. Rührend wird in den umfangreichen Aufzeichnungen im Pfarrarchiv geschildert, wie sie ein letztes Mal ihre Kinder segnete, wobei sie ihre Hand nur unter Mithilfe heben konnte. Die Zeiler Krankenschwester Eleazara bereitete die Frau auf das Sterben vor. Am Sterbebett waren – neben der Nonne – zuletzt nur noch der Ehemann. Die Kranke streckte plötzlich die Hände aus, und erwähnte den Namen Columba. Die Caritasschwester meinte, diese wolle die arme Kranke nun ins Jenseits holen. Doch Frau Scholl sagte fest und bestimmt: „Ich darf bei meinen Kindern bleiben, Columba hat es gesagt, und ich kann auch wieder schlucken und essen, gebt mir Kaffee und ein Butterbrot.“ Sie richtete sich im Bett auf und ließ sich das herbeigeschaffte Essen und das Getränk munden. Nun erzählte sie, dass ihr Columba in Begleitung zweier anderer Klosterfrauen und eines Mönches erschienen sei. Der herbeigeholte Arzt war sprachlos. In die Pfarrchronik schreibt Pfarrer Dümler: „Wie zur Zeit Christi freuten sich die Gläubigen und lobten Gott.“ Die Gebildeten in Zeil rümpften dagegen die Nase, redeten von Hysterie, von Wundersucht und Aberglauben, aber auch von ärztlicher Kunst.
Nicht mit Sicherheit nachweisbar
Der Bamberger Hochschulprofessor Dr. Ludwig Fischer kam herbei, um die Geheilte sowie die Zeugen zu verhören. Schon damals war die Rede davon, einen Seligsprechungsprozess für die ehrwürdige Columba einzuleiten. Nach monatelangen Untersuchungen traf das zuständige Bischöfliche Ordinariat in Würzburg ein kirchliches Urteil über das „Wunder“ von Zeil: „Nach Prüfung des vorliegenden Aktenmaterials und Würdigung der eingeholten medizinischen und theologischen Gutachten geht die Entscheidung dahin, dass eine wunderbare, auf Anrufung Columbas bewirkte Heilung mit hinreichender Sicherheit nicht nachweisbar ist.“
Nach fast 75 Jahren bemühte sich der eingesetzte Vizepostulator im Seligsprechungsprozess für die Schwester Columba, den Vorfall in Zeil noch einmal zu untersuchen, zu beschreiben und wenn möglich abzustützen. Der Vizepostulator hoffte, dass sich noch Behandlungsunterlagen aus der Praxis des damaligen Zeiler Hausarztes Dr. Marr finden lassen. Der Prozess zur Seligsprechung wurde am 15. Mai 1999 durch den Bamberger Erzbischof Karl Braun, eröffnet. Sein Nachfolger Erzbischof Dr. Schick bemüht sich ebenfalls, den kirchenrechtlichen Prozess für eine Seligsprechung voranzubringen. Obwohl elf beeidigte Aussagen zum Heilungsvorgang vorliegen, ist es sehr zweifelhaft, ob die „Wunderheilung“ in Zeil für den immer noch schwebenden Seligsprechungsprozess herangezogen werden kann. Was Wochen nach dem Vorfall nicht erwiesen werden konnte, wird wohl nach fast acht Jahrzehnten auch nicht „erweisbar“ sein.