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Ebern
Von Stammtisch und Medienblase: Meinungsbildung und Meinungsaustausch im Wandel der Zeit
Podiumsdiskussion über Streitkultur in Ebern (von rechts): Künstler Marc-Dominic Boberg, Psychologieprofessor Marius Raab, Politikwissenschaftler Sebastian Jungkunz und Moderator Klaus Roth, Dozent für politische Bildung.
Foto: Wolfgang Aull | Podiumsdiskussion über Streitkultur in Ebern (von rechts): Künstler Marc-Dominic Boberg, Psychologieprofessor Marius Raab, Politikwissenschaftler Sebastian Jungkunz und Moderator Klaus Roth, Dozent für politische ...
Wolfgang Aull
 |  aktualisiert: 31.03.2024 03:43 Uhr

Eine Kunstausstellung des Künstler Marc-Dominic Boberg in Ebern schlug vergangenes Jahr hohe Wellen: Auf dem Wort Arisch hatte er das i durchgestrichen. Auf einem anderen Werk waren die Worte "AFD entnazifizieren" so gestaltet, dass das Parteikürzel und Nazi gleich deutlich zu lesen war. Für ihn sind es "Wortschilder". Damit wollte er den "anonymen Äußerungen von Hass und Hetze, insbesondere aus den rechten Teilen der Bevölkerung", etwas entgegensetzen. Dies stieß auf unterschiedliche, teils heftige Resonanz.

Bürgermeister Jürgen Hennemann fragte: 'Was ist zulässig in der Demokratie, was ist zulässig in der Kunst?'
Foto: Wolfgang Aull | Bürgermeister Jürgen Hennemann fragte: "Was ist zulässig in der Demokratie, was ist zulässig in der Kunst?"

Bürgermeister Jürgen Hennemann stellte sich Fragen: "Was ist zulässig in der Demokratie, was in der Kunst?" Wie ist es mit der Streit-Kultur bestellt und wie kann diese konstruktiv gestaltet werden? So kam es nun zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion. Boberg saß dort, Psychologieprofessor Marius Raab und Politikwissenschaftler Dr. Sebastian Jungkunz. Zudem mehr als 50 Gäste.

Volkshochschul-Geschäftsführer Holger Weininger zitierte den Verfassungstheoretiker Montesquieu: "Vernehme man in einem Staat keinen Lärm von Streitigkeiten, so könne man sicher sein, dass in ihm keine Freiheit herrsche". Moderator Klaus Roth, Dozent für politische Bildung, wollte wissen, was eine respektvolle, konstruktive Streitkultur ausmache.

Boberg verwies auf die Provokationen der AFD im öffentlichen Raum. Er sieht keinen Weg für einen Dialog: "Man braucht nicht diskutieren, weil sie nie ordentlich entgegentreten." Für Psychologe Raab ein schwieriges Feld: "Psychologie ringt, wie man Demokratie in der Welt verankern kann." Welche ästhetischen Komponenten seien hier einzubringen? Streit sei Voraussetzung für Kultur, er offenbare unterschiedliche individuelle Positionen und Interessen, die zusammengeführt werden müssten. "Kultur ist Orientierung regeln, wie wir miteinander leben wollen", so Raab. Die Grenze der Streitkultur sei dort zu ziehen, wo auf eine Position nicht mit Inhalt, sondern mit Provokation reagiert wird.

Sie lauschten der 180 Minuten dauernden Diskussion, die fortgesetzt werden soll.
Foto: Wolfgang Aull | Sie lauschten der 180 Minuten dauernden Diskussion, die fortgesetzt werden soll.

Politikwissenschaftler Jungkunz sieht sie überschritten, wenn Personen einen Standpunkt vertreten, ohne anderen eine andere Meinung zuzugestehen. Beispiel Corona: "Wenn andere nicht mehr meiner Meinung sind, sind sie Schwürbler". Da müsse man sehr aufpassen, "das kann Wut triggern, man fühlt sich nicht mehr ernst genommen".

Nicht jeder AFD-Wähler sei ein Nazi, das Kunstwerk könne jedoch genau das Gefühl vermitteln, "du gehörst nicht zu uns". "Ein Problem haben wir dann, wenn nicht mehr gesprochen wird, wenn es keinen Streit mehr gibt." Nie dürfe der Gesprächsfaden gekappt werden. Die digitale Welt stellt ihn auf die Kippe, weg vom Stammtisch hin in die Medienblase. Verweilen unter Gleichgesinnten, abkapseln von der übrigen Kommunikation. Sie sei auch Nährboden für Ausgrenzung, provokante Parolen, Hetze und Angst.

"Wenn ich meine Meinung sage, verliere ich Freunde", sagte Dieter Schürmann, 65. Katharina Schmidt berichtete von kürzlich Erlebtem: "Schickt mir keinen Ausländer ins Haus", diktierte demnach ein Kunde dem Handwerksmeister ins Telefon. Hennemann: "Wortgefechte, nach besseren Argumenten suchen, das gibt es heute nicht mehr", auch im Stadtrat. Statt Meinungen zu diskutieren, würden dort nur noch Positionen verkündet.

Helmut Pitscka, ist viel gereist und überall herzlich empfangen worden. So sollte es auch hier sein und bleiben.
Foto: Wolfgang Aull | Helmut Pitscka, ist viel gereist und überall herzlich empfangen worden. So sollte es auch hier sein und bleiben.

Doch es gäbe auch Ermutigendes: "In Ebern treffen 125 aktive Vereine auf 7300 Einwohner." Es würde also durchaus noch miteinander gesprochen, diskutiert. "Zum Geburtstag des Grundgesetzes planen wir freien Eintritt ins Freibad: für jeden, der auf eine Karte schreibt, was er an diesem Gesetz besonders wertschätzt." Am 17. April findet in Ebern wie bereits in Haßfurt und Hofheim eine Mahnwache für Demokratie statt, kündigte er an. Und auch die Veranstaltung über den Streit in Sachen Streitkultur möchte er fortsetzen.

Helmut Pitscka, 71, aus Rentweinsdorf, hat so seine Meinung: "Ich bin viel gereist, mit dem Rucksack, und überall herzlich empfangen worden." So sollte es auch hier sein und bleiben.

In einer früheren Fassung des Artikels hieß es unter dem Titelbild, die Namen der abgebildeten Personen seien von links nach rechts aufgelistet. Tatsächlich sind sie von rechts nach links aufgelistet. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

 
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